Ahmet

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Ahmet Garip * 21.01.1959 in einem Dorf im Kreis Sındırgı (Provinz Balıkesir), † 22.02.2007 in Yenifoça (Provinz Izmir). Er hinterlässt seine Frau Tenzile, seine Tochter Sibel und seinen Sohn Isa.

Ahmet in seiner Cafeteria

Werdegang

Viel weiß ich nicht über die schulische und berufliche Laufbahn von Ahmet. Als Sohn eines Bauern wird er gerade mal die Grundschule absolviert habe. Was er bis zum Militärdienst gemacht hat, weiß ich nicht, aber er wird kurz danach geheiratet haben.

Im Alter von etwa 30 Jahren kam er nach Yenifoça. Hier hat er sich auf die unterschiedlichste Art und Weise betätigt. Er war bei der Stadtverwaltung angestellt und hat dort als Bauarbeiter und Fahrer gearbeitet. Eine Zeitlang hat er mit seiner Frau auf dem Wochenmarkt einen Stand gehabt.

Ahmet bei einem Stand auf dem Markt

Ahmet wurde erst richtig bekannt, als er sich als Taxifahrer betätigte. Ich jedoch habe ihn erst kennen gelernt, als er mit seiner Frau Tenzile die Cafeteria "Sizin Cafe" (Euer Cafe) betrieb.

Ladenbesitzer

Ein richtiges Schmuckstück war die Cafeteria ja nicht. Es gab nur (leicht verschmutzte) Plastikstühle und wackelige Plastiktische. Zum Teetrinken reichte es allemal und -obwohl es keine Speisekarte gab- konnte man hier für wenig Geld den Hunger stillen (entweder Hackbällchen oder Rührei mit Knoblauchwurst). An den wenigen Wochenende, an denen die Wehrdienstleistenden Ausgang hatten, konnte Ahmet sich über ihre Kundschaft freuen, denn sie hatten so wenig Geld, dass sie ohne den Ausblick aufs Wasser lieber billige Kost zu sich nahmen.

An solchen Tagen brauchte Ahmet Personal zur Aushilfe, da sein Sohn Isa (Militärdienst in Istanbul) und seine Tochter Sibel (anderweitig beschäftigt) nur bedingt zur Verfügung standen. Es ehrte mich zwar, ob seines Vertrauens, dass er mich an die nur in den letzten 2 Jahren vorhandene Kasse setzen wollte (seine Frau war Anaalphabetin und konnte schlecht rechnen), aber das war dann doch keine Aufgabe für mich. Zum Glück hatte er in den letzten Jahren Hilfe von einem Pensionär aus Manisa, so dass ich nicht mehr aushelfen brauchte.

Qualitäten

Ahmet war in allem, was er tat, eher Durchschnitt. Weder seine Frau noch er verfügten über wirkliche Kochkünste. Der Betrieb einer Cafeteria war stets auf ein Minimum beschränkt (Einrichtung und Dekoration). Allerdings hatte Ahmet eine Eigenschaft, die seiner übrigen Familie fehlte. Er vermochte Leute in seinen Laden zu locken und gab ihnen das Gefühl, dort willkommene Gäste zu sein. Schon bei meinem ersten Besuch mit Emin sprach er mich als Helmut an und tat so, als würden wir uns seit Urzeiten kennen.

Seine Gastfreundschaft war nie auf das Geschäft beschränkt. So hat er nicht nur mich sondern auch alleinstehende Hauptgefreite, die nach ihrem Dienst im Südosten zur "Erholung" abkommandiert waren, zu sich nach Hause eingeladen (bei einem verheirateten Menschen keine Selbstverständlichkeit). Ahmet war stets hilfsbereit und packte selber mit an, wenn er keine entsprechenden Handwerker vermitteln konnte. Kam es zu einem Streit, so war Ahmet der Erste, der sich vermittelnd einmischte.

Ahmet kannte fast jeden und verstand sich auch fast mit allen Leuten (bis auf wenige, die ihm das Geschäft neideten). Er wäre für das Amt des Stadtteilvorstehers (muhtar) prädestiniert gewesen, wenn ihm nicht jedes Mal ein Mensch, der sich kaum blicken ließ, den Rang abgelaufen hätte und das nur, weil er aus dem Ort stammte und Ahmet "erst" knapp 20 Jahre im Ort war.

Weltanschauung

Seine politischen Ansichten lassen sich vielleicht als konservativ beschreiben, obwohl er weder einer solchen noch einer anderen Partei beigetreten ist. Ihm waren Kurden verhasst, da sie Konkurrenten um billige Arbeitsplätze waren und weil sie sowieso niemand im Westen mochte. Es wäre für mich unmöglich gewesen, mit Ahmet über irgendein politisches Thema zu diskutieren. Er hätte zum Beispiel nie verstanden, warum jemand den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern kann und auch den Einsatz für Menschenrechte hätte er nicht verstehen können.

Ich habe ihm mein Buch Die da draußen Ende 2005 "geschenkt" und angeblich hatte sein Sohn Isa begonnen, das Buch zu lesen. Verstanden hat er aber wohl nichts, denn es kamen nie Fragen nach meiner Arbeit in London oder Kontakten zu Politikern oder anderen bekannten Persönlichkeiten in der Türkei. Ahmet war weit davon entfernt, ein Sozialist zu sein, hat mich aber immer wieder mit seiner sozialen Einstellung überzeugt. Deshalb war es mir unmöglich, seine als selbstverständlich angebotene Freundschaft in irgendeiner Weise in Frage zu stellen.

Ahmet und Tenzile bei einer Hochzeit

Krankheit

Ahmet litt an Gastritis, die er nur teilweise mit Medikamenten und Diäten bekämpfen konnte. 2004 kam es zu einer seltsamen Erkrankung, bei dem ihm sozusagen eine Gesichtshälfte "herunter fiel". Ich habe ihm zum Privatkrankenhaus "Kent" in Aliaga gebracht, wo ein Arzt aus Yenifoca arbeitete und von dort sind wir zu verschiedenen Labors in Izmir gefahren. Es gab keine klare Diagnose, aber die "Krankheit" ging wieder vorüber.

Vor Neujahr 2007 rief er mich an und bat mich, auf meine Ansprüche zu verzichten (ein Ausdruck im Türkischen, der im Todesfall -auch bei Beerdigungen- eine Rolle spielt, wobei es gar keine materiellen Ansprüche geben muss). Ich war erschrocken, wurde danach aber beruhigt, weil die Ärzte an der 9. September Universität in Izmir Entwarnung gaben (er habe keinen Tumor im Hirn). Dennoch wurde er nach Neujahr am Gehirn operiert und als ich an seinem Geburtstag, dem 21. Januar 2007 anrief, konnte er nicht ans Telefon kommen, weil er halbseitig gelähmt war. Das sollte sich aber nach Auskunft der Ärzte legen. Anscheinend war die Diagnose falsch, denn Ahmet hat gerade noch einen Monat danach weiter gelebt.

Ahmet vor der "Speisekarte"