aus der Schweiz
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Das Gutachten
Droht menschenunwürdige
Behandlung?
2. Sind die Foltervorwürfe
der Mitangeklagten glaubwürdig?
3. Kann mit einem
fairen Gerichtsverfahren gerechnet werden?
4. Sind die Bestimmungen
des Anti-Terror Gesetzes anwendbar?
5. Stellt die
Garantieerklärung der türkischen Botschaft einen Schutz dar?
Mit Schreiben vom 10.11.2006 wurde
ich von Rechtsanwalt M.B. gebeten, zu einigen Fragen im Zusammenhang mit
dem Ersuchen der Türkei auf Auslieferung seines Mandanten A.A. (1)
Stellung zu nehmen. Zu diesem Zweck schickte mir Herr B. eine prall gefüllte
Akte, die mich am 17.11.2006 erreichte.
Ich habe mich bei den Unterlagen
fast ausschließlich auf die in der türkischen Sprachen vorliegenden
Dokumente konzentriert. Da mir bewusst ist, dass offizielle Übersetzungen
aus Ankara (mindestens in die deutsche Sprache) oft sehr mangelhaft sind,
habe ich sie gänzlich unberücksichtigt gelassen. Soweit ich aus
den türkischen Unterlagen zitiere, stammen die wörtlichen oder
zusammenfassenden Übersetzungen von mir. Dafür verbürge
ich mich als staatlich anerkannter und in der Hansestadt Hamburg allgemein
vereidigter Dolmetscher und Übersetzer für die türkische
Sprache. Damit möchte ich zur Beantwortung der gestellten Fragen kommen.
Frage 1:
Existieren für A.A. bei einer allfälligen Auslieferung in
die Türkei begründete Anhaltspunkte für die Gefahr einer
menschenunwürdigen Behandlung im Sinne des Artikel 3 EMRK und Art.
3 der UN Anti-Folter Konvention?
Formal gesehen sollten in der Türkei
alle Personen, gegen die ein Haftbefehl besteht, bei Ergreifung (oder Übergabe
aufgrund einer Auslieferung oder Abschiebung) nicht durch die Polizei verhört
werden, sondern gleich einem Haftrichter vorgeführt werden. Allenfalls
könnte ein Staatsanwalt eine formelle Anhörung vornehmen.
Die Praxis sieht jedoch anders aus.
Sei es aus Neugier oder aber beruflichem Übereifer, Polizeibeamte
in der Türkei spielen sich auch in solchen Situationen sehr häufig
als der verlängerte Arm der Justiz auf, d.h. als die Personen, die
über Recht oder Unrecht entscheiden und teilweise schon im Vorfeld
Formen von Bestrafungen vornehmen, zu denen auch im Jahre 2006 noch Folter
und Misshandlung zu zählen ist. Der Hauptgrund für Folter (nicht
nur, aber auch) in der Türkei liegt aber in der Absicht, ein Geständnis
von beschuldigten Personen zu erhalten.
A.A. ist bislang im Zusammenhang
mit den ihm zur Last gelegten Taten nicht von der Polizei (oder Gendarmerie)
verhört worden. Bei Kenntnis der Aktenlage könnte die Polizei
auf eine Befragung verzichten, wenn der Eindruck entsteht, dass die Beweislage
für eine Verurteilung ausreicht. Sollte aber das Eingeständnis
der Schuld als zusätzlicher Beweis für "notwendig" erachtet werden,
würde dies das Risiko von Misshandlungen erhöhen.
Nun ist die Dauer der Polizeihaft
in der Türkei seit 1997 immer mehr verkürzt worden und beträgt
offiziell 24 Stunden (bei gemeinschaftlich begangenen Taten kann sie mehrfach
um je einen Tag bis auf 4 Tage angehoben werden). (2)
Nach Artikel 252/letzter Absatz der türkischen Strafprozessordnung
StPO vom 1. Juni 2005 gelten für (einzelne) politische Straftäter
das Doppelte der Frist von maximal 24 Stunden, nämlich 48 Stunden.
Das Gesetz 4928 vom 19. Juli 2003
hatte die Möglichkeit geschaffen, dass auch politische Verdächtige
Anspruch auf Rechtsbeistand in der Polizeihaft vom Augenblick der Festnahme
an haben, aber diese Bestimmung wurde durch eine Veränderung im so
genannten Anti-Terror Gesetz im Juni 2006 wieder rückgängig gemacht.
Mit dem Gesetz 5532 vom 29.06.2006 wurden Bestimmungen des Gesetzes 3713
zur Bekämpfung des Terrorismus vom April 1991 abgeändert. In
Artikel 10(b) wurde festgelegt, dass die Personen, die unter dem Verdacht
festgenommen wurden, eine Bestimmung dieses Gesetzes verletzt zu haben,
nur Anspruch auf den Rechtsbeistand von einer Person haben. Ein Staatsanwalt
kann außerdem beantragen, dass der Festgenommene in den ersten 24
Stunden keinen Rechtsbeistand erhält. Dies muss durch einen Richter
bestätigt werden (so das Gesetz). In der Praxis werden Polizeibeamte
diese Bestimmung aber so interpretieren, dass sie 24 Stunden keinen Kontakt
zwischen Verdächtigem und Anwalt erlauben.
Natürlich ist die Gefahr von
Folter innerhalb von 24 Stunden incommunicado Haft geringer, als während
der 15 Tage, die politische Gefangene ohne anwaltlichen Kontakt bis zum
März 1997 festgehalten werden konnten, aber gänzlich ausschließen
kann man sie nicht. Das wird auch am jüngsten Bericht des Europäischen
Komitees zur Verhinderung der Folter (Committee for the Prevention of Torture
= CPT) vom September 2006 deutlich. Dort heißt es u.a. "Es gab auch
Beschwerden über kürzliche Misshandlung... Viele Personen beschwerten
sich über psychische Folter." (3)
Die Gefahr von Folter und Misshandlung
ist wohl nicht sehr wahrscheinlich, aber sie dürfte für einen
erklärten "Feind" der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und (möglicherweise
sogar) Polizistenmörder durchaus existieren.
Frage 2.
Die drei Mitangeklagten erklärten vor Gericht, sie seien gefoltert
worden. Sind diese Aussagen glaubwürdig?
Diese Frage ist nicht einfach zu
beantworten, da mir zur Beurteilung kein unmittelbarer Eindruck von den
"Mitangeklagten" vorliegt (ich nicht mit ihnen sprechen konnte) und lediglich
Protokolle von Aussagen bei der Staatsanwaltschaft, vor dem Haftrichter
oder in den Hauptverhandlungen existieren. In der Regel wird von keiner
dieser "Institution" der Vorwurf von Folter ernst genommen und dementsprechend
wird auch nur unzureichend protokolliert.
So wird der Begriff "Folter", den
die Mehrheit der Aussagenden wohl verwendet hätte, häufig mit
dem Wort "Druck" protokolliert (konkretere Beispiele bei den Aussagen der
"Mitangeklagten"). Es wird allgemein nur widerwillig protokolliert, was
Beschuldigte zur Behandlung bei der Polizei sagen. In jedem Fall aber kann
davon ausgegangen werden, dass die Protokolle nur einen Bruchteil von dem
beinhalten, was an Foltervorwürfen erhoben wurde.
E.S. wurde in der Nacht vom 20.
auf den 21.10.1995 festgenommen und kam am 27.10.1995 in Untersuchungshaft.
Nach seiner eigenen Aussage in der Hauptverhandlung (Termin vermutlich
13.03.1996) war E.S. einen Tag lang auf der Polizeiwache im Stadtteil Gazi
und wurde dann der Anti-Terror Abteilung (die politische Polizei) im Polizeipräsidium
Istanbul überstellt. Bis zu seiner dort am 26.10.1995 unterschriebenen
Aussage hatte die "politische Polizei" 5 Tage lang Zeit, den Beschuldigten
ohne Kontakt zur Außenwelt zu "bearbeiten".
E.S. war zu diesem Zeitpunkt 17
Jahre alt und hätte als Minderjähriger eigentlich nicht durch
die Polizei, sondern gleich durch einen Staatsanwalt vernommen werden sollen.
In politischen Fällen wurde diese Regel zumindest in der Vergangenheit
nicht eingehalten. Daher gibt es von E.S. sowohl die protokollierte Aussage
bei der Polizei, die Aussage vor der Staatsanwaltschaft und beim Haftrichter.
Vorgelegen haben mir:
- Polizeiliche Aussage vom 26.10.1995
- Aussage beim Staatsanwalt Fahrettin
Cankaya am 27.10.1995
- Aussage beim Haftrichter, Oberstleutnant
Erol Kücükaslan vom 27.10.1995
- 2 Seiten Protokoll einer Verhandlung
vor dem Staatssicherheitsgericht (SSG) Istanbul Nr. 4 (vermutlich am 13.03.1996)
Deutliche Hinweise darauf, dass E.S.
gefoltert wurde, finden sich erst im Protokoll der Hauptverhandlung, wo
E.S. auch schildert, warum er sich bei der Staatsanwaltschaft und beim
Haftrichter nicht deutlicher von seiner polizeilichen Aussage distanziert
hat. Ich komme darauf nach der Schilderung meines Eindrucks von den Aussagen
bei Staatsanwaltschaft und Haftrichter wieder zurück. Auf das Studium
der polizeilichen Aussage habe ich verzichtet, da sich daraus keine Rückschlüsse
auf die Behandlung bei der Polizei ziehen lassen.
In der Aussage beim Staatsanwalt
und beim Haftrichter (beides am 27.10.1995) bestätigt E.S. den (vermeintlich
wesentlichen) Inhalt seiner polizeilichen Vernehmung. Er betont aber, dass
er kein Organisationsmitglied sei und nichts mit Aktionen der Organisation
zu tun habe. Nach diesen Aussagen beschränkt sich sein politisches
"Engagement" auf das Lesen der Zeitschrift "Kurtulus" (Befreiung). Etwas
seltsam mutet der erste Satz im Protokoll des Haftrichters an, da E.S.
hier zugegeben haben soll, dass er gewusst habe, dass die Waffen der DHKP/C
gehören. (4)
Weder der Staatsanwalt noch der
Haftrichter haben Foltervorwürfe protokolliert. Das lässt vermuten,
dass E.S. von sich aus keine derartigen Vorwürfe erhoben hat, bzw.
dass Staatsanwalt und/oder Richter diese Vorwürfe banalisierten. Es
lässt des Weiteren den Schluss zu, dass weder der Staatsanwalt noch
der Richter nachgefragt haben, warum seine Aussagen bei ihnen in etlichen
Punkten von der polizeilichen Aussage abweichen. So will E.S. den Nachnamen
von einem A., der ihm die Waffen brachte, erst bei der Polizei gehört
haben.
Nur der Staatsanwalt macht einen
Vorhalt zu den Waffen und E.S. "korrigiert" seine polizeiliche Aussage
dahin, dass er erst bei der Polizei erfahren habe, bei welchen Aktionen
die Waffen eingesetzt wurden. Das Protokoll des Haftrichters (Oberstleutant
Erol Kücükarslan) wirkt an manchen Stellen so, als ob nicht Angaben
des Verdächtigen, sondern Erkenntnisse der Polizei zu den Waffen protokolliert
werden (Seriennummer und Kaliber).
Nach dem Studium der Aussagen beim
Haftrichter und bei der Staatsanwaltschaft ergibt sich für mich grob
formuliert folgendes Bild: E.S. ist ein Gymnasiast, der im Laden seines
älteren Bruders aushilft, weil dieser seinen Militärdienst ableistet.
Er liest die Zeitschrift "Kurtulus", der eine gewisse Nähe zur DHKP-C
nachgesagt werden kann. Im Laden lernt er einen A. kennen, bzw. wird mit
diesem bekannt gemacht. Dieser ist wohl auch Leser von "Kurtulus" und vielleicht
sogar ein (militantes) Mitglied der DHKP/C. Dem Staatsanwalt gegenüber
sagt E.S. aus, dass A. ihm gesagt habe, von den (bewaffneten) Propagandaeinheiten
zu sein.
Hier könnte ein gewisser Widerspruch
liegen, denn nach den Erkenntnissen, die die Polizei haben will, benutzt(e)
ein A.A. den Decknamen "Mehmet". Wenn also A.A. die Person sein soll, die
E.S. die Waffen übergab und dieser sich darüber hinaus als Mitglied
der Propagandaeinheiten ausgab, dann ist die erste Frage: Warum hat er
sich nicht unter dem Decknamen Mehmet bekannt gemacht. Die zweite Frage
wäre, wenn beide Personen derartig offen miteinander umgingen, warum
hat der A. nicht die Herkunft der Waffen und ihre Verwendung geschildert,
mit anderen Worten, warum hat er sich nicht mit in Kreisen der DHKP/C als
heldenhaft angesehenen Taten gerühmt. Wenn er das getan hätte,
kann man wohl davon ausgehen, dass E.S. selbst im angetrunkenen Zustand
die Waffen nicht angerührt und damit einem anderen Freund nicht in
die Beine geschossen hätte.
In der Verhandlung (vermutlich vom
13.03.1996; genaue Angaben kann ich nicht machen, da ich nur 2 Seiten von
dem Protokoll habe und die Termine immer, zumindest zu jener Zeit, auf
der letzten Seite notiert werden) vor dem SSG Istanbul Nr. 4 im Verfahren
mit der Grundnummer 1995/381 wird die Aussage von E.S. folgendermaßen
protokolliert (ich zitiere Auszüge):
"... dann wurde ich zur Abteilung
zur Bekämpfung des Terrorismus gebracht. Dort war ich unvorstellbaren
Folterungen ausgesetzt. Ich habe davon immer noch Spuren an den Händen.
Unter der Einwirkung von Folter wurde ich gezwungen, eine von ihnen vorbereitete
Aussage zu unterschreiben. Ich habe die Aussage unterschrieben, ohne sie
gelesen zu haben. Auf dem Weg zum Staatsanwalt am SSG haben sie mir gedroht,
mich wieder zu foltern, wenn ich nicht die gleiche Aussage mache...
Ihm wurde die Aussage zur Anordnung
der Untersuchungshaft vorgehalten. (Er sagte:) Der Inhalt der Aussage ist
nicht richtig. Der Druck der Polizei hielt an. Wegen der Drohung der Polizei
war ich gezwungen, eine solche Aussage zu machen. Meine jetzige Aussage
ist korrekt." (5)
Weitere Details aus dem Protokoll
dieser Verhandlung, die später noch wichtig sein können, sind:
Der Rechtsanwalt Seref Turgut übergibt
dem Gericht ein Schreiben der Staatsanwaltschaft beim SSG, das ihm erlaubte
mit seinem Mandanten in der Polizeihaft zu sprechen. Die Beamten der Anti-Terror
Abteilung hätten ihm aber dennoch einen Kontakt verweigert.
Weiter unten auf Seite 2 des Protokolls
wird der Angeklagte noch einmal befragt und sagt: "Bei der Polizei wurden
mir Bilder vorgelegt. Ich habe aber niemanden erkannt. Dass die Person
mit dem Namen A., den Nachnamen A. hat, haben die Polizisten mir gesagt.
Ich habe die Person lediglich beschrieben. Den Nachnamen habe ich von der
Polizei erfahren."
Ich habe in der Akte weitere Dokumente
gefunden, die auf ein 2. Verfahren gegen E.S. schließen lassen. Es
sind:
- Aussage vor dem Staatsanwalt Ayhan
Kandemir vom 20.05.1996
- Anklageschrift vom 03.07.1996
gegen E.S. und A.A. Unterschrieben hat sie der Staatsanwalt am SSG Istanbul
Fahrettin Cankaya, der E.S. am 27.10.1995 vernahm.
- 2 Seiten eines Verhandlungsprotokolls
vom 24.06.1997 (evtl. SSG Istanbul 6, aber Teile sind unleserlich, es wird
sich aber wohl um das Verfahren mit der Grundnummer 1996/169 handeln)
Aufgefallen ist mir u.a.: zum ersten
Mal benutzt der Staatsanwalt ein Formblatt, an dessen Anfang eine Belehrung
steht (d.h. das Formular oder das Blatt Papier, auf dem die Aussage protokolliert
wird, hat am Anfang schon den Eintrag, dass eine Belehrung nach Artikel
135 alte TStPO stattfand). Immerhin protokolliert der Staatsanwalt nach
dem Hinweis auf Widersprüche zu den seinerzeit vor der Staatsanwaltschaft
und dem Haftrichter gemachten Aussagen: "Als ich diese Aussage(n) machte,
kam ich gerade von der Polizei. Es war gefoltert worden. Ich spürte
meine Arme nicht. Da die Polizei sagte, dass ich so aussagen solle, habe
ich eine Aussage in ihrem Sinne gemacht."
Im weiteren Verlauf dieser Vernehmung
wurde E.S. erneut auf einen Widerspruch zu seiner damaligen Aussage bei
der Staatsanwaltschaft hingewiesen und es wird protokolliert: "Ich akzeptiere
diese Aussage nicht, da die Polizisten bei mir waren und weil ich Folter
ausgesetzt war und ich in der Weise, wie die Polizei es mir sagte und ich
in dieser Richtung ausgesagt habe, habe ich (es) unter Druck gemacht..."
(6)
Auf A.A. angesprochen sagt E.S.
dieses Mal, dass ihm die Polizisten wohl sagten, dass dieser schon einmal
wegen einer gewöhnlich kriminellen Sache auf die Abteilung kam, aber
er wisse das nicht mehr so genau.
Die Anklageschrift vom 03.07.1996
richtet sich gegen E.S. und A.A. und fordert für beide Angeklagten
eine Bestrafung nach Artikel 146(1) altes TStG. Es wird auf eine Anklageschrift
vom 30.10.1995 verwiesen, in der E.S. wohl wegen Unterstützung (Artikel
169 altes TStG) angeklagt war.
Das zur Identifikation der Kammer
(evtl. 6. Kammer am SSG Istanbul) schlecht leserliche Protokoll der Verhandlung
in einem Verfahren mit der Grundnummer 1996/169 beginnt damit, dass eine
Verhandlung vom 24.06.1997 auf den 16.09.1997 vertagt wurde. Es kann also
sein, dass es sich um die Verhandlung vom 16.09.1997 handelt. Dieses Mal
ist der Angeklagte E.S. aus dem Gefängnis vorgeführt worden (d.h.
in den davor liegenden Verhandlungen nicht). Der Verteidiger Seref Turgut
ist ebenfalls anwesend.
Angesprochen auf seine polizeiliche
Aussage vom 26.10.1995 sagt E.S., dass sie unter physischer und psychischer
Folter aufgenommen wurde und er sie deshalb ablehne. Im Protokoll ist das
Datum der Vernehmung durch den Staatsanwalt mit Sicherheit falsch notiert.
Diese lehnt der Angeklagte mit den Worten ab, dass die Polizei ihn mit
Folter bedrohte, wenn er seine Aussage nicht wiederhole. Auch in Bezug
auf die Aussage beim Haftrichter sagt er, dass er unter Drohungen der Polizei
stand.
Der Verteidiger meldet sich zu Wort
und sagt, dass sein Mandant wegen Unterstützung verurteilt wurde und
das Urteil dem Kassationshof vorliege. Jetzt und seinerzeit vor Gericht
habe er die gleiche Aussage gemacht. Es gebe Atteste und glaubwürdige
Einlassungen seines Mandanten, dass er gefoltert worden sei. Die werde
er dem Gericht vorlegen. Das SSG Istanbul habe zudem festgestellt, dass
sein Mandant nicht wegen der gleichen Sache erneut angeklagt werden könne.
(7)
Bei den 2 weiteren potentiellen
"Mitangeklagten" des A.A., nämlich E.E. und G.M., ist die Sachlage
vielleicht nicht ganz so kompliziert, obwohl durch Lücken in der Dokumentation
auch hier Zweifel zu Vorgängen in den Jahren 1995 und 1996 bleiben.
G.M. und wahrscheinlich auch E.E. waren seinerzeit schon einmal in den
Verdacht politischer Aktivitäten geraten. Laut Anklageschrift mit
der Grundnummer 1997/702 (mögliches Datum 21.05.1997, exaktes Datum
kann ich nicht angeben, weil sie nur bis zur Seite 4 in Kopie vorlag) soll
es ein Verfahren am SSG Istanbul Nr. 5 mit der Grundnummer 1995/205 geben,
in dem auch E.E. angeklagt ist. In der Anklageschrift wird des Weiteren
auf ein Ermittlungsverfahren gegen G.M. unter der Nummer 1995/1000 hingewiesen.
Während einige Details in Dokumenten
zu den Anschuldigungen gegen G.M. vorgelegen haben, so sind mir aus den
vorgelegten Unterlagen keine Einzelheiten zum Verfahren gegen E.E. aus
dem Jahre 1995 bekannt. G.M. soll seinerzeit zwischen dem 29.05.1995 und
dem 06.06.1995 in Polizeihaft gewesen sein (etwas länger als eine
Woche). Er scheint zu diesem Zeitpunkt aber keine bedeutenden Selbstbezichtigungen,
bzw. kein umfassendes Geständnis abgegeben bzw. unterschrieben zu
haben, denn nach eigenen Angaben kam er nach 3 Monaten aus der U-Haft.
In der seinerzeit beim Staatsanwalt
protokollierten Aussage hat G.M. am 06.06.1995 darauf hingewiesen, dass
er die Aussage bei der Polizei mit verbundenen Augen unterschreiben musste
(es wurde kein expliziter Hinweis auf Folter protokolliert) und zusätzlich
eingeräumt, die Zeitschrift Kurtulus gegen Geld zu verkaufen und mit
einem SE.E. (Bruder von E.E.; SE.E. kam bei den Vorfällen im Stadtteil
Gazi im März 1995 ums Leben) verwandt zu sein. Das bedeutet, dass
auch E.E. und G.M. miteinander verwandt sind.
Zu den mir übersandten Unterlagen
gehört auch das Protokoll einer Vernehmung von E.E. durch den Staatsanwalt
Yahya Erdogmus, das am 02.02.1996 stattfand. Es entzieht sich meiner Kenntnis,
ob diese Vernehmung im Februar 1996 mit dem Verfahren aus dem Jahre 1995
in Verbindung steht. Dies ist eigentlich unwahrscheinlich und somit wäre
es möglich, dass E.E. sowohl im Jahre 1995, als auch in den Jahren
1996 und 1997 festgenommen wurde. Es würde des Weiteren bedeutet,
dass er nach den Festnahmen in den Jahren 1995 und 1996 nicht lange in
Haft (Untersuchungshaft = U-Haft) war.
In der Aussage vom Februar 1996
wird in Bezug auf die polizeiliche Aussage von E.E. protokolliert, dass
er bei der Polizei aufgehängt und geschlagen wurde. Man habe seine
Hoden gequetscht und dann habe er gesagt, dass er alles unterschreiben
werde, was ihm vorgelegt werde. Es ist also davon auszugehen, dass G.M.
und E.E. bei ihren Festnahmen in den Jahren 1995 und/oder 1996 schon einmal
gefoltert wurden.
Die für A.A. bedeutenderen
Angaben aber wurden anscheinend 1997 bei der Polizei gemacht. Es haben
mir dazu vorgelegen:
- Polizeiliche Aussagen von E.E.
(9 Seiten) und G.M. (3 Seiten) vom 09.05.1997. Der Inhalt dieser Aussagen
und weiterer Dokumente wie Gegenüberstellung, Ortsbesichtigung etc.
ist für die Beantwortung der Frage unerheblich, daher gehe ich darauf
nicht näher ein.
- Jeweils getrennte Protokolle zur
Vernehmung von G.M. und E.E. am 10.05.1997 durch den Staatsanwalt Müfit
Büyükcolpan (je 2 Seiten)
- Gemeinsame Vernehmung durch den
Militärrichter, Oberstleutnant Mustafa Cabuk vom SSG Istanbul Nr.
5 am 10.05.1997 (3 Seiten)
- Anklageschrift mit der Grundnummer
1997/702 (Datum unklar). Angeklagt sind E.E. und G.M.
- Verhandlungsprotokoll in der Sache
1997/175 vor dem SSG Istanbul Nr. 5 (3 Seiten). Die Verhandlung fand am
24.07.1997 statt und wurde auf den 02.10.1997 vertagt.
Ich werde aus den Aussagen bei der
Staatsanwaltschaft und beim Haftrichter nur zusammenfassend zitieren. Die
Vernehmungen fanden jeweils am 10.05.1997 statt. Glaubt man der Anklageschrift
mit der Grundnummer 1997/702 so befand sich E.E. zu diesem Zeitpunkt 3-4
Tage und G.M. 2-3 Tage in Polizeihaft. (8)
Dem Staatsanwalt Müfit Büyükcolpan
sagte G.M., dass die Polizei ihn zwang, eine vorbereitete Aussage zu unterschreiben,
ohne sie lesen zu dürfen. Er sei geschlagen worden. In Bezug auf mögliche
Folterspuren wird protokolliert, dass die in einem Attest aufgeführten
Verletzungen entstanden seien, weil er (G.M.) gegen einen Schrank gestoßen
worden sei. (9)
Der gleiche Staatsanwalt führte
am gleichen Tag auch die Vernehmung von E.E. durch. Bei ihm wird fast identisch
wie zu G.M. protokolliert, dass die Polizei ihn zwang, eine vorbereitete
Aussage zu unterschreiben, ohne sie lesen zu dürfen. Anstelle von
Schlägen wird erwähnt, dass er mit einer Waffe bedroht worden
sei. In diesem Protokoll findet sich kein Hinweis auf ein Attest, das es
nach Angaben seiner Verteidigerin M. K. (10)
aber geben soll.
Die Vernehmung von beiden Beschuldigten
beim Militärrichter Oberst Mustafa Cabuk vom gleichen Tag geht ebenfalls
nur kurz auf Foltervorwürfe ein. E.E. sagt, dass die Polizisten ihn
zwangen, eine von ihnen vorbereitete Aussage zu unterschreiben. Zu G.M.
wird ins Protokoll aufgenommen, dass er seine polizeiliche Aussage ablehne,
weil er sie unter Druck (Synonym für Folter, s.o.) unterschreiben
musste.
Zu den mir übersandten Dokumenten
gehört auch das Protokoll einer Verhandlung vor dem SSG Istanbul Nr.
5 im Verfahren 1997/115. Das Verfahren gegen E.E. und G.M. soll auf einer
Anklageschrift vom 20.05.1997 (vgl. oben, wo ich das Datum der Anklageschrift
als 21.05.1997 vermutete) beruhen. Die Verhandlung fand am 24.07.1997 statt.
Nach diesem Protokoll soll E.E. seine polizeiliche Aussage unter Hinweis
auf Druck abgelehnt haben. Weitere Protokolle habe er unter Todessdrohungen
unterschreiben müssen. Bei G.M. wird lediglich protokolliert, dass
er seine polizeiliche Aussage ablehne.
Informativ wird auf ein Verfahren
gegen G.M. vor dem SSG Istanbul Nr. 4 unter der Nummer 1995/211 hingewiesen.
In dem Verfahren soll er als Mitglied der Organisation (Artikel 168(2)
altes TStG = Türkisches Strafgesetz) angeklagt sein. Es soll auch
noch ein Verfahren vor der gleichen (5.) Kammer des SSG Istanbul anhängig
sein. Laut Verteidigung soll E.E. in einem weiteren Verfahren angeklagt
aber freigesprochen worden sein. Das Verfahren soll die Grundnummer 1996/120
haben und vor der gleichen Kammer geführt worden sein. Die dem vorherigen
Verfahren zugrunde liegenden Angaben sollen nach Ansicht der Verteidigung
im Widerspruch zu der nun vorliegenden polizeilichen Aussage von E.E. stehen.
Die Verteidigung weist auch darauf hin, dass G.M. bei der Polizei "gestand",
von einem Ümit I. an Bomben geschult worden zu sein. Dieser sei zu
dem Zeitpunkt aber im Gefängnis Aydin gewesen.
Nach Schilderung dieser Details
blieben als wesentliche Fakten festzuhalten. E.E. und (etwas abgeschwächt)
G.M. haben nach relativ kurzer Polizeihaft (jedoch ohne anwaltlichen Beistand)
sehr schwere Vorwürfe gegen sich (und andere) "eingestanden". Sie
haben in allen weiteren Stadien des Verfahrens diese Vorwürfe von
sich gewiesen und (wenn auch nur in Andeutungen protokolliert) auf Folter
hingewiesen. Mindestens G.M. scheint ein Attest erhalten zu haben, dass
als materieller Hinweis auf Folter gesehen werden kann (selbst wenn Polizisten
das Schupsen gegen einen Schrank zur Abwehr von einem Angriff des G.M.
interpretieren würden).
Die Erfahrung mit der Behandlung
bei der Polizei aus den Jahren 1995 und 1996 kann sich in unterschiedlicher
Weise ausgewirkt haben. Auf der einen Seite wäre es unter der Annahme,
dass sie schon damals gefoltert wurden, durchaus denkbar, dass sie ihre
Widerstandskraft gegen Folter als gering einstuften und schon die Drohung
mit Folter sie zu einem raschen Geständnis führte. Des Weiteren
werden sie als Erfahrung mitgenommen haben, dass sie dennoch eine Chance
auf milde Strafe oder Straffreiheit haben, wenn sie umgehend die bei der
Polizei gemachten Angaben widerrufen (zumindest scheinen die Verfahren
aus 1995 und/oder 1996 keine schwerwiegenden Konsequenzen gehabt zu haben:
in einem Fall 3 Monate U-Haft und im anderen Fall gar Freispruch).
Bevor ich eine Antwort auf die Frage
2 versuche, sollte ich vorweg erwähnen, dass mich seit mehr als 20
Jahren mit dem Phänomen der Folter in der Türkei auseinander
gesetzt und zahllose Berichte über die Qualen in der Polizeihaft zur
Kenntnis genommen habe. Viele der Opfer habe ich persönlich interviewt,
in anderen Fällen lagen mir detaillierte Schilderungen vor. Ich habe
unzählige Prozessakten eingesehen und bin mit der Art der Protokollierung
von Verhandlungen durch häufige Prozessbeobachtungen (u. a. für
amnesty international) vertraut.
Ich bin durchaus der Meinung, dass
im Kampf gegen die Folter in der Türkei seit 1997 graduell an Boden
gewonnen wurde, selbst wenn Folter nicht vollkommen ausradiert werden konnte.
Ich teile aber nicht die Meinung, dass Folter nur dann stattgefunden hat,
wenn es materielle Beweise dafür gibt. Ich teile dafür die Ansicht
des UN Berichterstatters zur Folter, der im Dezember 2002 die Überzeugung
äußerte, dass die Beweislast im Falle eines Angeklagten, der
Foltervorwürfe erhebt, auf die Anklagevertretung übergehen solle
und sie den (über alle Zweifel erhabenen) Nachweis führen müsse,
dass das Geständnis nicht mit ungesetzlichen Mittel, einschließlich
Folter und Misshandlung erwirkt wurde. (11)
Ich sollte zum anderen darauf hinweisen,
dass in den Jahren 1995 bis 1997 Folter an politischen Gefangenen in Polizeihaft
(oder bei der Gendarmerie) die Regel war und es nur in absoluten Ausnahmefällen
nicht zur Anwendung von Folter kam. Unter diesen Prämissen spricht
eine sehr große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Geständnisse
von E.E. und G.M. (aber auch E.S.) unter Folter erpresst wurden. Soweit
ihre dazu gemachten Angaben protokolliert wurden (es dürfte nur ein
Bruchteil dessen sein, was sie wirklich sagten oder sagen wollten), finde
ich die Angaben auch bezüglich der geschilderten Foltermethoden glaubwürdig.
Ein deutliches Indiz für die
Anwendung von Folter sehe ich in der Bemerkung der Verteidigung, dass G.M.
offensichtlich falsche Angaben (Schulung an Bombe durch eine zu jenem Zeitpunkt
inhaftierte Person) bei der Polizei unterschrieben hat.
Es spricht meines Erachtens nicht
gegen die Anwendung von Folter, wenn die Opfer keine Strafanzeige stellten
(was sie evtl. taten, wozu aber keine Informationen vorliegen). Zunächst
einmal ist es die Aufgabe der Beamten, die von solchen Vorwürfen hören
(Staatsanwalt und Richter) ein solches Vergehen zur Anzeige zu bringen.
Sie sollten in erster Linie kritisiert werden. Dies hätte in jedem
Fall bei E.S. geschehen müssen. Er sprach in der Verhandlung vom 13.03.1996
davon, dass an seinen Händen noch Spuren von Folter zu sehen seien
und sein Anwalt überreichte Atteste über die Gesundheit seines
Mandanten am Ende der Polizeihaft. Daraufhin hätte mindestens die
Staatsanwaltschaft von sich aus Ermittlungen aufnehmen müssen.
Es könnte allerdings auch so
sein, dass entweder die Staatsanwaltschaft von sich aus tätig werden
wollte oder aber aufgrund einer von den Betroffenen oder ihren Anwälten
erstattete Anzeige dazu führte, dass ein Staatsanwalt Ermittlungen
aufnehmen wollte, aber es an der Zustimmung des zuständigen Verwaltungsrats
gescheitert ist. Damals musste dieses Gremium, dem u.a. der Gouverneur
(oder Landrat) angehörte, erst zustimmen, damit gegen Beamte ermittelt
werden konnte. Insofern ist die Tatsache, dass Polizeibeamte wegen Folter
an E.E., G.M. und E.S. nicht angeklagt und/oder verurteilt wurden, kaum
ein Indiz dafür, dass deren Beschwerden über Folter "aus der
Luft gegriffen" sind.
Frage 3:
Kann A.A. im Falle seiner Auslieferung in der Türkei mit einem
fairen Gerichtsverfahren im Sinne des Artikels 6 EMRK rechnen?
Bevor ich zur Beantwortung der Frage
komme, sollte ich vorausschicken, dass ein wesentliches Element von fairen
(oder auch rechtsstaatlichen) Gerichtsverfahren nicht im Artikel 6 EMRK
enthalten ist. Es ergibt sich aus einer Kombination des Folterverbots (Artikel
3 EMRK) mit dem Artikel 15 der UN Konvention gegen die Folter (CAT = Convention
against Torture). (12) Hieraus ergibt sich ein
Verwertungsverbot von Aussagen, die unter Folter oder Misshandlung erwirkt
wurden.
Ich sollte des Weiteren darauf hinweisen,
dass in den Urteilen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EMRG)
zu Verstößen gegen den Artikel 6 EMRK in der Türkei bis
auf wenige Ausnahmen nur die Anwesenheit eines Militärrichters unter
den 3 Richtern der Staatssicherheitsgerichte (bis Juni 1999) als Kriterium
für unfaire Prozesse genommen wurde und alle anderen Aspekte unberücksichtigt
blieben. Insofern fehlt eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu
diesem Aspekt.
Die Rechtslage in der Türkei
ist eigentlich klar. Die Türkei ratifizierte 1988 die UN CAT. Nach
Artikel 90 hatte (und hat) diese (und andere) Konvention(en) sogar Priorität
vor nationalem Recht, falls dieses im Widerspruch zu (ratifizierten) internationalen
Bestimmungen stand (oder steht). Im Jahre 1992 führte die Türkei
eine weitergehende Vorschrift in die Strafprozessordnung (StPO) als Artikel
135/a ein. (13) Diese Bestimmung wurde durch
die Reformen im Zuge der Anpassung an die EU um einen nicht unwesentlichen
Zusatz erweitert. Der ansonsten mit dem alten Artikel 135/a StPO identische
Artikel 148 neue StPO vom 1. Juni 2005 besagt in Absatz 4: "Eine Aussage
bei den uniformierten Kräften, die ohne Anwesenheit eines Verteidigers
aufgenommen wurde, darf nicht zur Urteilsfindung herangezogen werden, solange
der Verdächtige oder Angeklagte sie nicht vor einem Richter oder Gericht
bestätigt."
Leider sind diese Grundsätze
von den erstinstanzlichen Gerichten und insbesondere den Gerichten, die
über politische Gefangene urteilen, nicht berücksichtigt worden.
Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich an dieser Praxis in naher Zukunft
etwas ändern wird. Zumindest konnte ich in Verfahren, die im Jahre
2006 fortgeführt wurden, keine Änderung feststellen. Auch der
Kassationshof als Revisionsinstanz hat nur in wenigen Fällen auf eine
Korrektur von Urteilen wegen Verstößen gegen Teile der Vorschrift
hingewiesen. Für die überwiegende Mehrzahl der Fälle bietet
die Rechtssprechung des Kassationshofs keinen Schutz.
Diese und weitere Feststellungen
habe ich in ausführlicherer Form in einer umfangreichen Studie für
die deutsche Sektion von amnesty international, Pro Asyl und der Holtfortstiftung
(veröffentlicht am 23.02.2006) anhand von 18 Fallbeispielen getroffen.
Das 300-seitige Gutachten zur "Rechtsstaatlichkeit politischer Verfahren
in der Türkei" kann im Internet gefunden werden. Ich nehme hierauf
vollinhaltlich Bezug.
Die zentrale Aussage des Gutachtens
steht auf Seite 299: "Ich denke, dass praktisch für alle Verfahren,
in denen Aussagen bei den uniformierten Kräften, die vor dem 1. Juni
2005 aufgenommen wurden und von denen glaubwürdig behauptet wird,
dass sie unter Folter erpresst wurden, die Aussicht auf ein faires Verfahren
nicht besteht, d. h. dass sie - entgegen dem Verwertungsverbot gem. Artikel
148 (neue) StPO - vor Gericht als Beweis zugelassen werden und entscheidend
zur Urteilsfindung beitragen."
Ich möchte nun anhand der in
meinem Gutachten entwickelten Kriterien zunächst auf die Verfahren
gegen E.S., sowie E.E. und G.M. eingehen. Im letzteren Verfahren hätten
schon der sie vernehmende Staatsanwalt und auch der Haftrichter die Aufgabe
gehabt, Strafanzeigen gegen Unbekannt zu stellen, weil die Beschuldigten
Foltervorwürfe erhoben. Das geschah anscheinend nicht. Mir ist auch
keine Reaktion des Gerichts bekannt, das gegen sie verhandelte. Auch der
in den Verhandlungen anwesende Staatsanwalt hat vermutlich nichts unternommen,
um die Foltervorwürfe zu klären.
Ich gehe davon aus, dass das Gericht
im weiteren Verlauf von sich aus keine Beweisaufnahme zu der Frage durchführte,
ob die polizeilichen Aussagen mit ungesetzlichen Mitteln aufgenommen wurden.
Nach geltendem Recht musste dazu nicht die Anwendung von Folter geklärt
werden, sondern eine Antwort auf die Frage gesucht werden, ob die bei der
Polizei unterschriebenen Aussagen dem freien Willen der Beschuldigten entsprechen
oder nicht. Dies kann wohl kaum der Fall sein, wenn sie gleich nach dem
Ende der Polizeihaft beim Staatsanwalt und Haftrichter widerrufen werden.
Ohne eine Klärung dieser Frage kam das Gericht zu einem Schuldspruch,
der weder durch die Aussagen beim Staatsanwalt, noch dem Haftrichter, bzw.
vor dem verhandelnden Gericht gerechtfertigt gewesen wäre. Würde
der Artikel 148 neue StPO vom 1. Juni 2005 auf dieses Verfahren Anwendung
finden, wäre eine Verurteilung nicht möglich, denn die Aussagen
bei der Polizei wurden nicht im Beisein eines Anwalts unterschrieben und
vor keinem Richter oder Gericht bestätigt.
Nun ist es in der Türkei aber
so, dass veränderte Verfahrensregeln (auch wenn sie für den Angeklagten
günstiger sind) nicht rückwirkend gültig sind. Obwohl das
Verfahren noch in der Schwebe ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass
das SSG Istanbul Nr. 5 (seit 2004 Gericht Nr. 13 für schwere Strafen,
bzw. die 13. Kammer des Landgerichts Istanbul) im Revisionsverfahren zu
einem anderen Urteil kommen wird. Da die Verurteilung von E.E. und G.M.
fast ausschließlich aufgrund ihrer polizeilichen Aussagen erfolgte,
von denen mehrfach versichert wurde, dass sie unter Folter erpresst wurden,
sind E.E. und G.M. nach meiner Ansicht aufgrund eines unfairen Verfahrens
verurteilt worden, denn die zentralen Beweise unterlagen mit allerhöchster
Wahrscheinlichkeit einem international und national geltendem Verwertungsverbot.
Als einen Verstoß gegen Artikel
5 und 6 EMRK muss die lange Dauer des Verfahrens angesehen werden (Beginn
1997 und anscheinend 2006 immer noch anhängig, d.h. die Angeklagten,
mindestens E.E., befinden sich seit mehr als 9 Jahren in U-Haft). Die lange
Dauer dieses Verfahrens muss nicht zwangsläufig für A.A. bedeuten,
dass gegen ihn ebenfalls sehr lange verhandelt wird. Sollte er jedoch ausgeliefert
werden und bis dahin kein rechtskräftiges Urteil gegen E.E. und G.M.
vorliegen, so haben sie zu befürchten, dass ihr Verfahren noch einmal
von vorne beginnt (nach Zusammenlegung mit dem Verfahren gegen A.A.).
Ein weiterer Verstoß gegen
Artikel 6 EMRK dürfte am Anfang des Verfahrens gegen E.E. und G.M.
vorgekommen sein. Vor dem Staatsanwalt, der E.E. am 10.05.1997 vernahm,
wies E.E. darauf hin, dass er am 09.05.1997 zu zwei Orten gebracht wurde
(und nicht, wie bei der Polizei anscheinend notierte, dass er die Polizisten
dort hinbrachte) und dort gezwungen wurde, in ein Mikrofon das zu sprechen,
was ein Polizeibeamter ihm diktierte. In gleicher Form berichtete G.M.
dem Staatsanwalt, dass er in einem Cafe einen vorbereiteten Text in ein
Mikrofon sprechen musste.
Dies wird mit ziemlicher Sicherheit
keine Inszenierung für weiteres audio-visuelles Belastungsmaterial
in den Gerichtsakten gewesen sein, sondern so genannte Ortstermine in Anwesenheit
der Medien. Das bedeutet, dass schon am Tage, als E.E. und G.M. Staatsanwalt
und Haftrichter vorgeführt wurden, die Medien wahrscheinlich berichteten,
dass der (die) Mörder eines Polizisten gefasst wurden. Dies ist ein
Verstoß gegen die Unschuldsvermutung wie er nicht nur aus Artikel
6 EMRK sondern auch aus Artikel 14 des Internationalen Paktes über
bürgerliche und politische Rechte hervorgeht. Im Unterschied zur langen
Verfahrensdauer hat diese Verletzung des Artikels 6 EMRK auch Auswirkung
auf ein Verfahren, das gegen A.A. angestrengt wird, denn er dürfte
schon damals in der Presse als der Mittäter erwähnt worden sein
(einen exakten Nachweis dazu konnte ich leider nicht finden, denn Zeitungsberichte
aus jener Zeit habe ich weder in meinem Archiv noch im Internet finden
können).
Ein solches Vorgehen war aber zu
jenem Zeitpunkt durchaus üblich und entgegen dem Artikel 27 der Durchführungsverordnung
zur Ergreifung, Festnahme und Vernehmung vom 1. Oktober 1998 (in der überarbeiteten
Fassung vom 1. Juni 2005) waren solche Ereignisse mindestens im Jahre 2002
noch an der Tagesordnung (siehe den Fall von Mehmet Desde, den ich in meinem
Gutachten vom Februar 2006 geschildert habe). (14)
Neben den polizeilichen Aussagen
von E.E. und G.M. können die Angaben von E.S. und die in seiner Wohnung
gefundenen Waffen als weitere "Beweise" angesehen werden. Eine unmittelbare
Verbindung aber existiert nicht, denn E.S. kennt E.E. nicht. Die Verbindung
wird erst durch den mit Auslieferung bedrohten A.A. hergestellt. Dazu müsste
das Gericht davon ausgehen, dass der von E.S. erwähnte A. den Nachnamen
A. hat und mit jenem A.A. identisch ist, den E.E. in seiner polizeilichen
Aussage erwähnt.
Im Unterschied zu E.E. und G.M.
könnte eher vermutet werden, dass bestimmte Teile der polizeilichen
Angaben von E.S. auf freiem Willen beruhen, denn er hat diesen Teilen bei
der Staatsanwaltschaft und dem Haftrichter anscheinend nicht widersprochen.
Allerdings haben in der Hauptverhandlung weder das Gericht noch der anwesende
Staatsanwalt etwas unternommen, als sie hörten, dass der Angeklagte
bei der Polizei anders ausgesagt hätte, wenn es nach seinem freien
Willen gegangen wäre. Ohne Untersuchung der Foltervorwürfe und
damit, ohne klare Erkenntnisse zum Verwertungsverbot wurde E.S. als Mitglied
einer illegalen Organisation verurteilt (nach dem Schreiben des SSG Istanbul
Nr. 4 vom 20.06.2003 war die Verurteilung am 17.04.1998). Wäre das
Gericht davon ausgegangen, dass die Aussagen bei der Staatsanwaltschaft
und/oder dem Haftrichter auf freiem Willen beruhen (obwohl E.S. sagte,
dass beim Staatsanwalt Polizisten anwesend waren und er auch bei seiner
Aussage vor dem Haftrichter noch unter der Wirkung von Folterdrohungen
stand) und hätte diese Aussagen als erwiesene Beweise genommen, so
hätte das Urteil gegen ihn nicht auf Mitgliedschaft, sondern lediglich
Unterstützung einer illegalen Organisation lauten dürfen.
Mit Verweis auf den Parallelfall
Metin Kaplan (mehr Einzelheiten später, aber an diesem Punkt ist unerheblich
ob Herr Kaplan abgeschoben oder ausgewiesen wurde) kann ich mir auch im
Fall von A.A. nicht vorstellen, dass das über ihn befindende Gericht
die von E.E., G.M. und E.S. erhobenen Foltervorwürfe untersuchen und
erst danach einen Entscheid zum gesetzlich bindenden Verwertungsverbot
treffen wird. Es wird sich höchstwahrscheinlich darauf berufen, dass
die Beweiskraft der bemängelten Aussagen durch Urteile (anderer Gerichte)
manifestiert wurde. Immerhin wird das über A.A. urteilende Gericht
vielleicht eine andere Kammer aber im Prinzip eine der Kammern des vormals
als SSG (Staatssicherheitsgericht) bekannten Gerichtes sein. Hier wurden
die anderen 3 Personen verurteilt.
Wie im Fall Metin Kaplan könnte
ein weiterer Verstoß (weitere Verstöße) gegen Artikel
6 EMRK hinzukommen, denn mit der gleichen Begründung könnte es
das Gericht ablehnen, Zeugen der Verteidigung zu hören.
Ein unparteiliches Gericht müsste
meines Erachtens davon ausgehen, dass der von E.S. beschuldigte A. möglicherweise
nicht der Beschuldigte A.A. ist, denn dieser soll ja mit einem Decknamen
operiert haben. Es wäre also zwingend geboten, mindestens diesen Zeugen
vor Gericht zu hören und das Ergebnis einer Identifizierung abzuwarten.
Aber selbst dies ist bei der vorherrschenden Praxis der Gerichte, die über
politische Straftaten zu befinden haben, nicht unbedingt zu erwarten.
Frage 4:
Sind die neuen Strafbestimmungen des Gesetzes zur Bekämpfung des
Terrorismus auch im Fall A.A. anwendbar?
Ich könnte mich hier mit einem
einfachen "Ja" als Antwort begnügen, sollte aber dennoch in Erinnerung
rufen, welche "alten" und "neuen" Bestimmungen auf A.A. anwendbar sind.
Nach Artikel 3 des Gesetzes 3713
zur Bekämpfung des Terrorismus (kurz: Anti-Terror Gesetz = ATG) vom
12.04.1991 fallen Vergehen wie ein Verstoß gegen Artikel 146 altes
TStG unter dieses Gesetz. Dies wurde in Artikel 2 des Gesetzes 5532, mit
dem Bestimmungen des ATG verändert wurden, zu den entsprechenden Artikeln
des neuen TStG umgewandelt (anstelle Artikel 146 steht nun Artikel 309
im neuen TStG). Artikel 4 des Gesetzes 3713 führte neben den im Artikel
3 aufgelisteten Straftaten, die nach dem ATG abgeurteilt werden müssen,
noch weitere Delikte auf. Die Palette dieser Straftaten wurde durch Artikel
3 des Gesetzes 5532 noch einmal erweitert (da sie aber für den vorliegenden
Fall nicht relevant sind, werde ich nicht darauf eingehen).
Wichtig ist jedoch der Artikel 5
des Gesetzes 3713, denn für alle in den Artikeln 3 und 4 aufgeführten
Straftaten gilt, dass die Haft- oder Geldstrafen um 50% angehoben werden
müssen. Das Gesetz 5532 hat diese Bestimmung in Artikel 5 nicht verändert,
sondern nur einen Zusatz hinzugefügt, dass bei einer Regelung, die
sowieso schon eine Anhebung der Strafe vorsieht, wenn eine Tat mit organisatorischem
Hintergrund ausgeführt wird, die Anhebung um 50% nicht gilt, allerdings
darf die Erhöhung der Strafe dann nicht unter 2/3 liegen.
Änderungen an den Artikeln
6-9 dürften für den vorliegenden Fall nicht relevant sein, obwohl
auch hierin Verschärfungen des bestehenden Rechts gesehen werden können.
Wichtig aber ist die Änderung des Artikels 10 durch Artikel 9 des
Gesetzes 5532. Die Bestimmungen der StPO werden hier für Angeklagte
nach dem ATG dahin gehend abgeändert, dass nur ein Verwandter benachrichtigt
werden darf und nur eine Person Rechtsbeistand leisten darf. Außerdem
kann auf richterliche Anordnung (Antrag durch den Staatsanwalt) ein Rechtsbeistand
für die ersten 24 Stunden verweigert werden. Wie ich schon oben ausführte,
wird diese Bestimmung dazu führen, dass die Polizei in den ersten
24 Stunden keinen Rechtsbeistand zulässt.
Des Weiteren bestimmt der neue Artikel
10, dass anstelle der vollen Personalien nur die Dienstnummern unter Protokolle
gesetzt werden. Dies macht die Identifizierung der Beamten im Falle von
Foltervorwürfen schwieriger, soll aber wohl verhindern, dass Organisationen
Racheakte an den betroffenen Beamten vornehmen.
Als weiteres Element von Artikel
10 kann die Akteneinsicht auf Antrag eines Staatsanwaltes durch richterlichen
Beschluss eingeschränkt werden. So könnte es einem Verteidiger
im Ermittlungsstadium verwehrt werden, bestimmte Dokumente einzusehen oder
Kopien davon zu machen. Dies ist ein deutlicher Verstoß gegen die
"Waffengleichheit" zwischen Anklage und Verteidigung.
Im Absatz e) bestimmt die neue Form
des Artikels 10, dass bei dem "begründeten" Verdacht, dass ein Anwaltsgespräch
zur Kommunikation zwischen dem Angeklagten und der Organisation dient,
Anwaltsgespräche durch einen Beamten im Gefängnis mit gehört
werden dürfen. Ein Richter darf übergebene Dokumente einsehen
und gegebenenfalls beschlagnahmen.
Am Artikel 16 des ATG (Gesetz 3713)
wurden keine Änderungen vorgenommen. Er besagt im Wesentlichen, dass
Personen, die nach dem ATG angeklagt oder verurteilt werden, in speziellen
Gefängnissen untergebracht werden (die Gefängnisse vom Typ F).
Eine andere Erweiterung zur alten
Fassung des ATG ist in Artikel 17 (verändert durch Artikel 12 des
Gesetzes 5532) zu sehen. Bis zum 01.06.2005 galt für Personen, die
nach dem ATG verurteilt wurden, dass sie ¾ ihrer Strafe zu verbüßen
haben, bevor sie (bei guter Führung) konditionell aus der Haft entlassen
werden können. Bis zu diesem Datum galt für gewöhnliche
Kriminelle, dass sie nach Verbüßung von 2/5 der Strafe in den
Genuss einer konditionellen Entlassung kommen können (in Prozenten
ausgedrückt: gewöhnliche Kriminelle konnten nach 40% ihrer Strafe
entlassen werden, politische Gefangene erst nach 75% ihrer Strafe). (15)
Dies wurde in den Artikeln 107 und
108 des Gesetzes 5275 zum Strafvollzug, das ebenfalls am 01.06.2005 in
Kraft trat, insofern korrigiert, dass für gewöhnliche Kriminelle
nun mindestens 2/3 der Strafe verbüßt sein müssen, bevor
eine konditionelle Haftentlassung erfolgen kann. Die Ungleichheit wurde
somit "entschärft". Die Änderungen durch den Artikel 12 des Gesetzes
5532 besagen nun, dass Personen, die nach dem ATG verurteilt wurden, dann
nicht vorzeitig auf Entlassung hoffen können, wenn sie einen Fluchtversuch
unternommen haben, an einem Aufstand teilnahmen oder mindestens drei Mal
mit Disziplinarstrafen in Form von Einzelhaft belegt wurden.
Des Weiteren bekräftigt der
Absatz 4 des Artikels 12 im Gesetz 5532 eine im Artikel 107(16) des Gesetzes
zum Strafvollzug sowieso schon vorhandene Bestimmung. Wer unter Bestimmungen
des ATG zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt wird (dazu zählen
die Artikel 146 altes TStG und 309 neues TStG), kommt nicht in den Genuss
einer vorzeitigen Haftentlassung, d.h. sie bleiben bis zum physischen Tod
im Gefängnis.
Auf weitere Bestimmungen des ATG
und Änderungen durch das Gesetz 5532 möchte ich an dieser Stelle
nicht eingehen, denn es sollte deutlich geworden sein, dass für politische
Gefangene andere Kriterien angewendet werden, als für gewöhnlich
kriminelle Täter. Die im Strafrecht vorgesehen Strafen werden um 50%
angehoben. Selbst wenn dies ein Automatismus für alle unter dem ATG
summierten Straftaten ist, so halte ich die Behauptung, dass die Strafe
für A.A., falls er ausgeliefert wird, nicht angehoben wird, für
nicht haltbar. Sicherlich ist bei einer lebenslänglichen oder erschwerten
lebenslänglichen Haft keine Steigerung um weitere 50% möglich,
aber sollte A.A. nicht nach Artikel 309 neues TStG sondern z.B. nach Artikel
314 neues TStG (vormals Artikel 168 TStG) verurteilt werden, wird die dann
verhängte Strafe um 50% angehoben. Ich sollte dabei erwähnen,
dass der Artikel 168 TStG eine höhere Strafe vorsah, als der Artikel
314 neues TStG.
Festzuhalten bleibt: Mit dem ATG
werden politische Gefangene diskriminiert. Neben ihrer Unterbringung in
Hochsicherheitstrakten und den für gewöhnliche kriminelle Täter
nicht bestehenden Ausnahmen zu einer konditionellen frühzeitigen Haftentlassung
müssen sie im Unterschied zu den gewöhnlich Kriminellen mindestens
75% und nicht 66% ihrer Haft verbüßen, bevor sie entlassen werden
können.
Nicht nur aus dem ATG sondern auch
aus weiteren Gesetzen geht hervor, dass politische Gefangene 48 und nicht
nur 24 Stunden in Polizeihaft gehalten werden können. Den politischen
Gefangenen wurde das Recht genommen, vom Moment der Festnahme an Rechtsbeistand
zu haben. Wiederum aus anderen Gesetzen abgeleitet, ist die maximal zulässige
Dauer der Untersuchungshaft. Sie ist bei politischen Gefangenen doppelt
so hoch, wie bei gewöhnlich kriminellen Tätern (d.h. politische
Verfahren laufen grundsätzlich die Gefahr, nicht in einer angemessenen
Frist (Artikel 6(1) EMRK) beendet zu werden. Schließlich kommt noch
hinzu, dass die Verteidigungsrechte von politischen Gefangenen im Ermittlungsstadium
nun (wieder) gesetzlich eingeschränkt werden dürfen.
Frage 5:
Stellt die vorliegende Garantieerklärung der türkischen Botschaft
in Bern einen Schutz gegen die Gefahr einer Behandlung dar, die nicht mit
den dort erwähnten Menschenrechtsnormen zu vereinbaren ist?
Ich muss zunächst einmal vorausschicken,
dass mein Schulfranzösisch nicht sehr qualifiziert ist. Ich denke
dennoch, dass ich den Inhalt des Schreibens vom 04.07.2006 verstanden habe,
da neben der Einhaltung der Europäischen Konvention der Menschenrechte
und Grundfreiheiten (EMRK) im wesentlichen auf konkrete Artikel des Internationalen
Paktes über bürgerliche und politische Rechte hingewiesen wird.
Ich möchte mich bei der Beantwortung der Frage auf jene Bestimmungen
beschränken, deren Einhaltung bei einer Auslieferung möglicherweise
gefährdet sein könnte. Soweit ich den Text des Internationalen
Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) zitiere,
beziehe ich mich auf eine Übersetzung, die ich im Internet unter der
Adresse http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_103_2/ gefunden habe. Artikel 2,
Absatz 3 des IPBPR besagt verkürzt: "Jeder Vertragsstaat verpflichtet
sich, a) dafür Sorge zu tragen, dass jeder... das Recht hat, eine
wirksame Beschwerde einzulegen."
Diese Bestimmung kann parallel zum
Artikel 13 der EMRK gesehen werden, der wiederum verkürzt besagt,
dass "Jede Person... hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz
eine wirksame Beschwerde zu erheben".
Ich darf hierzu feststellen, dass
der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EMRG) allein im ersten
Monat des Jahres 2006 in 7 gegen die Türkei gerichteten Fällen
festgestellt hat, dass ein Verstoß gegen Artikel 13 EMRK vorlag.
(16) Es gibt auch in den Monaten danach eine
Menge solcher Entscheidungen, während nur in einem Fall zwischen Januar
und Oktober 2006 entschieden wurde, dass keine Verletzung des Artikels
13 EMRK vorgelegen hat (natürlich auf jene Fälle beschränkt,
in denen eine Verletzung behauptet wurde). (17)
Für Artikel 9 IPBPR möchte
ich nur den Absatz 3 kommentieren, der ziemlich exakt dem Absatz 3 des
Artikels 5 EMRK entspricht (verkürzt): "Jeder, der... in Haft gehalten
wird, muss unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich
zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Amtsperson
vorgeführt werden und hat Anspruch auf ein Gerichtsverfahren innerhalb
angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft."
Ich habe zur übermäßigen
Dauer von politischen Verfahren, die nicht selten zu 10 oder mehr Jahren
Untersuchungshaft geführt haben, ausführlich in meinem Gutachten
vom Februar 2006 Stellung genommen. Hier sollte ich nur wiederholen, dass
die gesetzlichen Änderungen vom Juni 2005 es immer noch möglich
machen, dass politische Gefangene 10 Jahre lang in U-Haft gehalten werden
können. (18) Zudem hat der Gesetzgeber in einem
Sondergesetz verfügt, dass diese neue Bestimmung für politische
Gefangene erst am 1. April 2008 in Kraft tritt (sonst hätten etliche
von ihnen freigelassen werden müssen). (19)
Im Artikel 14 IPBPR halte ich den
Absatz 2 für wichtig. Er entspricht dem Artikel 6(2) EMRK und lautet:
"Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat Anspruch darauf,
bis zu dem im gesetzlichen Verfahren erbrachten Nachweis seiner Schuld
als unschuldig zu gelten." Ich hatte schon bei der Frage 3 zu fairen Gerichtsverfahren
darauf verwiesen, dass die potentiellen Mitangeklagten von A.A. mit großer
Wahrscheinlichkeit schon vor Beginn des Verfahrens in der Öffentlichkeit
als schuldig dargestellt wurden und sie bei der öffentlichen Selbstbezichtigung
sehr wahrscheinlich auch A.A. als Schuldigen benannt haben. Diese Bestimmung
dürfte also schon zum jetzigen Zeitpunkt verletzt worden sein. Wie
ich aber sagte, fehlt mir derzeit ein eindeutiger Nachweis dafür.
Aus dem Absatz 3 des Artikels 14
IPBPR ist der Unterpunkt c) eine Bestärkung des Rechtes, dass Prozesse
nicht verzögert werden. Dies entspricht dem Recht auf ein Urteil in
angemessener Frist, wie es in Artikel 6(1) EMRK verbürgt ist. Hier
gilt das Gleiche, was ich schon zu Artikel 9(3) IPBPR gesagt habe.
Die ebenfalls unter Artikel 14 IPBPR
aufgeführten Verteidigerrechte werden nach weiteren Bestimmungen des
IPBPR, deren Einhaltung versichert wird expressiv verbis zugesichert. Soweit
ich die französische Formulierung verstanden habe, wird ein unbeschränkter
und nicht überwachter Kontakt zu einem Anwalt zugesichert.
Die Erklärung wurde nach den
Änderungen im ATG abgegeben und übersieht ganz einfach, dass
auf Antrag eines Staatsanwaltes und richterlichen Beschluss diese Rechte
nun eingeschränkt werden können und weder die Regierung in Ankara
noch die Botschaft in Bern hätte die Möglichkeit, einen Richter
an einer solchen Entscheidung zu hindern. Es ist seit dem 29.06.2006 gültiges
Recht in der Türkei, diese Rechte einzuschränken und daher kann
Gegenteiliges nur unter der Prämisse garantiert werden, dass der Innenminister
den Beamten, die den evtl. Ausgelieferten in Empfang nehmen, strikte Anweisung
erteilt, dass er gleich einem Haftrichter vorzuführen ist.
Ähnliches gilt für die
Zusicherung, dass im Falle der Auslieferung der Betroffene Besuch von seiner
Familie, seiner Verwandtschaft und seinem sozialen Umfeld empfangen darf.
Zunächst einmal gibt es etliche Bestimmungen und immer wieder neue
Dekrete und Erlasse, die den Besuch von Gefangenen einschränken. Das
"soziale Umfeld" wird in den seltensten Fällen einen Besuch durchführen
können. Zum anderen ist es eine der beliebtesten Disziplinarstrafen
(gerade in den F-Typ Gefängnissen der Türkei) das Schreiben von
Briefen, Telefonieren aber auch das Recht auf Besuch für bestimmte
Zeiten zu verbieten. Dies ist eine im Rechtssystem vorgesehene Maßnahme
der Verwaltung, die ebenfalls weder die Regierung in Ankara noch die Botschaft
in Bern unterbinden kann.
Soweit ich die Zusicherung im Punkt
b) verstanden habe, wird garantiert, dass keine Strafe durch ein Ausnahmegericht
verhängt wird. Soweit darunter verstanden wird, dass es kein Militärgericht
oder ein Gericht mit Militärrichter sein wird, das über A.A.
zu urteilen hat, stimmt das. Jedoch sind die ehemals als Staatssicherheitsgerichte
bekannten Gerichte Ausnahmegerichte, weil sie nur eine bestimmte Art von
Verfahren führen (alle, die unter das ATG fallen). Daran hat sich
auch nach der formellen Abschaffung (für mich Umbenennung der Gerichte)
im Juni 2004 nichts geändert. In der revidierten Form des ATG steht
ausdrücklich, dass die Verfahren dieser Delikte vor den nach Artikel
250 TStPO zuständigen Gerichten zu führen sind und die Sonder-Bestimmungen
der Artikel 250-252 TStPO gelten. (20)
Eine abgewogene Garantieerklärung
hätte diese Tatsache berücksichtigen und gegebenenfalls einen
Kommentar dazu abgeben müssen.
Im Unterpunkt c) geht es vor allem
um das Folterverbot wie es in Artikel 7 IPBPR und Artikel 3 EMRK verankert
ist. Dazu möchte ich anmerken, dass die derzeitige Regierung mit der
Parole "Null-Toleranz gegen Folter" für ihren Einsatz gegen die Folter
immer wieder gelobt wurde und etliche Gesetzesänderungen (Verkürzung
der Polizeihaft, Zugang zu einem Anwalt etc.) durchaus Wirkung erzielt
haben. Dennoch ist es der Regierung nicht gelungen, Folter zu eliminieren
und in Bezug auf Straffreiheit für Folterer muss (wie auch an anderen
Punkten) die Gesetzesreform zum 1. Juni 2005 (sowie Änderungen danach)
als Rückschritt von zuvor getroffenen Maßnahmen angesehen werden.
So zählen z.B. Prozesse gegen
Folterer nicht mehr zu den dringlichen Verfahren (wie es Verfahren nach
dem ATG sind), es gibt keine Vorschrift mehr, dass Haftstrafen nicht in
Geldstrafen umgewandelt und nicht zur Bewährung ausgesetzt werden
können und es gibt immer noch die Möglichkeit der Verjährung
(selbst wenn die Fristen durch erhöhte Strafen, falls es mal zu einer
Verurteilung kommen sollte, länger sind).
Bei der nach wie vor zu beobachtenden
weiten Verbreitung von Folter und Misshandlung in der Türkei, sind
sicherlich Zweifel angebracht, ob alle mit dem Betroffenen befassten Beamten
sich auch explizit an diese Garantie halten würden. Ich möchte
nur darauf verweisen, dass allein die Zweigstelle Diyarbakir des Menschenrechtsvereins
IHD in den ersten neun Monaten dieses Jahre 293 Beschwerden zu Folter und
Misshandlungen verzeichnete. (21)
Des Weiteren wird unter c) versichert,
dass die evtl. zu verhängende Strafe nicht wegen einer politischen
Meinung oder Aktion angehoben wird. Selbst wenn einem Mord und insbesondere
der Mord an einem Polizisten der politische Charakter abgesprochen werden
sollte, so ist das ATG seinem Charakter nach Gesinnungsjustiz, denn sobald
ein Delikt unter diesem Gesetz subsumiert wird, muss eine dementsprechende
Strafe "automatisch" um 50% angehoben werden.
Es sollte dabei auch nicht außer
Acht gelassen werden, dass A.A. nicht für Mord, bzw. seine Beteiligung
an einer solchen Tat abgeurteilt werden soll. Da er selber nicht als Mörder
beschuldigt wird, hätte er als Maximalstrafe keine erschwerte lebenslange
Haft zu befürchten (die wegen seiner Minderjährigkeit zur Tatzeit
natürlich reduziert werden würde). Beihilfe zum Mord würde
der Vorwurf bei einem unpolitischen Mord lauten und auch nach türkischem
Recht wäre keine so drastische Strafe zu erwarten gewesen. Der Tatvorwurf
bei A.A. aber lautet, dass er als militantes Mitglied einer gewaltbefürwortenden
Organisation, das sich nicht scheute, eine Waffe in die Hand zu nehmen
und bei einem Kapitalverbrechen beteiligt war, für den gewaltsamen
Umsturzversuch der verfassungsmäßigen Ordnung bestraft werden
soll.
Hätte es bei den Aktionen,
an denen A.A. beteiligt gewesen sein soll, keine Toten gegeben, dann wären
die Beteiligten "nur" wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation
angeklagt worden. Aber auch in diesem Fall wäre die zu verhängende
Strafe um 50% angehoben worden. Die Zusicherung, keine erschwerte Strafe
wegen einer politisch motivierten Tat zu verhängen, wird dann noch
einmal im Punkt d) wiederholt. Hinzu kommt die Zusicherung, dass mit der
Auslieferung keine politischen Ziele verfolgt werden.
Inwieweit mit diesen Zusicherungen
auch die weiteren diskriminierenden Maßnahmen, die sich zwangsläufig
bei politischen Gefangenen einstellen, gemeint sind, bleibt fraglich. Zur
Wiederholung: A.A. würde auch schon während seiner U-Haft in
einem Hochsicherheitstrakt (Gefängnis vom Typ F) untergebracht, an
denen die Kritik wegen der vorherrschenden Politik der Isolation der Gefangenen
nicht verstummt ist und es mehr als 100 Tote in und außerhalb der
Gefängnisse gegeben hat, um die Belegung dieser "modernen" Haftanstalten
zu verhindern. (22)
Für A.A. kommt hinzu, dass
er frühestens nach ¾ seiner Haft (nicht nach 2/3) die Möglichkeit
hätte, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden und er dürfte
(gesetzlich abgesichert) doppelt so lange in U-Haft gehalten werden, wie
gewöhnlich kriminelle Täter. Als dies kann simpel ausgedrückt
als "Polit-Malus" angesehen werden, mit denen politische Täter auch
für ihre Gesinnung bestraft werden sollen.
Obwohl die Liste der zugesicherten
Rechte in der Erklärung der türkischen Botschaft in Bern vom
04.07.2006 sehr lang ist, fehlt ein für mich entscheidendes Kriterium:
die Einhaltung des Artikel 15 UN CAT (bzw. des Artikels 135/a alte oder
des Artikels 148 neue TStPO). Sicherlich würde wohl auch eine solche
Erklärung abgegeben werden, denn von offizieller Seite würde
wohl kaum bescheinigt werden, dass bestimmte Gerichte internationales und
nationales Recht nicht oder nur äußerst unzureichend berücksichtigen.
Insgesamt kann die abgegebene Erklärung
als lückenhaft, bzw. interpretationsbedürftig angesehen werden,
denn es werden effektive Beschwerdemöglichkeiten garantiert, obwohl
das EMRG immer wieder feststellt, dass diese Möglichkeiten in der
Türkei nicht bestehen. Dazu wurde keine Erklärung abgegeben.
Es wurde auch nicht erklärt, wie ein uneingeschränkter und unbeaufsichtigter
Kontakt zum Anwalt garantiert werden kann, wenn das Gesetz für politische
Gefangene eindeutige Ausnahmen zulässt. Es wurde auch nicht deutlich
gemacht, wie ein Besuch beim Gefangenen ermöglicht werden soll, falls
ihm aus disziplinarischen Gründen ein Besuchsverbot auferlegt wird.
Des Weiteren hätte erläutert
werden müssen, warum in den diskriminierenden Maßnahmen des
ATG und der Artikel 250-252 neue TStPO keine Verschärfung von Strafe
und Haft aufgrund politischer Ansichten gesehen wird. Eine Stellungnahme
zum Artikel 15 UN CAT fehlt schließlich gänzlich.
Lassen Sie mich abschließend
noch Anmerkungen zu dem aus Deutschland abgeschobenen Metin Kaplan machen.
Er wurde zwar abgeschoben, aber parallel dazu war ein Auslieferungsverfahren
anhängig und die mit beiden Fragen (Abschiebung und Auslieferung)
beschäftigten Gerichte waren sich nicht einig in der Frage, ob Metin
Kaplan in den Genuss eines fairen (rechtsstaatlichen) Verfahrens kommen
würde.
Der damalige Innenminister Otto
Schily ist zu diesem Zweck extra in die Türkei gereist und hat danach
öffentlich bekannt gegeben, dass die türkische Regierung ein
faires Gerichtsverfahren zugesichert habe. Die Bildzeitung will sogar eine
solche Zusage vom Ministerpräsidenten Erdogan persönlich erhalten
haben. (23)
Der Fall war besonders in der deutschen
Öffentlichkeit sehr prominent und auch in der Türkei wurde eine
öffentliche Diskussion um diesen Fall geführt. Da ist es schon
etwas erstaunlich, wenn das anschließende Verfahren in der Türkei
so gut wie gar keine Beachtung fand und Einzelheiten daraus kaum bekannt
sind. Ich habe in meinem Gutachten vom Februar 2006 den Fall mit etlichen
Einzelheiten referiert und komme zu dem Schluss, dass entgegen etwaiger
Zusicherungen seitens der türkischen Regierung Metin Kaplan kein faires
Gerichtsverfahren hatte. Er wurde vor allem aufgrund von Aussagen anderer
(verurteilter) Angeklagten zu erschwerter lebenslanger Hat verurteilt,
von denen diese glaubwürdig versicherten, dass sie unter Folter aufgenommen
wurde. Weder das Gericht, dass diese Personen verurteilte (in dieser Kammer
war der Vorsitzende der Kammer, die über Metin Kaplan urteilte Beisitzer,
und zwar der eine von drei Richtern, der sich für härtere Strafen
aussprach) noch das Gericht, das über Kaplan richtete, ist diesen
Vorwürfen nachgegangen. Das über Kaplan urteilende Gericht hat
sich sogar geweigert, diese Personen in der Hauptverhandlung anzuhören.
Der Kassationshof hat das Urteil
gegen Kaplan allein aus formalen Gründen (wie das Fehlen einer Unterschrift)
aufgehoben und ist auf den kritischen Punkt des Verwertungsverbots von
mit illegalen Methoden erwirkten Aussagen nicht eingegangen.
Ich denke, dass dieser Fall ein
klarer Hinweis darauf ist, dass etwaige Zusicherungen nach einer Abschiebung
(oder Auslieferung) sehr schnell in Vergessenheit geraten können,
zumal sich weder die türkische noch die deutsche Regierung um die
Sache zu kümmern scheinen.
Hamburg, den 03.12.2006
Helmut Oberdiek
Fußnoten:
1. In meinem Bericht werde
ich die Namen in nicht unbedingt den wahren Namen entsprechenden Initialen
wiedergeben.
2. Artikel 91 der neuen Strafprozessordnung
(Ceza Muhakemeleri Kanunu = CMK), das Gesetz mit der Nummer 5271 vom 1.
Juni 2005
3. Fundstelle des deutschen
Textes: http://www.tuerkeiforum.net/extra/2006/extra06.html
4. Dennoch wurde die Untersuchungshaft
"lediglich" wegen Unterstützung einer bewaffneten Bande (Artikel 169
altes TStG) angeordnet.
5. Den Vorsitz der Kammer hatte
wiederum ein Militärrichter, Oberstleutnant Mustafa Ugur. Unter den
Militärrichtern gab es Personen, die sehr schlecht protokollierten,
aber auch Juristen, die deutliche Worte auch bei der Protokollierung von
Foltervorwürfen fanden.
6. Ich habe die Fehler im
Satzbau und der Ausdrucksweise absichtlich beibehalten, H.O.
7. Nach dem Antrag des SSG
Istanbul Nr. 4 vom 20.06.2003, das dem Schreiben der Botschaft in Bern
vom 08.08.2003 vermutlich angefügt war, wurde E.S. anscheinend am
17.04.1998 durch das SSG Istanbul Nr. 4 mit einem Urteil Nr. 1998/101 und
der Grundnummer des Verfahrens 1996/280 als Mitglied (Artikel 168 altes
TStG) verurteilt, aber wegen des Mordes an dem Polizeibeamten Ali Ünlü
freigesprochen. Ob es sich hier um ein drittes Verfahren gegen E.S. handelt
oder ob lediglich aufgrund von Abtrennung und/oder Zusammenlegung andere
Aktenzeichen eingeführt wurden, vermag ich nicht zu beurteilen. Der
Antrag des SSG Istanbul Nr. 4 enthält keine Angaben dazu, ob dieses
Urteil rechtskräftig wurde oder nicht.
8. Ich sollte darauf hinweisen,
dass zu jener Zeit die späte Registrierung einer Festnahme keine Seltenheit
war, d.h. die Polizeihaft kann unter Umständen länger gewesen
sein.
9. An dieser Stelle sollte
ich erneut darauf verweisen, dass nicht die Angaben des Beschuldigten protokolliert
werden, sondern das was der Staatsanwalt (oder Richter) von diesen Angaben
wiedergeben will. An diesem Eintrag sehe ich in erster Linie den Versuch,
möglichen Foltervorwürfen (bzw. einer Klage durch die Verteidiger)
vorzubeugen, in dem das Attest auf "gewöhnliche" Verletzungen und
nicht systematische Folter hin interpretiert wird. Der Beschuldigte könnte
hindessen z.B. von Methoden berichtet haben, die keine Spuren hinterlassen.
10. Angaben in einem Fax an
RA M. B. vom 20.09.2006
11. General recommendations
of the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading
treatment, in E/CN.4/2003/68, 17 December 2002, par. 26 (k).
12. Artikel 15 der UN CAT
besagt: "Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass Aussagen,
die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als
Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der
Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht
wurde."
13. Die Vorschriften zu verbotenen
Verhörmethoden im Artikel 135/a - sind: zugefügt durch
Gesetz: 3842 - 18.11.1992) Die Angaben eines Aussagenden oder Angeklagten
müssen auf freiem Willen beruhen.
Körperliche oder seelische
Maßnahmen, die geeignet sind, das zu verhindern wie Misshandlung,
Folter, erzwungene Zufuhr von Medikamenten, ermüden, betrügen,
körperliche Gewalt, sowie Mittel, die den Willen brechen, dürfen
nicht eingesetzt werden. Es darf kein ungesetzlicher Vorteil versprochen
werden. Aussagen, die mit den oben beschriebenen verbotenen Methoden aufgenommen
wurden, dürfen selbst bei Einwilligung nicht als Beweismittel verwertet
werden.
14. Artikel 27 besagt, dass
die Unschuldsvermutung allen Ermittlungen zugrunde liegt. Es dürfen
gegenüber der Öffentlichkeit und Presse im Rahmen der Ermittlungen
keine Erklärung über die Schuld einer Person abgegeben werden;
der Presse dürfen keine Interviews gegeben werden. Es dürfen
keine Abbildungen der Personen weiter gegeben oder der Presse erlaubt werden,
Abbildungen anzufertigen. Der Inhalt der Ermittlungsakten darf nicht veröffentlicht
werden.
15. Ich gehe an dieser Stelle
nicht auf die jeweils unterschiedlichen Reduzierungen bei lebenslanger
oder erschwerter lebenslanger Haft (früher Todesstrafe) ein, da die
Prozentsätze den Unterschied schon deutlich machen.
16. Biskin v. Turkey (no.
45403/99); Güler v. Turkey (no. 49391/99); Halis Dogan and Others
v. Turkey (no. 50693/99); Mordeniz v. Turkey (no. 49160/99); Yavuz v. Turkey
(application no. 67137/01); Nazif Yavuz v. Turkey (no. 69912/01); Yasar
v. Turkey (application no. 46412/99)
17. Das ist der Fall Bayrak
and Others v. Turkey (no. 42771/98).
18. Bis zum 1. Juni 2005 gab
es keine Beschränkung der U-Haft für Taten, die mehr als 7 Jahre
Haft erforderten.
19. Vgl. auch den Bericht
von Amnesty International "Turkey: Justice Delayed and Denied: The persistence
of protracted and unfair trials for those charged under anti-terrorism
legislation" (AI Index EUR 44/013/2006 vom 06.09.2006).
20. Ausführlichere Kommentare
zu den Staatssicherheitsgerichten und den an ihre Stelle getretenen Gerichte
finden sich in meinem Gutachten vom Februar 2006.
21. Fundstelle: http://www.tuerkeiforum.net/wochen/2006/0642.html
22. Ich möchte auf eine
detaillierte Studie zu den F-Typ Gefängnissen verzichten, da sie den
Rahmen des Gutachtens sprengen würde, sollte aber dennoch auf den
Bericht des CPT vom September 2006 verweisen, in dem grundsätzlich
das Unterfangen gelobt wird, aber auch deutlich wird, dass die nach dem
Gesetz verbürgten Mindestansprüche der Gefangenen nicht eingehalten
werden.
23. Vgl. http://magazine.web.de/de/themen/nachrichten/deutschland/recht/327054.html