10 Jahre später

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Was ich nach mehr als 10 Jahren (5 davon in der Türkei verbracht) anders oder detaillierter sehe:

Ich habe mich mangels anderer Quellen damals fast ausschließlich auf die Angaben von Ibrahim Eren gestützt. Da er sich öffentlich aber als bisexuell hinstellte, kann nicht einmal behauptet werden, dass er der erste bekennende Schwule der Türkei war. Negativ ist mir später auch noch aufgefallen, dass er mit seiner ominösen Radikaldemokratischen Grünen Partei in einer sonderbaren Koalition mit anderen Randgruppen gegen Claudia Roth protestierte (vermutlich ging es um ihren Einsatz für die Kurden). Das in Ankara angesiedelte Magazin Kaos GL lobt ihn in der englischen Geschichtschreibung der schwul-lesbischen Bewegung zwar als Vorreiter, aber er genießt in schwulen Kreisen kein großes Ansehen, weil er sein Engagement mit Geschäftemacherei (Saunen und Hamams für Schwule) verquickte.

Neben den Zahlenangaben würde ich eine Ausdrucksweise von Ibrahim Eren heute etwas kritischer sehen. So wird die unterschiedliche Toleranz in Griechenland und der Türkei damit erklärt, dass "durch die westliche Orientierung der Türkei eine verstärkte Kategorisierung vorgenommen und damit Andersartige abgewertet wurden". Das müsste doch dann auch auf Griechenland zutreffen, oder?

Was die Prozentzahlen angeht, so sind das immer nur subjektiv vorgenommene Schätzungen. Pauschal hat das jemand mal so ausgedrückt. 10% der Gesellschaft sind rein homosexuell und 10% rein heterosexuell. Dazwischen liegt die große Mehrheit. Eine andere (nicht nur witzig gemeinte) Äußerung hörte ich von einem schwulen Arzt in Istanbul. Er sagte, dass es keine heterosexuellen Männer gibt, sondern nur Männer, die nicht mit Schwulen schlafen. Dies kommt etwas dem von Ihrahim Eren geprägten Begriffes des türkischen Mannes als omnipotent entgegen.

Ibrahim Eren ist mittlerweile "in der Versenkung verschwunden". Dafür haben andere Gruppen eine mehr oder weniger rasante Entwicklung durchgemacht. In Istanbul nimmt die Gruppe Lambda für sich in Anspruch die türkische Variante von ILGA (International Lesbian and Gay Association" zu sein. Hier hat lange Jahre der Deutsche Heribert Mürmann mitgearbeitet, bis er sich aus (mir unbekannten, ideologischen?) Gründen trennte. Die immer noch von Anarchismus geprägte Gruppe Kaos GL betreibt in Ankara sogar ein gut besuchtes Cafe und wurde kürzlich als Verein anerkannt. In Bursa hat ein anderer Verein nach Schwierigkeiten die Anerkennung erreicht.

Die Verbreitung des Internet und die Möglichkeit von chats oder mailgroups hat die Möglichkeiten erhöht, dass bei einem Mindestmaß an Anonymität viele Schwule und Lesben nun mit ihresgleichen in Kontakt treten können. Mit einer entsprechenden Webseite können auch kleine Gruppen gleich eine Vielzahl von Betroffenen erreichen. Dies war eine der Gründe für den Erfolg der "Bären der Türkei", von denen sich dann noch eine Gruppe der "Bären von Anatolien" abspaltete. Sie gab vor, politischer zu sein, hat sich aber inzwischen wieder aufgelöst.

Die Bären in der Türkei wurden "berühmt", als ein Journalist über den auf internationaler Ebene organisierten Besuch bei den Ringern in Öl in Kirkpinar zum Anlass nahm, gegen die Verunglimpfung des traditionellen Sportes als Sexobjekt zu protestieren. Der Besuch musste abgesagt werden. Es hat aber auch positive Berichte gegeben oder besser gesagt, die Berichterstattung in der Türkei wird immer besser. So gab es einen guten Artikel nach einem Treffen der Bären mit Familienangehörigen unter dem Motto "Informierte Familie". Seit einem Jahr bringen die Bären der Türkei auch ein mit erstaunlicher Technologie (sozusagen in Hochglanz) erstellten Online-Magazin heraus. Es ist leider nur in Türkisch, so dass mensch mindestens wissen sollte, dass in dem Magazin durch Klicken auf die unteren linke und rechten Ecken manövriert wird. Wer dennoch einen Blick hineinwerfen mag hier ist der [zu Bear-Gi] (dergi heisst Magazin im Türkischen).