Helmut Helmut Oberdiek * 18.9.1947 — † 27.4.2016
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IN SACHEN AUSLIEFERUNG VON A.A.


aus der Schweiz

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Das Gutachten Droht menschenunwürdige Behandlung?
2. Sind die Foltervorwürfe der Mitangeklagten glaubwürdig?
3. Kann mit einem fairen Gerichtsverfahren gerechnet werden?
4. Sind die Bestimmungen des Anti-Terror Gesetzes anwendbar?
5. Stellt die Garantieerklärung der türkischen Botschaft einen Schutz dar?

Mit Schreiben vom 10.11.2006 wurde ich von Rechtsanwalt M.B. gebeten, zu einigen Fragen im Zusammenhang mit dem Ersuchen der Türkei auf Auslieferung seines Mandanten A.A. (1)  Stellung zu nehmen. Zu diesem Zweck schickte mir Herr B. eine prall gefüllte Akte, die mich am 17.11.2006 erreichte.
Ich habe mich bei den Unterlagen fast ausschließlich auf die in der türkischen Sprachen vorliegenden Dokumente konzentriert. Da mir bewusst ist, dass offizielle Übersetzungen aus Ankara (mindestens in die deutsche Sprache) oft sehr mangelhaft sind, habe ich sie gänzlich unberücksichtigt gelassen. Soweit ich aus den türkischen Unterlagen zitiere, stammen die wörtlichen oder zusammenfassenden Übersetzungen von mir. Dafür verbürge ich mich als staatlich anerkannter und in der Hansestadt Hamburg allgemein vereidigter Dolmetscher und Übersetzer für die türkische Sprache. Damit möchte ich zur Beantwortung der gestellten Fragen kommen.
Frage 1: Existieren für A.A. bei einer allfälligen Auslieferung in die Türkei begründete Anhaltspunkte für die Gefahr einer menschenunwürdigen Behandlung im Sinne des Artikel 3 EMRK und Art. 3 der UN Anti-Folter Konvention?
Formal gesehen sollten in der Türkei alle Personen, gegen die ein Haftbefehl besteht, bei Ergreifung (oder Übergabe aufgrund einer Auslieferung oder Abschiebung) nicht durch die Polizei verhört werden, sondern gleich einem Haftrichter vorgeführt werden. Allenfalls könnte ein Staatsanwalt eine formelle Anhörung vornehmen.
Die Praxis sieht jedoch anders aus. Sei es aus Neugier oder aber beruflichem Übereifer, Polizeibeamte in der Türkei spielen sich auch in solchen Situationen sehr häufig als der verlängerte Arm der Justiz auf, d.h. als die Personen, die über Recht oder Unrecht entscheiden und teilweise schon im Vorfeld Formen von Bestrafungen vornehmen, zu denen auch im Jahre 2006 noch Folter und Misshandlung zu zählen ist. Der Hauptgrund für Folter (nicht nur, aber auch) in der Türkei liegt aber in der Absicht, ein Geständnis von beschuldigten Personen zu erhalten.
A.A. ist bislang im Zusammenhang mit den ihm zur Last gelegten Taten nicht von der Polizei (oder Gendarmerie) verhört worden. Bei Kenntnis der Aktenlage könnte die Polizei auf eine Befragung verzichten, wenn der Eindruck entsteht, dass die Beweislage für eine Verurteilung ausreicht. Sollte aber das Eingeständnis der Schuld als zusätzlicher Beweis für "notwendig" erachtet werden, würde dies das Risiko von Misshandlungen erhöhen.
Nun ist die Dauer der Polizeihaft in der Türkei seit 1997 immer mehr verkürzt worden und beträgt offiziell 24 Stunden (bei gemeinschaftlich begangenen Taten kann sie mehrfach um je einen Tag bis auf 4 Tage angehoben werden). (2) Nach Artikel 252/letzter Absatz der türkischen Strafprozessordnung StPO vom 1. Juni 2005 gelten für (einzelne) politische Straftäter das Doppelte der Frist von maximal 24 Stunden, nämlich 48 Stunden.
Das Gesetz 4928 vom 19. Juli 2003 hatte die Möglichkeit geschaffen, dass auch politische Verdächtige Anspruch auf Rechtsbeistand in der Polizeihaft vom Augenblick der Festnahme an haben, aber diese Bestimmung wurde durch eine Veränderung im so genannten Anti-Terror Gesetz im Juni 2006 wieder rückgängig gemacht. Mit dem Gesetz 5532 vom 29.06.2006 wurden Bestimmungen des Gesetzes 3713 zur Bekämpfung des Terrorismus vom April 1991 abgeändert. In Artikel 10(b) wurde festgelegt, dass die Personen, die unter dem Verdacht festgenommen wurden, eine Bestimmung dieses Gesetzes verletzt zu haben, nur Anspruch auf den Rechtsbeistand von einer Person haben. Ein Staatsanwalt kann außerdem beantragen, dass der Festgenommene in den ersten 24 Stunden keinen Rechtsbeistand erhält. Dies muss durch einen Richter bestätigt werden (so das Gesetz). In der Praxis werden Polizeibeamte diese Bestimmung aber so interpretieren, dass sie 24 Stunden keinen Kontakt zwischen Verdächtigem und Anwalt erlauben.
Natürlich ist die Gefahr von Folter innerhalb von 24 Stunden incommunicado Haft geringer, als während der 15 Tage, die politische Gefangene ohne anwaltlichen Kontakt bis zum März 1997 festgehalten werden konnten, aber gänzlich ausschließen kann man sie nicht. Das wird auch am jüngsten Bericht des Europäischen Komitees zur Verhinderung der Folter (Committee for the Prevention of Torture = CPT) vom September 2006 deutlich. Dort heißt es u.a. "Es gab auch Beschwerden über kürzliche Misshandlung... Viele Personen beschwerten sich über psychische Folter." (3)
Die Gefahr von Folter und Misshandlung ist wohl nicht sehr wahrscheinlich, aber sie dürfte für einen erklärten "Feind" der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und (möglicherweise sogar) Polizistenmörder durchaus existieren.
Frage 2. Die drei Mitangeklagten erklärten vor Gericht, sie seien gefoltert worden. Sind diese Aussagen glaubwürdig?
Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da mir zur Beurteilung kein unmittelbarer Eindruck von den "Mitangeklagten" vorliegt (ich nicht mit ihnen sprechen konnte) und lediglich Protokolle von Aussagen bei der Staatsanwaltschaft, vor dem Haftrichter oder in den Hauptverhandlungen existieren. In der Regel wird von keiner dieser "Institution" der Vorwurf von Folter ernst genommen und dementsprechend wird auch nur unzureichend protokolliert.
So wird der Begriff "Folter", den die Mehrheit der Aussagenden wohl verwendet hätte, häufig mit dem Wort "Druck" protokolliert (konkretere Beispiele bei den Aussagen der "Mitangeklagten"). Es wird allgemein nur widerwillig protokolliert, was Beschuldigte zur Behandlung bei der Polizei sagen. In jedem Fall aber kann davon ausgegangen werden, dass die Protokolle nur einen Bruchteil von dem beinhalten, was an Foltervorwürfen erhoben wurde.
E.S. wurde in der Nacht vom 20. auf den 21.10.1995 festgenommen und kam am 27.10.1995 in Untersuchungshaft. Nach seiner eigenen Aussage in der Hauptverhandlung (Termin vermutlich 13.03.1996) war E.S. einen Tag lang auf der Polizeiwache im Stadtteil Gazi und wurde dann der Anti-Terror Abteilung (die politische Polizei) im Polizeipräsidium Istanbul überstellt. Bis zu seiner dort am 26.10.1995 unterschriebenen Aussage hatte die "politische Polizei" 5 Tage lang Zeit, den Beschuldigten ohne Kontakt zur Außenwelt zu "bearbeiten".
E.S. war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt und hätte als Minderjähriger eigentlich nicht durch die Polizei, sondern gleich durch einen Staatsanwalt vernommen werden sollen. In politischen Fällen wurde diese Regel zumindest in der Vergangenheit nicht eingehalten. Daher gibt es von E.S. sowohl die protokollierte Aussage bei der Polizei, die Aussage vor der Staatsanwaltschaft und beim Haftrichter. Vorgelegen haben mir:
- Polizeiliche Aussage vom 26.10.1995
- Aussage beim Staatsanwalt Fahrettin Cankaya am 27.10.1995
- Aussage beim Haftrichter, Oberstleutnant Erol Kücükaslan vom 27.10.1995
- 2 Seiten Protokoll einer Verhandlung vor dem Staatssicherheitsgericht (SSG) Istanbul Nr. 4 (vermutlich am 13.03.1996)

Deutliche Hinweise darauf, dass E.S. gefoltert wurde, finden sich erst im Protokoll der Hauptverhandlung, wo E.S. auch schildert, warum er sich bei der Staatsanwaltschaft und beim Haftrichter nicht deutlicher von seiner polizeilichen Aussage distanziert hat. Ich komme darauf nach der Schilderung meines Eindrucks von den Aussagen bei Staatsanwaltschaft und Haftrichter wieder zurück. Auf das Studium der polizeilichen Aussage habe ich verzichtet, da sich daraus keine Rückschlüsse auf die Behandlung bei der Polizei ziehen lassen.
In der Aussage beim Staatsanwalt und beim Haftrichter (beides am 27.10.1995) bestätigt E.S. den (vermeintlich wesentlichen) Inhalt seiner polizeilichen Vernehmung. Er betont aber, dass er kein Organisationsmitglied sei und nichts mit Aktionen der Organisation zu tun habe. Nach diesen Aussagen beschränkt sich sein politisches "Engagement" auf das Lesen der Zeitschrift "Kurtulus" (Befreiung). Etwas seltsam mutet der erste Satz im Protokoll des Haftrichters an, da E.S. hier zugegeben haben soll, dass er gewusst habe, dass die Waffen der DHKP/C gehören. (4)
Weder der Staatsanwalt noch der Haftrichter haben Foltervorwürfe protokolliert. Das lässt vermuten, dass E.S. von sich aus keine derartigen Vorwürfe erhoben hat, bzw. dass Staatsanwalt und/oder Richter diese Vorwürfe banalisierten. Es lässt des Weiteren den Schluss zu, dass weder der Staatsanwalt noch der Richter nachgefragt haben, warum seine Aussagen bei ihnen in etlichen Punkten von der polizeilichen Aussage abweichen. So will E.S. den Nachnamen von einem A., der ihm die Waffen brachte, erst bei der Polizei gehört haben.
Nur der Staatsanwalt macht einen Vorhalt zu den Waffen und E.S. "korrigiert" seine polizeiliche Aussage dahin, dass er erst bei der Polizei erfahren habe, bei welchen Aktionen die Waffen eingesetzt wurden. Das Protokoll des Haftrichters (Oberstleutant Erol Kücükarslan) wirkt an manchen Stellen so, als ob nicht Angaben des Verdächtigen, sondern Erkenntnisse der Polizei zu den Waffen protokolliert werden (Seriennummer und Kaliber).
Nach dem Studium der Aussagen beim Haftrichter und bei der Staatsanwaltschaft ergibt sich für mich grob formuliert folgendes Bild: E.S. ist ein Gymnasiast, der im Laden seines älteren Bruders aushilft, weil dieser seinen Militärdienst ableistet. Er liest die Zeitschrift "Kurtulus", der eine gewisse Nähe zur DHKP-C nachgesagt werden kann. Im Laden lernt er einen A. kennen, bzw. wird mit diesem bekannt gemacht. Dieser ist wohl auch Leser von "Kurtulus" und vielleicht sogar ein (militantes) Mitglied der DHKP/C. Dem Staatsanwalt gegenüber sagt E.S. aus, dass A. ihm gesagt habe, von den (bewaffneten) Propagandaeinheiten zu sein.
Hier könnte ein gewisser Widerspruch liegen, denn nach den Erkenntnissen, die die Polizei haben will, benutzt(e) ein A.A. den Decknamen "Mehmet". Wenn also A.A. die Person sein soll, die E.S. die Waffen übergab und dieser sich darüber hinaus als Mitglied der Propagandaeinheiten ausgab, dann ist die erste Frage: Warum hat er sich nicht unter dem Decknamen Mehmet bekannt gemacht. Die zweite Frage wäre, wenn beide Personen derartig offen miteinander umgingen, warum hat der A. nicht die Herkunft der Waffen und ihre Verwendung geschildert, mit anderen Worten, warum hat er sich nicht mit in Kreisen der DHKP/C als heldenhaft angesehenen Taten gerühmt. Wenn er das getan hätte, kann man wohl davon ausgehen, dass E.S. selbst im angetrunkenen Zustand die Waffen nicht angerührt und damit einem anderen Freund nicht in die Beine geschossen hätte.
In der Verhandlung (vermutlich vom 13.03.1996; genaue Angaben kann ich nicht machen, da ich nur 2 Seiten von dem Protokoll habe und die Termine immer, zumindest zu jener Zeit, auf der letzten Seite notiert werden) vor dem SSG Istanbul Nr. 4 im Verfahren mit der Grundnummer 1995/381 wird die Aussage von E.S. folgendermaßen protokolliert (ich zitiere Auszüge):
"... dann wurde ich zur Abteilung zur Bekämpfung des Terrorismus gebracht. Dort war ich unvorstellbaren Folterungen ausgesetzt. Ich habe davon immer noch Spuren an den Händen. Unter der Einwirkung von Folter wurde ich gezwungen, eine von ihnen vorbereitete Aussage zu unterschreiben. Ich habe die Aussage unterschrieben, ohne sie gelesen zu haben. Auf dem Weg zum Staatsanwalt am SSG haben sie mir gedroht, mich wieder zu foltern, wenn ich nicht die gleiche Aussage mache...
Ihm wurde die Aussage zur Anordnung der Untersuchungshaft vorgehalten. (Er sagte:) Der Inhalt der Aussage ist nicht richtig. Der Druck der Polizei hielt an. Wegen der Drohung der Polizei war ich gezwungen, eine solche Aussage zu machen. Meine jetzige Aussage ist korrekt." (5)
Weitere Details aus dem Protokoll dieser Verhandlung, die später noch wichtig sein können, sind:
Der Rechtsanwalt Seref Turgut übergibt dem Gericht ein Schreiben der Staatsanwaltschaft beim SSG, das ihm erlaubte mit seinem Mandanten in der Polizeihaft zu sprechen. Die Beamten der Anti-Terror Abteilung hätten ihm aber dennoch einen Kontakt verweigert.
Weiter unten auf Seite 2 des Protokolls wird der Angeklagte noch einmal befragt und sagt: "Bei der Polizei wurden mir Bilder vorgelegt. Ich habe aber niemanden erkannt. Dass die Person mit dem Namen A., den Nachnamen A. hat, haben die Polizisten mir gesagt. Ich habe die Person lediglich beschrieben. Den Nachnamen habe ich von der Polizei erfahren."
Ich habe in der Akte weitere Dokumente gefunden, die auf ein 2. Verfahren gegen E.S. schließen lassen. Es sind:
- Aussage vor dem Staatsanwalt Ayhan Kandemir vom 20.05.1996
- Anklageschrift vom 03.07.1996 gegen E.S. und A.A. Unterschrieben hat sie der Staatsanwalt am SSG Istanbul Fahrettin Cankaya, der E.S. am 27.10.1995 vernahm.
- 2 Seiten eines Verhandlungsprotokolls vom 24.06.1997 (evtl. SSG Istanbul 6, aber Teile sind unleserlich, es wird sich aber wohl um das Verfahren mit der Grundnummer 1996/169 handeln)
Aufgefallen ist mir u.a.: zum ersten Mal benutzt der Staatsanwalt ein Formblatt, an dessen Anfang eine Belehrung steht (d.h. das Formular oder das Blatt Papier, auf dem die Aussage protokolliert wird, hat am Anfang schon den Eintrag, dass eine Belehrung nach Artikel 135 alte TStPO stattfand). Immerhin protokolliert der Staatsanwalt nach dem Hinweis auf Widersprüche zu den seinerzeit vor der Staatsanwaltschaft und dem Haftrichter gemachten Aussagen: "Als ich diese Aussage(n) machte, kam ich gerade von der Polizei. Es war gefoltert worden. Ich spürte meine Arme nicht. Da die Polizei sagte, dass ich so aussagen solle, habe ich eine Aussage in ihrem Sinne gemacht."
Im weiteren Verlauf dieser Vernehmung wurde E.S. erneut auf einen Widerspruch zu seiner damaligen Aussage bei der Staatsanwaltschaft hingewiesen und es wird protokolliert: "Ich akzeptiere diese Aussage nicht, da die Polizisten bei mir waren und weil ich Folter ausgesetzt war und ich in der Weise, wie die Polizei es mir sagte und ich in dieser Richtung ausgesagt habe, habe ich (es) unter Druck gemacht..." (6)
Auf A.A. angesprochen sagt E.S. dieses Mal, dass ihm die Polizisten wohl sagten, dass dieser schon einmal wegen einer gewöhnlich kriminellen Sache auf die Abteilung kam, aber er wisse das nicht mehr so genau.
Die Anklageschrift vom 03.07.1996 richtet sich gegen E.S. und A.A. und fordert für beide Angeklagten eine Bestrafung nach Artikel 146(1) altes TStG. Es wird auf eine Anklageschrift vom 30.10.1995 verwiesen, in der E.S. wohl wegen Unterstützung (Artikel 169 altes TStG) angeklagt war.
Das zur Identifikation der Kammer (evtl. 6. Kammer am SSG Istanbul) schlecht leserliche Protokoll der Verhandlung in einem Verfahren mit der Grundnummer 1996/169 beginnt damit, dass eine Verhandlung vom 24.06.1997 auf den 16.09.1997 vertagt wurde. Es kann also sein, dass es sich um die Verhandlung vom 16.09.1997 handelt. Dieses Mal ist der Angeklagte E.S. aus dem Gefängnis vorgeführt worden (d.h. in den davor liegenden Verhandlungen nicht). Der Verteidiger Seref Turgut ist ebenfalls anwesend.
Angesprochen auf seine polizeiliche Aussage vom 26.10.1995 sagt E.S., dass sie unter physischer und psychischer Folter aufgenommen wurde und er sie deshalb ablehne. Im Protokoll ist das Datum der Vernehmung durch den Staatsanwalt mit Sicherheit falsch notiert. Diese lehnt der Angeklagte mit den Worten ab, dass die Polizei ihn mit Folter bedrohte, wenn er seine Aussage nicht wiederhole. Auch in Bezug auf die Aussage beim Haftrichter sagt er, dass er unter Drohungen der Polizei stand.
Der Verteidiger meldet sich zu Wort und sagt, dass sein Mandant wegen Unterstützung verurteilt wurde und das Urteil dem Kassationshof vorliege. Jetzt und seinerzeit vor Gericht habe er die gleiche Aussage gemacht. Es gebe Atteste und glaubwürdige Einlassungen seines Mandanten, dass er gefoltert worden sei. Die werde er dem Gericht vorlegen. Das SSG Istanbul habe zudem festgestellt, dass sein Mandant nicht wegen der gleichen Sache erneut angeklagt werden könne. (7)
Bei den 2 weiteren potentiellen "Mitangeklagten" des A.A., nämlich E.E. und G.M., ist die Sachlage vielleicht nicht ganz so kompliziert, obwohl durch Lücken in der Dokumentation auch hier Zweifel zu Vorgängen in den Jahren 1995 und 1996 bleiben. G.M. und wahrscheinlich auch E.E. waren seinerzeit schon einmal in den Verdacht politischer Aktivitäten geraten. Laut Anklageschrift mit der Grundnummer 1997/702 (mögliches Datum 21.05.1997, exaktes Datum kann ich nicht angeben, weil sie nur bis zur Seite 4 in Kopie vorlag) soll es ein Verfahren am SSG Istanbul Nr. 5 mit der Grundnummer 1995/205 geben, in dem auch E.E. angeklagt ist. In der Anklageschrift wird des Weiteren auf ein Ermittlungsverfahren gegen G.M. unter der Nummer 1995/1000 hingewiesen.
Während einige Details in Dokumenten zu den Anschuldigungen gegen G.M. vorgelegen haben, so sind mir aus den vorgelegten Unterlagen keine Einzelheiten zum Verfahren gegen E.E. aus dem Jahre 1995 bekannt. G.M. soll seinerzeit zwischen dem 29.05.1995 und dem 06.06.1995 in Polizeihaft gewesen sein (etwas länger als eine Woche). Er scheint zu diesem Zeitpunkt aber keine bedeutenden Selbstbezichtigungen, bzw. kein umfassendes Geständnis abgegeben bzw. unterschrieben zu haben, denn nach eigenen Angaben kam er nach 3 Monaten aus der U-Haft.
In der seinerzeit beim Staatsanwalt protokollierten Aussage hat G.M. am 06.06.1995 darauf hingewiesen, dass er die Aussage bei der Polizei mit verbundenen Augen unterschreiben musste (es wurde kein expliziter Hinweis auf Folter protokolliert) und zusätzlich eingeräumt, die Zeitschrift Kurtulus gegen Geld zu verkaufen und mit einem SE.E. (Bruder von E.E.; SE.E. kam bei den Vorfällen im Stadtteil Gazi im März 1995 ums Leben) verwandt zu sein. Das bedeutet, dass auch E.E. und G.M. miteinander verwandt sind.
Zu den mir übersandten Unterlagen gehört auch das Protokoll einer Vernehmung von E.E. durch den Staatsanwalt Yahya Erdogmus, das am 02.02.1996 stattfand. Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob diese Vernehmung im Februar 1996 mit dem Verfahren aus dem Jahre 1995 in Verbindung steht. Dies ist eigentlich unwahrscheinlich und somit wäre es möglich, dass E.E. sowohl im Jahre 1995, als auch in den Jahren 1996 und 1997 festgenommen wurde. Es würde des Weiteren bedeutet, dass er nach den Festnahmen in den Jahren 1995 und 1996 nicht lange in Haft (Untersuchungshaft = U-Haft) war.
In der Aussage vom Februar 1996 wird in Bezug auf die polizeiliche Aussage von E.E. protokolliert, dass er bei der Polizei aufgehängt und geschlagen wurde. Man habe seine Hoden gequetscht und dann habe er gesagt, dass er alles unterschreiben werde, was ihm vorgelegt werde. Es ist also davon auszugehen, dass G.M. und E.E. bei ihren Festnahmen in den Jahren 1995 und/oder 1996 schon einmal gefoltert wurden.
Die für A.A. bedeutenderen Angaben aber wurden anscheinend 1997 bei der Polizei gemacht. Es haben mir dazu vorgelegen:
- Polizeiliche Aussagen von E.E. (9 Seiten) und G.M. (3 Seiten) vom 09.05.1997. Der Inhalt dieser Aussagen und weiterer Dokumente wie Gegenüberstellung, Ortsbesichtigung etc. ist für die Beantwortung der Frage unerheblich, daher gehe ich darauf nicht näher ein.
- Jeweils getrennte Protokolle zur Vernehmung von G.M. und E.E. am 10.05.1997 durch den Staatsanwalt Müfit Büyükcolpan (je 2 Seiten)
- Gemeinsame Vernehmung durch den Militärrichter, Oberstleutnant Mustafa Cabuk vom SSG Istanbul Nr. 5 am 10.05.1997 (3 Seiten)
- Anklageschrift mit der Grundnummer 1997/702 (Datum unklar). Angeklagt sind E.E. und G.M.
- Verhandlungsprotokoll in der Sache 1997/175 vor dem SSG Istanbul Nr. 5 (3 Seiten). Die Verhandlung fand am 24.07.1997 statt und wurde auf den 02.10.1997 vertagt.
Ich werde aus den Aussagen bei der Staatsanwaltschaft und beim Haftrichter nur zusammenfassend zitieren. Die Vernehmungen fanden jeweils am 10.05.1997 statt. Glaubt man der Anklageschrift mit der Grundnummer 1997/702 so befand sich E.E. zu diesem Zeitpunkt 3-4 Tage und G.M. 2-3 Tage in Polizeihaft. (8)
Dem Staatsanwalt Müfit Büyükcolpan sagte G.M., dass die Polizei ihn zwang, eine vorbereitete Aussage zu unterschreiben, ohne sie lesen zu dürfen. Er sei geschlagen worden. In Bezug auf mögliche Folterspuren wird protokolliert, dass die in einem Attest aufgeführten Verletzungen entstanden seien, weil er (G.M.) gegen einen Schrank gestoßen worden sei. (9)
Der gleiche Staatsanwalt führte am gleichen Tag auch die Vernehmung von E.E. durch. Bei ihm wird fast identisch wie zu G.M. protokolliert, dass die Polizei ihn zwang, eine vorbereitete Aussage zu unterschreiben, ohne sie lesen zu dürfen. Anstelle von Schlägen wird erwähnt, dass er mit einer Waffe bedroht worden sei. In diesem Protokoll findet sich kein Hinweis auf ein Attest, das es nach Angaben seiner Verteidigerin M. K. (10)  aber geben soll.
Die Vernehmung von beiden Beschuldigten beim Militärrichter Oberst Mustafa Cabuk vom gleichen Tag geht ebenfalls nur kurz auf Foltervorwürfe ein. E.E. sagt, dass die Polizisten ihn zwangen, eine von ihnen vorbereitete Aussage zu unterschreiben. Zu G.M. wird ins Protokoll aufgenommen, dass er seine polizeiliche Aussage ablehne, weil er sie unter Druck (Synonym für Folter, s.o.) unterschreiben musste.
Zu den mir übersandten Dokumenten gehört auch das Protokoll einer Verhandlung vor dem SSG Istanbul Nr. 5 im Verfahren 1997/115. Das Verfahren gegen E.E. und G.M. soll auf einer Anklageschrift vom 20.05.1997 (vgl. oben, wo ich das Datum der Anklageschrift als 21.05.1997 vermutete) beruhen. Die Verhandlung fand am 24.07.1997 statt. Nach diesem Protokoll soll E.E. seine polizeiliche Aussage unter Hinweis auf Druck abgelehnt haben. Weitere Protokolle habe er unter Todessdrohungen unterschreiben müssen. Bei G.M. wird lediglich protokolliert, dass er seine polizeiliche Aussage ablehne.
Informativ wird auf ein Verfahren gegen G.M. vor dem SSG Istanbul Nr. 4 unter der Nummer 1995/211 hingewiesen. In dem Verfahren soll er als Mitglied der Organisation (Artikel 168(2) altes TStG = Türkisches Strafgesetz) angeklagt sein. Es soll auch noch ein Verfahren vor der gleichen (5.) Kammer des SSG Istanbul anhängig sein. Laut Verteidigung soll E.E. in einem weiteren Verfahren angeklagt aber freigesprochen worden sein. Das Verfahren soll die Grundnummer 1996/120 haben und vor der gleichen Kammer geführt worden sein. Die dem vorherigen Verfahren zugrunde liegenden Angaben sollen nach Ansicht der Verteidigung im Widerspruch zu der nun vorliegenden polizeilichen Aussage von E.E. stehen. Die Verteidigung weist auch darauf hin, dass G.M. bei der Polizei "gestand", von einem Ümit I. an Bomben geschult worden zu sein. Dieser sei zu dem Zeitpunkt aber im Gefängnis Aydin gewesen.
Nach Schilderung dieser Details blieben als wesentliche Fakten festzuhalten. E.E. und (etwas abgeschwächt) G.M. haben nach relativ kurzer Polizeihaft (jedoch ohne anwaltlichen Beistand) sehr schwere Vorwürfe gegen sich (und andere) "eingestanden". Sie haben in allen weiteren Stadien des Verfahrens diese Vorwürfe von sich gewiesen und (wenn auch nur in Andeutungen protokolliert) auf Folter hingewiesen. Mindestens G.M. scheint ein Attest erhalten zu haben, dass als materieller Hinweis auf Folter gesehen werden kann (selbst wenn Polizisten das Schupsen gegen einen Schrank zur Abwehr von einem Angriff des G.M. interpretieren würden).
Die Erfahrung mit der Behandlung bei der Polizei aus den Jahren 1995 und 1996 kann sich in unterschiedlicher Weise ausgewirkt haben. Auf der einen Seite wäre es unter der Annahme, dass sie schon damals gefoltert wurden, durchaus denkbar, dass sie ihre Widerstandskraft gegen Folter als gering einstuften und schon die Drohung mit Folter sie zu einem raschen Geständnis führte. Des Weiteren werden sie als Erfahrung mitgenommen haben, dass sie dennoch eine Chance auf milde Strafe oder Straffreiheit haben, wenn sie umgehend die bei der Polizei gemachten Angaben widerrufen (zumindest scheinen die Verfahren aus 1995 und/oder 1996 keine schwerwiegenden Konsequenzen gehabt zu haben: in einem Fall 3 Monate U-Haft und im anderen Fall gar Freispruch).
Bevor ich eine Antwort auf die Frage 2 versuche, sollte ich vorweg erwähnen, dass mich seit mehr als 20 Jahren mit dem Phänomen der Folter in der Türkei auseinander gesetzt und zahllose Berichte über die Qualen in der Polizeihaft zur Kenntnis genommen habe. Viele der Opfer habe ich persönlich interviewt, in anderen Fällen lagen mir detaillierte Schilderungen vor. Ich habe unzählige Prozessakten eingesehen und bin mit der Art der Protokollierung von Verhandlungen durch häufige Prozessbeobachtungen (u. a. für amnesty international) vertraut.
Ich bin durchaus der Meinung, dass im Kampf gegen die Folter in der Türkei seit 1997 graduell an Boden gewonnen wurde, selbst wenn Folter nicht vollkommen ausradiert werden konnte. Ich teile aber nicht die Meinung, dass Folter nur dann stattgefunden hat, wenn es materielle Beweise dafür gibt. Ich teile dafür die Ansicht des UN Berichterstatters zur Folter, der im Dezember 2002 die Überzeugung äußerte, dass die Beweislast im Falle eines Angeklagten, der Foltervorwürfe erhebt, auf die Anklagevertretung übergehen solle und sie den (über alle Zweifel erhabenen) Nachweis führen müsse, dass das Geständnis nicht mit ungesetzlichen Mittel, einschließlich Folter und Misshandlung erwirkt wurde. (11)
Ich sollte zum anderen darauf hinweisen, dass in den Jahren 1995 bis 1997 Folter an politischen Gefangenen in Polizeihaft (oder bei der Gendarmerie) die Regel war und es nur in absoluten Ausnahmefällen nicht zur Anwendung von Folter kam. Unter diesen Prämissen spricht eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Geständnisse von E.E. und G.M. (aber auch E.S.) unter Folter erpresst wurden. Soweit ihre dazu gemachten Angaben protokolliert wurden (es dürfte nur ein Bruchteil dessen sein, was sie wirklich sagten oder sagen wollten), finde ich die Angaben auch bezüglich der geschilderten Foltermethoden glaubwürdig.
Ein deutliches Indiz für die Anwendung von Folter sehe ich in der Bemerkung der Verteidigung, dass G.M. offensichtlich falsche Angaben (Schulung an Bombe durch eine zu jenem Zeitpunkt inhaftierte Person) bei der Polizei unterschrieben hat.
Es spricht meines Erachtens nicht gegen die Anwendung von Folter, wenn die Opfer keine Strafanzeige stellten (was sie evtl. taten, wozu aber keine Informationen vorliegen). Zunächst einmal ist es die Aufgabe der Beamten, die von solchen Vorwürfen hören (Staatsanwalt und Richter) ein solches Vergehen zur Anzeige zu bringen. Sie sollten in erster Linie kritisiert werden. Dies hätte in jedem Fall bei E.S. geschehen müssen. Er sprach in der Verhandlung vom 13.03.1996 davon, dass an seinen Händen noch Spuren von Folter zu sehen seien und sein Anwalt überreichte Atteste über die Gesundheit seines Mandanten am Ende der Polizeihaft. Daraufhin hätte mindestens die Staatsanwaltschaft von sich aus Ermittlungen aufnehmen müssen.
Es könnte allerdings auch so sein, dass entweder die Staatsanwaltschaft von sich aus tätig werden wollte oder aber aufgrund einer von den Betroffenen oder ihren Anwälten erstattete Anzeige dazu führte, dass ein Staatsanwalt Ermittlungen aufnehmen wollte, aber es an der Zustimmung des zuständigen Verwaltungsrats gescheitert ist. Damals musste dieses Gremium, dem u.a. der Gouverneur (oder Landrat) angehörte, erst zustimmen, damit gegen Beamte ermittelt werden konnte. Insofern ist die Tatsache, dass Polizeibeamte wegen Folter an E.E., G.M. und E.S. nicht angeklagt und/oder verurteilt wurden, kaum ein Indiz dafür, dass deren Beschwerden über Folter "aus der Luft gegriffen" sind.
Frage 3: Kann A.A. im Falle seiner Auslieferung in der Türkei mit einem fairen Gerichtsverfahren im Sinne des Artikels 6 EMRK rechnen?
Bevor ich zur Beantwortung der Frage komme, sollte ich vorausschicken, dass ein wesentliches Element von fairen (oder auch rechtsstaatlichen) Gerichtsverfahren nicht im Artikel 6 EMRK enthalten ist. Es ergibt sich aus einer Kombination des Folterverbots (Artikel 3 EMRK) mit dem Artikel 15 der UN Konvention gegen die Folter (CAT = Convention against Torture). (12)  Hieraus ergibt sich ein Verwertungsverbot von Aussagen, die unter Folter oder Misshandlung erwirkt wurden.
Ich sollte des Weiteren darauf hinweisen, dass in den Urteilen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EMRG) zu Verstößen gegen den Artikel 6 EMRK in der Türkei bis auf wenige Ausnahmen nur die Anwesenheit eines Militärrichters unter den 3 Richtern der Staatssicherheitsgerichte (bis Juni 1999) als Kriterium für unfaire Prozesse genommen wurde und alle anderen Aspekte unberücksichtigt blieben. Insofern fehlt eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Aspekt.
Die Rechtslage in der Türkei ist eigentlich klar. Die Türkei ratifizierte 1988 die UN CAT. Nach Artikel 90 hatte (und hat) diese (und andere) Konvention(en) sogar Priorität vor nationalem Recht, falls dieses im Widerspruch zu (ratifizierten) internationalen Bestimmungen stand (oder steht). Im Jahre 1992 führte die Türkei eine weitergehende Vorschrift in die Strafprozessordnung (StPO) als Artikel 135/a ein. (13)  Diese Bestimmung wurde durch die Reformen im Zuge der Anpassung an die EU um einen nicht unwesentlichen Zusatz erweitert. Der ansonsten mit dem alten Artikel 135/a StPO identische Artikel 148 neue StPO vom 1. Juni 2005 besagt in Absatz 4: "Eine Aussage bei den uniformierten Kräften, die ohne Anwesenheit eines Verteidigers aufgenommen wurde, darf nicht zur Urteilsfindung herangezogen werden, solange der Verdächtige oder Angeklagte sie nicht vor einem Richter oder Gericht bestätigt."
Leider sind diese Grundsätze von den erstinstanzlichen Gerichten und insbesondere den Gerichten, die über politische Gefangene urteilen, nicht berücksichtigt worden. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich an dieser Praxis in naher Zukunft etwas ändern wird. Zumindest konnte ich in Verfahren, die im Jahre 2006 fortgeführt wurden, keine Änderung feststellen. Auch der Kassationshof als Revisionsinstanz hat nur in wenigen Fällen auf eine Korrektur von Urteilen wegen Verstößen gegen Teile der Vorschrift hingewiesen. Für die überwiegende Mehrzahl der Fälle bietet die Rechtssprechung des Kassationshofs keinen Schutz.
Diese und weitere Feststellungen habe ich in ausführlicherer Form in einer umfangreichen Studie für die deutsche Sektion von amnesty international, Pro Asyl und der Holtfortstiftung (veröffentlicht am 23.02.2006) anhand von 18 Fallbeispielen getroffen. Das 300-seitige Gutachten zur "Rechtsstaatlichkeit politischer Verfahren in der Türkei" kann im Internet gefunden werden. Ich nehme hierauf vollinhaltlich Bezug.
Die zentrale Aussage des Gutachtens steht auf Seite 299: "Ich denke, dass praktisch für alle Verfahren, in denen Aussagen bei den uniformierten Kräften, die vor dem 1. Juni 2005 aufgenommen wurden und von denen glaubwürdig behauptet wird, dass sie unter Folter erpresst wurden, die Aussicht auf ein faires Verfahren nicht besteht, d. h. dass sie - entgegen dem Verwertungsverbot gem. Artikel 148 (neue) StPO - vor Gericht als Beweis zugelassen werden und entscheidend zur Urteilsfindung beitragen."
Ich möchte nun anhand der in meinem Gutachten entwickelten Kriterien zunächst auf die Verfahren gegen E.S., sowie E.E. und G.M. eingehen. Im letzteren Verfahren hätten schon der sie vernehmende Staatsanwalt und auch der Haftrichter die Aufgabe gehabt, Strafanzeigen gegen Unbekannt zu stellen, weil die Beschuldigten Foltervorwürfe erhoben. Das geschah anscheinend nicht. Mir ist auch keine Reaktion des Gerichts bekannt, das gegen sie verhandelte. Auch der in den Verhandlungen anwesende Staatsanwalt hat vermutlich nichts unternommen, um die Foltervorwürfe zu klären.
Ich gehe davon aus, dass das Gericht im weiteren Verlauf von sich aus keine Beweisaufnahme zu der Frage durchführte, ob die polizeilichen Aussagen mit ungesetzlichen Mitteln aufgenommen wurden. Nach geltendem Recht musste dazu nicht die Anwendung von Folter geklärt werden, sondern eine Antwort auf die Frage gesucht werden, ob die bei der Polizei unterschriebenen Aussagen dem freien Willen der Beschuldigten entsprechen oder nicht. Dies kann wohl kaum der Fall sein, wenn sie gleich nach dem Ende der Polizeihaft beim Staatsanwalt und Haftrichter widerrufen werden. Ohne eine Klärung dieser Frage kam das Gericht zu einem Schuldspruch, der weder durch die Aussagen beim Staatsanwalt, noch dem Haftrichter, bzw. vor dem verhandelnden Gericht gerechtfertigt gewesen wäre. Würde der Artikel 148 neue StPO vom 1. Juni 2005 auf dieses Verfahren Anwendung finden, wäre eine Verurteilung nicht möglich, denn die Aussagen bei der Polizei wurden nicht im Beisein eines Anwalts unterschrieben und vor keinem Richter oder Gericht bestätigt.
Nun ist es in der Türkei aber so, dass veränderte Verfahrensregeln (auch wenn sie für den Angeklagten günstiger sind) nicht rückwirkend gültig sind. Obwohl das Verfahren noch in der Schwebe ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass das SSG Istanbul Nr. 5 (seit 2004 Gericht Nr. 13 für schwere Strafen, bzw. die 13. Kammer des Landgerichts Istanbul) im Revisionsverfahren zu einem anderen Urteil kommen wird. Da die Verurteilung von E.E. und G.M. fast ausschließlich aufgrund ihrer polizeilichen Aussagen erfolgte, von denen mehrfach versichert wurde, dass sie unter Folter erpresst wurden, sind E.E. und G.M. nach meiner Ansicht aufgrund eines unfairen Verfahrens verurteilt worden, denn die zentralen Beweise unterlagen mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit einem international und national geltendem Verwertungsverbot.
Als einen Verstoß gegen Artikel 5 und 6 EMRK muss die lange Dauer des Verfahrens angesehen werden (Beginn 1997 und anscheinend 2006 immer noch anhängig, d.h. die Angeklagten, mindestens E.E., befinden sich seit mehr als 9 Jahren in U-Haft). Die lange Dauer dieses Verfahrens muss nicht zwangsläufig für A.A. bedeuten, dass gegen ihn ebenfalls sehr lange verhandelt wird. Sollte er jedoch ausgeliefert werden und bis dahin kein rechtskräftiges Urteil gegen E.E. und G.M. vorliegen, so haben sie zu befürchten, dass ihr Verfahren noch einmal von vorne beginnt (nach Zusammenlegung mit dem Verfahren gegen A.A.).
Ein weiterer Verstoß gegen Artikel 6 EMRK dürfte am Anfang des Verfahrens gegen E.E. und G.M. vorgekommen sein. Vor dem Staatsanwalt, der E.E. am 10.05.1997 vernahm, wies E.E. darauf hin, dass er am 09.05.1997 zu zwei Orten gebracht wurde (und nicht, wie bei der Polizei anscheinend notierte, dass er die Polizisten dort hinbrachte) und dort gezwungen wurde, in ein Mikrofon das zu sprechen, was ein Polizeibeamter ihm diktierte. In gleicher Form berichtete G.M. dem Staatsanwalt, dass er in einem Cafe einen vorbereiteten Text in ein Mikrofon sprechen musste.
Dies wird mit ziemlicher Sicherheit keine Inszenierung für weiteres audio-visuelles Belastungsmaterial in den Gerichtsakten gewesen sein, sondern so genannte Ortstermine in Anwesenheit der Medien. Das bedeutet, dass schon am Tage, als E.E. und G.M. Staatsanwalt und Haftrichter vorgeführt wurden, die Medien wahrscheinlich berichteten, dass der (die) Mörder eines Polizisten gefasst wurden. Dies ist ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung wie er nicht nur aus Artikel 6 EMRK sondern auch aus Artikel 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte hervorgeht. Im Unterschied zur langen Verfahrensdauer hat diese Verletzung des Artikels 6 EMRK auch Auswirkung auf ein Verfahren, das gegen A.A. angestrengt wird, denn er dürfte schon damals in der Presse als der Mittäter erwähnt worden sein (einen exakten Nachweis dazu konnte ich leider nicht finden, denn Zeitungsberichte aus jener Zeit habe ich weder in meinem Archiv noch im Internet finden können).
Ein solches Vorgehen war aber zu jenem Zeitpunkt durchaus üblich und entgegen dem Artikel 27 der Durchführungsverordnung zur Ergreifung, Festnahme und Vernehmung vom 1. Oktober 1998 (in der überarbeiteten Fassung vom 1. Juni 2005) waren solche Ereignisse mindestens im Jahre 2002 noch an der Tagesordnung (siehe den Fall von Mehmet Desde, den ich in meinem Gutachten vom Februar 2006 geschildert habe). (14)
Neben den polizeilichen Aussagen von E.E. und G.M. können die Angaben von E.S. und die in seiner Wohnung gefundenen Waffen als weitere "Beweise" angesehen werden. Eine unmittelbare Verbindung aber existiert nicht, denn E.S. kennt E.E. nicht. Die Verbindung wird erst durch den mit Auslieferung bedrohten A.A. hergestellt. Dazu müsste das Gericht davon ausgehen, dass der von E.S. erwähnte A. den Nachnamen A. hat und mit jenem A.A. identisch ist, den E.E. in seiner polizeilichen Aussage erwähnt.
Im Unterschied zu E.E. und G.M. könnte eher vermutet werden, dass bestimmte Teile der polizeilichen Angaben von E.S. auf freiem Willen beruhen, denn er hat diesen Teilen bei der Staatsanwaltschaft und dem Haftrichter anscheinend nicht widersprochen. Allerdings haben in der Hauptverhandlung weder das Gericht noch der anwesende Staatsanwalt etwas unternommen, als sie hörten, dass der Angeklagte bei der Polizei anders ausgesagt hätte, wenn es nach seinem freien Willen gegangen wäre. Ohne Untersuchung der Foltervorwürfe und damit, ohne klare Erkenntnisse zum Verwertungsverbot wurde E.S. als Mitglied einer illegalen Organisation verurteilt (nach dem Schreiben des SSG Istanbul Nr. 4 vom 20.06.2003 war die Verurteilung am 17.04.1998). Wäre das Gericht davon ausgegangen, dass die Aussagen bei der Staatsanwaltschaft und/oder dem Haftrichter auf freiem Willen beruhen (obwohl E.S. sagte, dass beim Staatsanwalt Polizisten anwesend waren und er auch bei seiner Aussage vor dem Haftrichter noch unter der Wirkung von Folterdrohungen stand) und hätte diese Aussagen als erwiesene Beweise genommen, so hätte das Urteil gegen ihn nicht auf Mitgliedschaft, sondern lediglich Unterstützung einer illegalen Organisation lauten dürfen.
Mit Verweis auf den Parallelfall Metin Kaplan (mehr Einzelheiten später, aber an diesem Punkt ist unerheblich ob Herr Kaplan abgeschoben oder ausgewiesen wurde) kann ich mir auch im Fall von A.A. nicht vorstellen, dass das über ihn befindende Gericht die von E.E., G.M. und E.S. erhobenen Foltervorwürfe untersuchen und erst danach einen Entscheid zum gesetzlich bindenden Verwertungsverbot treffen wird. Es wird sich höchstwahrscheinlich darauf berufen, dass die Beweiskraft der bemängelten Aussagen durch Urteile (anderer Gerichte) manifestiert wurde. Immerhin wird das über A.A. urteilende Gericht vielleicht eine andere Kammer aber im Prinzip eine der Kammern des vormals als SSG (Staatssicherheitsgericht) bekannten Gerichtes sein. Hier wurden die anderen 3 Personen verurteilt.
Wie im Fall Metin Kaplan könnte ein weiterer Verstoß (weitere Verstöße) gegen Artikel 6 EMRK hinzukommen, denn mit der gleichen Begründung könnte es das Gericht ablehnen, Zeugen der Verteidigung zu hören.
Ein unparteiliches Gericht müsste meines Erachtens davon ausgehen, dass der von E.S. beschuldigte A. möglicherweise nicht der Beschuldigte A.A. ist, denn dieser soll ja mit einem Decknamen operiert haben. Es wäre also zwingend geboten, mindestens diesen Zeugen vor Gericht zu hören und das Ergebnis einer Identifizierung abzuwarten. Aber selbst dies ist bei der vorherrschenden Praxis der Gerichte, die über politische Straftaten zu befinden haben, nicht unbedingt zu erwarten.
Frage 4: Sind die neuen Strafbestimmungen des Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus auch im Fall A.A. anwendbar?
Ich könnte mich hier mit einem einfachen "Ja" als Antwort begnügen, sollte aber dennoch in Erinnerung rufen, welche "alten" und "neuen" Bestimmungen auf A.A. anwendbar sind.
Nach Artikel 3 des Gesetzes 3713 zur Bekämpfung des Terrorismus (kurz: Anti-Terror Gesetz = ATG) vom 12.04.1991 fallen Vergehen wie ein Verstoß gegen Artikel 146 altes TStG unter dieses Gesetz. Dies wurde in Artikel 2 des Gesetzes 5532, mit dem Bestimmungen des ATG verändert wurden, zu den entsprechenden Artikeln des neuen TStG umgewandelt (anstelle Artikel 146 steht nun Artikel 309 im neuen TStG). Artikel 4 des Gesetzes 3713 führte neben den im Artikel 3 aufgelisteten Straftaten, die nach dem ATG abgeurteilt werden müssen, noch weitere Delikte auf. Die Palette dieser Straftaten wurde durch Artikel 3 des Gesetzes 5532 noch einmal erweitert (da sie aber für den vorliegenden Fall nicht relevant sind, werde ich nicht darauf eingehen).
Wichtig ist jedoch der Artikel 5 des Gesetzes 3713, denn für alle in den Artikeln 3 und 4 aufgeführten Straftaten gilt, dass die Haft- oder Geldstrafen um 50% angehoben werden müssen. Das Gesetz 5532 hat diese Bestimmung in Artikel 5 nicht verändert, sondern nur einen Zusatz hinzugefügt, dass bei einer Regelung, die sowieso schon eine Anhebung der Strafe vorsieht, wenn eine Tat mit organisatorischem Hintergrund ausgeführt wird, die Anhebung um 50% nicht gilt, allerdings darf die Erhöhung der Strafe dann nicht unter 2/3 liegen.
Änderungen an den Artikeln 6-9 dürften für den vorliegenden Fall nicht relevant sein, obwohl auch hierin Verschärfungen des bestehenden Rechts gesehen werden können. Wichtig aber ist die Änderung des Artikels 10 durch Artikel 9 des Gesetzes 5532. Die Bestimmungen der StPO werden hier für Angeklagte nach dem ATG dahin gehend abgeändert, dass nur ein Verwandter benachrichtigt werden darf und nur eine Person Rechtsbeistand leisten darf. Außerdem kann auf richterliche Anordnung (Antrag durch den Staatsanwalt) ein Rechtsbeistand für die ersten 24 Stunden verweigert werden. Wie ich schon oben ausführte, wird diese Bestimmung dazu führen, dass die Polizei in den ersten 24 Stunden keinen Rechtsbeistand zulässt.
Des Weiteren bestimmt der neue Artikel 10, dass anstelle der vollen Personalien nur die Dienstnummern unter Protokolle gesetzt werden. Dies macht die Identifizierung der Beamten im Falle von Foltervorwürfen schwieriger, soll aber wohl verhindern, dass Organisationen Racheakte an den betroffenen Beamten vornehmen.
Als weiteres Element von Artikel 10 kann die Akteneinsicht auf Antrag eines Staatsanwaltes durch richterlichen Beschluss eingeschränkt werden. So könnte es einem Verteidiger im Ermittlungsstadium verwehrt werden, bestimmte Dokumente einzusehen oder Kopien davon zu machen. Dies ist ein deutlicher Verstoß gegen die "Waffengleichheit" zwischen Anklage und Verteidigung.
Im Absatz e) bestimmt die neue Form des Artikels 10, dass bei dem "begründeten" Verdacht, dass ein Anwaltsgespräch zur Kommunikation zwischen dem Angeklagten und der Organisation dient, Anwaltsgespräche durch einen Beamten im Gefängnis mit gehört werden dürfen. Ein Richter darf übergebene Dokumente einsehen und gegebenenfalls beschlagnahmen.
Am Artikel 16 des ATG (Gesetz 3713) wurden keine Änderungen vorgenommen. Er besagt im Wesentlichen, dass Personen, die nach dem ATG angeklagt oder verurteilt werden, in speziellen Gefängnissen untergebracht werden (die Gefängnisse vom Typ F).
Eine andere Erweiterung zur alten Fassung des ATG ist in Artikel 17 (verändert durch Artikel 12 des Gesetzes 5532) zu sehen. Bis zum 01.06.2005 galt für Personen, die nach dem ATG verurteilt wurden, dass sie ¾ ihrer Strafe zu verbüßen haben, bevor sie (bei guter Führung) konditionell aus der Haft entlassen werden können. Bis zu diesem Datum galt für gewöhnliche Kriminelle, dass sie nach Verbüßung von 2/5 der Strafe in den Genuss einer konditionellen Entlassung kommen können (in Prozenten ausgedrückt: gewöhnliche Kriminelle konnten nach 40% ihrer Strafe entlassen werden, politische Gefangene erst nach 75% ihrer Strafe). (15)
Dies wurde in den Artikeln 107 und 108 des Gesetzes 5275 zum Strafvollzug, das ebenfalls am 01.06.2005 in Kraft trat, insofern korrigiert, dass für gewöhnliche Kriminelle nun mindestens 2/3 der Strafe verbüßt sein müssen, bevor eine konditionelle Haftentlassung erfolgen kann. Die Ungleichheit wurde somit "entschärft". Die Änderungen durch den Artikel 12 des Gesetzes 5532 besagen nun, dass Personen, die nach dem ATG verurteilt wurden, dann nicht vorzeitig auf Entlassung hoffen können, wenn sie einen Fluchtversuch unternommen haben, an einem Aufstand teilnahmen oder mindestens drei Mal mit Disziplinarstrafen in Form von Einzelhaft belegt wurden.
Des Weiteren bekräftigt der Absatz 4 des Artikels 12 im Gesetz 5532 eine im Artikel 107(16) des Gesetzes zum Strafvollzug sowieso schon vorhandene Bestimmung. Wer unter Bestimmungen des ATG zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt wird (dazu zählen die Artikel 146 altes TStG und 309 neues TStG), kommt nicht in den Genuss einer vorzeitigen Haftentlassung, d.h. sie bleiben bis zum physischen Tod im Gefängnis.
Auf weitere Bestimmungen des ATG und Änderungen durch das Gesetz 5532 möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen, denn es sollte deutlich geworden sein, dass für politische Gefangene andere Kriterien angewendet werden, als für gewöhnlich kriminelle Täter. Die im Strafrecht vorgesehen Strafen werden um 50% angehoben. Selbst wenn dies ein Automatismus für alle unter dem ATG summierten Straftaten ist, so halte ich die Behauptung, dass die Strafe für A.A., falls er ausgeliefert wird, nicht angehoben wird, für nicht haltbar. Sicherlich ist bei einer lebenslänglichen oder erschwerten lebenslänglichen Haft keine Steigerung um weitere 50% möglich, aber sollte A.A. nicht nach Artikel 309 neues TStG sondern z.B. nach Artikel 314 neues TStG (vormals Artikel 168 TStG) verurteilt werden, wird die dann verhängte Strafe um 50% angehoben. Ich sollte dabei erwähnen, dass der Artikel 168 TStG eine höhere Strafe vorsah, als der Artikel 314 neues TStG.
Festzuhalten bleibt: Mit dem ATG werden politische Gefangene diskriminiert. Neben ihrer Unterbringung in Hochsicherheitstrakten und den für gewöhnliche kriminelle Täter nicht bestehenden Ausnahmen zu einer konditionellen frühzeitigen Haftentlassung müssen sie im Unterschied zu den gewöhnlich Kriminellen mindestens 75% und nicht 66% ihrer Haft verbüßen, bevor sie entlassen werden können.
Nicht nur aus dem ATG sondern auch aus weiteren Gesetzen geht hervor, dass politische Gefangene 48 und nicht nur 24 Stunden in Polizeihaft gehalten werden können. Den politischen Gefangenen wurde das Recht genommen, vom Moment der Festnahme an Rechtsbeistand zu haben. Wiederum aus anderen Gesetzen abgeleitet, ist die maximal zulässige Dauer der Untersuchungshaft. Sie ist bei politischen Gefangenen doppelt so hoch, wie bei gewöhnlich kriminellen Tätern (d.h. politische Verfahren laufen grundsätzlich die Gefahr, nicht in einer angemessenen Frist (Artikel 6(1) EMRK) beendet zu werden. Schließlich kommt noch hinzu, dass die Verteidigungsrechte von politischen Gefangenen im Ermittlungsstadium nun (wieder) gesetzlich eingeschränkt werden dürfen.
Frage 5: Stellt die vorliegende Garantieerklärung der türkischen Botschaft in Bern einen Schutz gegen die Gefahr einer Behandlung dar, die nicht mit den dort erwähnten Menschenrechtsnormen zu vereinbaren ist?
Ich muss zunächst einmal vorausschicken, dass mein Schulfranzösisch nicht sehr qualifiziert ist. Ich denke dennoch, dass ich den Inhalt des Schreibens vom 04.07.2006 verstanden habe, da neben der Einhaltung der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) im wesentlichen auf konkrete Artikel des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte hingewiesen wird. Ich möchte mich bei der Beantwortung der Frage auf jene Bestimmungen beschränken, deren Einhaltung bei einer Auslieferung möglicherweise gefährdet sein könnte. Soweit ich den Text des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) zitiere, beziehe ich mich auf eine Übersetzung, die ich im Internet unter der Adresse http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_103_2/ gefunden habe. Artikel 2, Absatz 3 des IPBPR besagt verkürzt: "Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, a) dafür Sorge zu tragen, dass jeder... das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen."
Diese Bestimmung kann parallel zum Artikel 13 der EMRK gesehen werden, der wiederum verkürzt besagt, dass "Jede Person... hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben".
Ich darf hierzu feststellen, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EMRG) allein im ersten Monat des Jahres 2006 in 7 gegen die Türkei gerichteten Fällen festgestellt hat, dass ein Verstoß gegen Artikel 13 EMRK vorlag. (16)  Es gibt auch in den Monaten danach eine Menge solcher Entscheidungen, während nur in einem Fall zwischen Januar und Oktober 2006 entschieden wurde, dass keine Verletzung des Artikels 13 EMRK vorgelegen hat (natürlich auf jene Fälle beschränkt, in denen eine Verletzung behauptet wurde). (17)
Für Artikel 9 IPBPR möchte ich nur den Absatz 3 kommentieren, der ziemlich exakt dem Absatz 3 des Artikels 5 EMRK entspricht (verkürzt): "Jeder, der... in Haft gehalten wird, muss unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Amtsperson vorgeführt werden und hat Anspruch auf ein Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft."
Ich habe zur übermäßigen Dauer von politischen Verfahren, die nicht selten zu 10 oder mehr Jahren Untersuchungshaft geführt haben, ausführlich in meinem Gutachten vom Februar 2006 Stellung genommen. Hier sollte ich nur wiederholen, dass die gesetzlichen Änderungen vom Juni 2005 es immer noch möglich machen, dass politische Gefangene 10 Jahre lang in U-Haft gehalten werden können. (18) Zudem hat der Gesetzgeber in einem Sondergesetz verfügt, dass diese neue Bestimmung für politische Gefangene erst am 1. April 2008 in Kraft tritt (sonst hätten etliche von ihnen freigelassen werden müssen). (19)
Im Artikel 14 IPBPR halte ich den Absatz 2 für wichtig. Er entspricht dem Artikel 6(2) EMRK und lautet: "Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat Anspruch darauf, bis zu dem im gesetzlichen Verfahren erbrachten Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten." Ich hatte schon bei der Frage 3 zu fairen Gerichtsverfahren darauf verwiesen, dass die potentiellen Mitangeklagten von A.A. mit großer Wahrscheinlichkeit schon vor Beginn des Verfahrens in der Öffentlichkeit als schuldig dargestellt wurden und sie bei der öffentlichen Selbstbezichtigung sehr wahrscheinlich auch A.A. als Schuldigen benannt haben. Diese Bestimmung dürfte also schon zum jetzigen Zeitpunkt verletzt worden sein. Wie ich aber sagte, fehlt mir derzeit ein eindeutiger Nachweis dafür.
Aus dem Absatz 3 des Artikels 14 IPBPR ist der Unterpunkt c) eine Bestärkung des Rechtes, dass Prozesse nicht verzögert werden. Dies entspricht dem Recht auf ein Urteil in angemessener Frist, wie es in Artikel 6(1) EMRK verbürgt ist. Hier gilt das Gleiche, was ich schon zu Artikel 9(3) IPBPR gesagt habe.
Die ebenfalls unter Artikel 14 IPBPR aufgeführten Verteidigerrechte werden nach weiteren Bestimmungen des IPBPR, deren Einhaltung versichert wird expressiv verbis zugesichert. Soweit ich die französische Formulierung verstanden habe, wird ein unbeschränkter und nicht überwachter Kontakt zu einem Anwalt zugesichert.
Die Erklärung wurde nach den Änderungen im ATG abgegeben und übersieht ganz einfach, dass auf Antrag eines Staatsanwaltes und richterlichen Beschluss diese Rechte nun eingeschränkt werden können und weder die Regierung in Ankara noch die Botschaft in Bern hätte die Möglichkeit, einen Richter an einer solchen Entscheidung zu hindern. Es ist seit dem 29.06.2006 gültiges Recht in der Türkei, diese Rechte einzuschränken und daher kann Gegenteiliges nur unter der Prämisse garantiert werden, dass der Innenminister den Beamten, die den evtl. Ausgelieferten in Empfang nehmen, strikte Anweisung erteilt, dass er gleich einem Haftrichter vorzuführen ist.
Ähnliches gilt für die Zusicherung, dass im Falle der Auslieferung der Betroffene Besuch von seiner Familie, seiner Verwandtschaft und seinem sozialen Umfeld empfangen darf. Zunächst einmal gibt es etliche Bestimmungen und immer wieder neue Dekrete und Erlasse, die den Besuch von Gefangenen einschränken. Das "soziale Umfeld" wird in den seltensten Fällen einen Besuch durchführen können. Zum anderen ist es eine der beliebtesten Disziplinarstrafen (gerade in den F-Typ Gefängnissen der Türkei) das Schreiben von Briefen, Telefonieren aber auch das Recht auf Besuch für bestimmte Zeiten zu verbieten. Dies ist eine im Rechtssystem vorgesehene Maßnahme der Verwaltung, die ebenfalls weder die Regierung in Ankara noch die Botschaft in Bern unterbinden kann.
Soweit ich die Zusicherung im Punkt b) verstanden habe, wird garantiert, dass keine Strafe durch ein Ausnahmegericht verhängt wird. Soweit darunter verstanden wird, dass es kein Militärgericht oder ein Gericht mit Militärrichter sein wird, das über A.A. zu urteilen hat, stimmt das. Jedoch sind die ehemals als Staatssicherheitsgerichte bekannten Gerichte Ausnahmegerichte, weil sie nur eine bestimmte Art von Verfahren führen (alle, die unter das ATG fallen). Daran hat sich auch nach der formellen Abschaffung (für mich Umbenennung der Gerichte) im Juni 2004 nichts geändert. In der revidierten Form des ATG steht ausdrücklich, dass die Verfahren dieser Delikte vor den nach Artikel 250 TStPO zuständigen Gerichten zu führen sind und die Sonder-Bestimmungen der Artikel 250-252 TStPO gelten. (20)
Eine abgewogene Garantieerklärung hätte diese Tatsache berücksichtigen und gegebenenfalls einen Kommentar dazu abgeben müssen.
Im Unterpunkt c) geht es vor allem um das Folterverbot wie es in Artikel 7 IPBPR und Artikel 3 EMRK verankert ist. Dazu möchte ich anmerken, dass die derzeitige Regierung mit der Parole "Null-Toleranz gegen Folter" für ihren Einsatz gegen die Folter immer wieder gelobt wurde und etliche Gesetzesänderungen (Verkürzung der Polizeihaft, Zugang zu einem Anwalt etc.) durchaus Wirkung erzielt haben. Dennoch ist es der Regierung nicht gelungen, Folter zu eliminieren und in Bezug auf Straffreiheit für Folterer muss (wie auch an anderen Punkten) die Gesetzesreform zum 1. Juni 2005 (sowie Änderungen danach) als Rückschritt von zuvor getroffenen Maßnahmen angesehen werden.
So zählen z.B. Prozesse gegen Folterer nicht mehr zu den dringlichen Verfahren (wie es Verfahren nach dem ATG sind), es gibt keine Vorschrift mehr, dass Haftstrafen nicht in Geldstrafen umgewandelt und nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können und es gibt immer noch die Möglichkeit der Verjährung (selbst wenn die Fristen durch erhöhte Strafen, falls es mal zu einer Verurteilung kommen sollte, länger sind).
Bei der nach wie vor zu beobachtenden weiten Verbreitung von Folter und Misshandlung in der Türkei, sind sicherlich Zweifel angebracht, ob alle mit dem Betroffenen befassten Beamten sich auch explizit an diese Garantie halten würden. Ich möchte nur darauf verweisen, dass allein die Zweigstelle Diyarbakir des Menschenrechtsvereins IHD in den ersten neun Monaten dieses Jahre 293 Beschwerden zu Folter und Misshandlungen verzeichnete. (21)
Des Weiteren wird unter c) versichert, dass die evtl. zu verhängende Strafe nicht wegen einer politischen Meinung oder Aktion angehoben wird. Selbst wenn einem Mord und insbesondere der Mord an einem Polizisten der politische Charakter abgesprochen werden sollte, so ist das ATG seinem Charakter nach Gesinnungsjustiz, denn sobald ein Delikt unter diesem Gesetz subsumiert wird, muss eine dementsprechende Strafe "automatisch" um 50% angehoben werden.
Es sollte dabei auch nicht außer Acht gelassen werden, dass A.A. nicht für Mord, bzw. seine Beteiligung an einer solchen Tat abgeurteilt werden soll. Da er selber nicht als Mörder beschuldigt wird, hätte er als Maximalstrafe keine erschwerte lebenslange Haft zu befürchten (die wegen seiner Minderjährigkeit zur Tatzeit natürlich reduziert werden würde). Beihilfe zum Mord würde der Vorwurf bei einem unpolitischen Mord lauten und auch nach türkischem Recht wäre keine so drastische Strafe zu erwarten gewesen. Der Tatvorwurf bei A.A. aber lautet, dass er als militantes Mitglied einer gewaltbefürwortenden Organisation, das sich nicht scheute, eine Waffe in die Hand zu nehmen und bei einem Kapitalverbrechen beteiligt war, für den gewaltsamen Umsturzversuch der verfassungsmäßigen Ordnung bestraft werden soll.
Hätte es bei den Aktionen, an denen A.A. beteiligt gewesen sein soll, keine Toten gegeben, dann wären die Beteiligten "nur" wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation angeklagt worden. Aber auch in diesem Fall wäre die zu verhängende Strafe um 50% angehoben worden. Die Zusicherung, keine erschwerte Strafe wegen einer politisch motivierten Tat zu verhängen, wird dann noch einmal im Punkt d) wiederholt. Hinzu kommt die Zusicherung, dass mit der Auslieferung keine politischen Ziele verfolgt werden.
Inwieweit mit diesen Zusicherungen auch die weiteren diskriminierenden Maßnahmen, die sich zwangsläufig bei politischen Gefangenen einstellen, gemeint sind, bleibt fraglich. Zur Wiederholung: A.A. würde auch schon während seiner U-Haft in einem Hochsicherheitstrakt (Gefängnis vom Typ F) untergebracht, an denen die Kritik wegen der vorherrschenden Politik der Isolation der Gefangenen nicht verstummt ist und es mehr als 100 Tote in und außerhalb der Gefängnisse gegeben hat, um die Belegung dieser "modernen" Haftanstalten zu verhindern. (22)
Für A.A. kommt hinzu, dass er frühestens nach ¾ seiner Haft (nicht nach 2/3) die Möglichkeit hätte, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden und er dürfte (gesetzlich abgesichert) doppelt so lange in U-Haft gehalten werden, wie gewöhnlich kriminelle Täter. Als dies kann simpel ausgedrückt als "Polit-Malus" angesehen werden, mit denen politische Täter auch für ihre Gesinnung bestraft werden sollen.
Obwohl die Liste der zugesicherten Rechte in der Erklärung der türkischen Botschaft in Bern vom 04.07.2006 sehr lang ist, fehlt ein für mich entscheidendes Kriterium: die Einhaltung des Artikel 15 UN CAT (bzw. des Artikels 135/a alte oder des Artikels 148 neue TStPO). Sicherlich würde wohl auch eine solche Erklärung abgegeben werden, denn von offizieller Seite würde wohl kaum bescheinigt werden, dass bestimmte Gerichte internationales und nationales Recht nicht oder nur äußerst unzureichend berücksichtigen.
Insgesamt kann die abgegebene Erklärung als lückenhaft, bzw. interpretationsbedürftig angesehen werden, denn es werden effektive Beschwerdemöglichkeiten garantiert, obwohl das EMRG immer wieder feststellt, dass diese Möglichkeiten in der Türkei nicht bestehen. Dazu wurde keine Erklärung abgegeben. Es wurde auch nicht erklärt, wie ein uneingeschränkter und unbeaufsichtigter Kontakt zum Anwalt garantiert werden kann, wenn das Gesetz für politische Gefangene eindeutige Ausnahmen zulässt. Es wurde auch nicht deutlich gemacht, wie ein Besuch beim Gefangenen ermöglicht werden soll, falls ihm aus disziplinarischen Gründen ein Besuchsverbot auferlegt wird.
Des Weiteren hätte erläutert werden müssen, warum in den diskriminierenden Maßnahmen des ATG und der Artikel 250-252 neue TStPO keine Verschärfung von Strafe und Haft aufgrund politischer Ansichten gesehen wird. Eine Stellungnahme zum Artikel 15 UN CAT fehlt schließlich gänzlich.
Lassen Sie mich abschließend noch Anmerkungen zu dem aus Deutschland abgeschobenen Metin Kaplan machen. Er wurde zwar abgeschoben, aber parallel dazu war ein Auslieferungsverfahren anhängig und die mit beiden Fragen (Abschiebung und Auslieferung) beschäftigten Gerichte waren sich nicht einig in der Frage, ob Metin Kaplan in den Genuss eines fairen (rechtsstaatlichen) Verfahrens kommen würde.
Der damalige Innenminister Otto Schily ist zu diesem Zweck extra in die Türkei gereist und hat danach öffentlich bekannt gegeben, dass die türkische Regierung ein faires Gerichtsverfahren zugesichert habe. Die Bildzeitung will sogar eine solche Zusage vom Ministerpräsidenten Erdogan persönlich erhalten haben. (23)
Der Fall war besonders in der deutschen Öffentlichkeit sehr prominent und auch in der Türkei wurde eine öffentliche Diskussion um diesen Fall geführt. Da ist es schon etwas erstaunlich, wenn das anschließende Verfahren in der Türkei so gut wie gar keine Beachtung fand und Einzelheiten daraus kaum bekannt sind. Ich habe in meinem Gutachten vom Februar 2006 den Fall mit etlichen Einzelheiten referiert und komme zu dem Schluss, dass entgegen etwaiger Zusicherungen seitens der türkischen Regierung Metin Kaplan kein faires Gerichtsverfahren hatte. Er wurde vor allem aufgrund von Aussagen anderer (verurteilter) Angeklagten zu erschwerter lebenslanger Hat verurteilt, von denen diese glaubwürdig versicherten, dass sie unter Folter aufgenommen wurde. Weder das Gericht, dass diese Personen verurteilte (in dieser Kammer war der Vorsitzende der Kammer, die über Metin Kaplan urteilte Beisitzer, und zwar der eine von drei Richtern, der sich für härtere Strafen aussprach) noch das Gericht, das über Kaplan richtete, ist diesen Vorwürfen nachgegangen. Das über Kaplan urteilende Gericht hat sich sogar geweigert, diese Personen in der Hauptverhandlung anzuhören.
Der Kassationshof hat das Urteil gegen Kaplan allein aus formalen Gründen (wie das Fehlen einer Unterschrift) aufgehoben und ist auf den kritischen Punkt des Verwertungsverbots von mit illegalen Methoden erwirkten Aussagen nicht eingegangen.
Ich denke, dass dieser Fall ein klarer Hinweis darauf ist, dass etwaige Zusicherungen nach einer Abschiebung (oder Auslieferung) sehr schnell in Vergessenheit geraten können, zumal sich weder die türkische noch die deutsche Regierung um die Sache zu kümmern scheinen.
 
Hamburg, den 03.12.2006           Helmut Oberdiek

Fußnoten:
1.  In meinem Bericht werde ich die Namen in nicht unbedingt den wahren Namen entsprechenden Initialen wiedergeben.
2.  Artikel 91 der neuen Strafprozessordnung (Ceza Muhakemeleri Kanunu = CMK), das Gesetz mit der Nummer 5271 vom 1. Juni 2005
3.  Fundstelle des deutschen Textes: http://www.tuerkeiforum.net/extra/2006/extra06.html
4.  Dennoch wurde die Untersuchungshaft "lediglich" wegen Unterstützung einer bewaffneten Bande (Artikel 169 altes TStG) angeordnet.
5. Den Vorsitz der Kammer hatte wiederum ein Militärrichter, Oberstleutnant Mustafa Ugur. Unter den Militärrichtern gab es Personen, die sehr schlecht protokollierten, aber auch Juristen, die deutliche Worte auch bei der Protokollierung von Foltervorwürfen fanden.
6.  Ich habe die Fehler im Satzbau und der Ausdrucksweise absichtlich beibehalten, H.O.
7.  Nach dem Antrag des SSG Istanbul Nr. 4 vom 20.06.2003, das dem Schreiben der Botschaft in Bern vom 08.08.2003 vermutlich angefügt war, wurde E.S. anscheinend am 17.04.1998 durch das SSG Istanbul Nr. 4 mit einem Urteil Nr. 1998/101 und der Grundnummer des Verfahrens 1996/280 als Mitglied (Artikel 168 altes TStG) verurteilt, aber wegen des Mordes an dem Polizeibeamten Ali Ünlü freigesprochen. Ob es sich hier um ein drittes Verfahren gegen E.S. handelt oder ob lediglich aufgrund von Abtrennung und/oder Zusammenlegung andere Aktenzeichen eingeführt wurden, vermag ich nicht zu beurteilen. Der Antrag des SSG Istanbul Nr. 4 enthält keine Angaben dazu, ob dieses Urteil rechtskräftig wurde oder nicht.
8.  Ich sollte darauf hinweisen, dass zu jener Zeit die späte Registrierung einer Festnahme keine Seltenheit war, d.h. die Polizeihaft kann unter Umständen länger gewesen sein.
9.  An dieser Stelle sollte ich erneut darauf verweisen, dass nicht die Angaben des Beschuldigten protokolliert werden, sondern das was der Staatsanwalt (oder Richter) von diesen Angaben wiedergeben will. An diesem Eintrag sehe ich in erster Linie den Versuch, möglichen Foltervorwürfen (bzw. einer Klage durch die Verteidiger) vorzubeugen, in dem das Attest auf "gewöhnliche" Verletzungen und nicht systematische Folter hin interpretiert wird. Der Beschuldigte könnte hindessen z.B. von Methoden berichtet haben, die keine Spuren hinterlassen.
10.  Angaben in einem Fax an RA M. B. vom 20.09.2006
11.  General recommendations of the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment, in E/CN.4/2003/68, 17 December 2002, par. 26 (k).
12.  Artikel 15 der UN CAT besagt: "Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde."
13.  Die Vorschriften zu verbotenen Verhörmethoden im Artikel 135/a - sind:  zugefügt durch Gesetz: 3842 - 18.11.1992) Die Angaben eines Aussagenden oder Angeklagten müssen auf freiem Willen beruhen.
Körperliche oder seelische Maßnahmen, die geeignet sind, das zu verhindern wie Misshandlung, Folter, erzwungene Zufuhr von Medikamenten, ermüden, betrügen, körperliche Gewalt, sowie Mittel, die den Willen brechen, dürfen nicht eingesetzt werden. Es darf kein ungesetzlicher Vorteil versprochen werden. Aussagen, die mit den oben beschriebenen verbotenen Methoden aufgenommen wurden, dürfen selbst bei Einwilligung nicht als Beweismittel verwertet werden.
14.  Artikel 27 besagt, dass die Unschuldsvermutung allen Ermittlungen zugrunde liegt. Es dürfen gegenüber der Öffentlichkeit und Presse im Rahmen der Ermittlungen keine Erklärung über die Schuld einer Person abgegeben werden; der Presse dürfen keine Interviews gegeben werden. Es dürfen keine Abbildungen der Personen weiter gegeben oder der Presse erlaubt werden, Abbildungen anzufertigen. Der Inhalt der Ermittlungsakten darf nicht veröffentlicht werden.
15.  Ich gehe an dieser Stelle nicht auf die jeweils unterschiedlichen Reduzierungen bei lebenslanger oder erschwerter lebenslanger Haft (früher Todesstrafe) ein, da die Prozentsätze den Unterschied schon deutlich machen.
16.  Biskin v. Turkey (no. 45403/99); Güler v. Turkey (no. 49391/99); Halis Dogan and Others v. Turkey (no. 50693/99); Mordeniz v. Turkey (no. 49160/99); Yavuz v. Turkey (application no. 67137/01); Nazif Yavuz v. Turkey (no. 69912/01); Yasar v. Turkey (application no. 46412/99)
17.  Das ist der Fall Bayrak and Others v. Turkey (no. 42771/98).
18.  Bis zum 1. Juni 2005 gab es keine Beschränkung der U-Haft für Taten, die mehr als 7 Jahre Haft erforderten.
19.  Vgl. auch den Bericht von Amnesty International "Turkey: Justice Delayed and Denied: The persistence of protracted and unfair trials for those charged under anti-terrorism legislation" (AI Index EUR 44/013/2006 vom 06.09.2006).
20.  Ausführlichere Kommentare zu den Staatssicherheitsgerichten und den an ihre Stelle getretenen Gerichte finden sich in meinem Gutachten vom Februar 2006.
21.  Fundstelle: http://www.tuerkeiforum.net/wochen/2006/0642.html
22.  Ich möchte auf eine detaillierte Studie zu den F-Typ Gefängnissen verzichten, da sie den Rahmen des Gutachtens sprengen würde, sollte aber dennoch auf den Bericht des CPT vom September 2006 verweisen, in dem grundsätzlich das Unterfangen gelobt wird, aber auch deutlich wird, dass die nach dem Gesetz verbürgten Mindestansprüche der Gefangenen nicht eingehalten werden.
23.  Vgl. http://magazine.web.de/de/themen/nachrichten/deutschland/recht/327054.html
 
 
 

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