ACHT STUNDEN UNTER FOLTERERN"Ja, das soll eine Drohung sein,"
brüllt mir der Beamte mit Decknamen Nr. 34 ins Ohr, "was tust du, wenn
ich zuschlage?" Ich blicke in zornig funkelnde Augen. Nur ruhig bleiben,
sage ich mir und erwidere: "Beobachten, denn ich mache Recherche."
Es ist nicht meine erste Reise in
die Türkei, die ich seit 1970 besuche. Für amnesty international bin ich
das 13. Mal im Land unterwegs und fast ebenso häufig habe ich meine "zweite
Heimat" für andere Einrichtungen als Berater und "researcher" besucht.
Zum ersten Mal werde ich jedoch bei einer Anti-Terror Einheit der Polizei
als "Krimineller" behandelt. In den Jahren davor hatte mich die türkische
Polizei zwei Mal überprüft, aber nach jeweils einer viertel bzw. halben
Stunde wieder freigelassen. Ich hatte sozusagen "auf Befehl der Regierung
Tee trinken müssen".
Auch dieses Mal bekomme ich Tee zu
trinken und darf rauchen, soviel ich will. Mir wird ein Sofa angeboten,
während sich eine Heerschaar von Polizisten in anderen Räumen über meine
Unterlagen hermacht. Einen Ordner mit Beschwerden über Folter und ärztlichen
Attesten finden sie geradewegs provokant. "Glatte Lügen. Diese Leute verletzen
sich selber, um den Staat schlecht zu machen." In meine Richtung fügt er
hinzu: "Aber das steht natürlich nicht in euren Berichten."
In meinen sonstigen Notizen finden
sich viele Aussagen von Menschen, in denen die Anti-Terror Einheit in Adana
(am Mittelmeer) für brutale Folter verantwortlich gemacht wird. "Nun schau
bitte selbst; die (vergitterten) Fenster hier sind geöffnet und auf der
Straße pulsiert das Leben bei strahlendem Sonnenschein. Hörst du vielleicht
jemanden schreien?" Dann wird eingeräumt: "Aber jetzt denkst du sicher,
daß im Keller gefoltert wird."
Wo hier gefoltert wird, weiß ich
nicht, aber ein Raum wie dieser wurde mir mehrfach beschrieben. In gemütlichen
Räumen dürfen Gefangene Tee trinken, um als Spitzel angeworben zu werden.
Außer mir wird in den offenen Räumen des Eingangsbereichs an diesem Tag
niemand verhört. Andere Türen bleiben mir verschlossen. Hinter einer Tür
mit dem Namen "nezarethane" (Haftraum) auf der rechten Seite des Korridors
kommt ein erbärmlicher Gestank hervor und jedes Mal, wenn ich dort vorbeikomme,
wird sie schnell zugedrückt. Am Ende des Korridors klopft einmal jemand
heftig gegen eine Tür; so als ob ein Gefangener auf die Toilette oder zum
Arzt gebracht werden will.
Als ich selber auf die Toilette möchte,
soll ich mich mit dem Gesicht zur Wand drehen. Ich folge der Anweisung,
schaue mich aber um, weil mich das seltsame Ansinnen stutzig gemacht hat.
Ich sehe, wie ein Beamter mit der Hand das Anlegen einer Augenbinde andeutet.
Es gibt also etwas, was ich nicht sehen soll. Die Beamten lassen mich wissen,
daß ich bei der Staatsanwaltschaft, der ich vorgeführt werden soll, auf
die Toilette gehen kann.
Im polizeilichen Protokoll habe ich
meine Aussage verweigert. Geredet habe ich dennoch viel, denn abwechselnd
wurde ich von mehr als 20 Beamten im Erholungsraum besucht. Endlich hatten
sie einen Ausländer erwischt und meinten nun das falsche Bild der Türkei
im Ausland korrigieren, bzw. mich von den Fehlern der westlichen Welt überzeugen
zu müssen. Immer und immer wieder mußte ich klarstellen, daß ich weder
die deutsche Türkeipolitik mache, noch Entscheidungen des Europaparlamentes
oder der Vereinten Nationen fälle.
Die Nacht zuvor durfte ich auf einem
Stuhl für drei Stunden die Augen schließen. Ich habe weder morgens noch
mittags etwas zu essen bekommen. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen
für stundenlange Rededuelle. Bei Tee und Zigarettenqualm kommt mir aber
mein alter Beruf als Lehrer zugute. Ich darf acht Stunden Unterricht zum
Thema Menschenrechte und "was ist amnesty international?" erteilen. Für
meine "Schüler" ist Diskutieren ungewohnt. Ich muß sie mehrfach auf einige
Grundregeln hinweisen. Sie gehorchen aber brav, wenn ich darum bitte, daß
sie ihre Stimme senken oder mich ausreden lassen.
Überzeugt habe ich kaum jemanden,
eventuell ein paar Fragezeichen setzen können. Ich selber fragte mich am
Ende, ob ich vielleicht zu Unrecht in meinen "Schülern" die Folterer sehe,
wie ich sie in vielen Berichten beschrieben habe. Am Schluß bekam ich eine
unerwartete Antwort auf meine Frage.
Während ich auf meine Überführung
zur Ausländerpolizei warte, sagt mein Bewacher: "Ihr habt Recht und wir
haben Unrecht. Die Türkei hätte nie internationale Abkommen unterzeichnen
sollen. Wir wissen, was wir zu tun haben, und das geht niemanden etwas
an."
Bevor ich den Ort verlasse, wird
ein Junge im Alter von 13 bis 15 Jahren von einem meiner "Schüler" in die
Anti-Terror Abteilung geführt. Väterlich legt er seinen Arm über die Schulter
des Jungen. Auf der Türschwelle drückt er sein Gesicht ruckartig nach unten.
Ich verspüre einen Stich in der Herzgegend, denn ich weiß, daß ihm nun
die Augen verbunden werden, damit er seine Folterer nicht erkennen kann.
Acht Stunden lang hatten Folterer
und Gefolterte eine Pause, weil ein Ausländer "behandelt" werden mußte.
Nach meinem Abschied geht dort die Routine weiter, während ich in dieser
Nacht im Bus von Adana nach Istanbul versuche, etwas Schlaf zu finden.
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