Helmut Helmut Oberdiek * 18.9.1947 — † 27.4.2016
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Medizinische Versorgung in der Türkei

Mit Schreiben vom 23.11.2006 wurde ich von Dr. Maske, Richter am VG in Aachen um die Erstattung eines Gutachtens zu einem Beweisbeschluss vom 23.11.2006 gebeten. Im Hintergrund stand die schwere psychische Erkrankung einer Frau aus dem Kreis Elbistan (Provinz Maras) und die Möglichkeiten einer Behandlung in der Türkei. Die hier aufgeführten Antworten gelten für die Fragen

Behandlungsmöglichkeit

Welche Medikamente sind in der Türkei erhältlich?

Frage 2: Ist eine etwaige Behandlungsmöglichkeit für die Klägerin faktisch erreichbar?

Ich möchte die Antwort auf diese Frage mit einem Kommentar zu der Feststellung auf der Seite 22 des Urteils vom VG Aachen vom 16.03.2005 zum Aktenzeichen 6 K 448/05.A beginnen. Hier heißt es: "…unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern (gibt es) inzwischen mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Landesweit sind in 68 Städten 137 Krankenhäuser bevollmächtigt, Gesundheitszeugnisse über Behinderte und/oder psychisch kranke Menschen auszustellen."

Ich bin derzeit weder in der Lage, die Angaben zu bestätigen, noch sie in Frage zu stellen und gehe daher von der Korrektheit aus. Anmerken möchte ich jedoch, dass bei 68 Städten, in denen es Einrichtungen geben soll, die psychiatrische Diagnosen stellen können, es mindestens 13 von 81 Provinzhauptstädten in der Türkei geben muss, die nicht über eine solche Einrichtung verfügen. Bedenkt man, dass unter den aufgezählten Städten evtl. auch Kreisstädte sind, so würde sich die Zahl der Provinzhauptstädte ohne qualifizierte Einrichtung weiter erhöhen.

Es würde mich jedenfalls nicht überraschen, wenn im Westen der Türkei mehrere Städte auf Kreisebene über eine solche Einrichtung verfügen, während es im Süden und Südosten der Türkei weniger an solchen Einrichtungen geben dürfte.

Konkret auf die Klägerin und ihren Heimatort Elbistan (Kreisstadt von der Provinz Maras, in Langform als Kahramanmaras geschrieben) bezogen, würde ich annehmen, dass es weder in der Kreis- noch in der Provinzhauptstadt Einrichtungen mit psychiatrischer Qualifikation gibt. Ich habe jedenfalls auf den Seiten der Ärztekammer Maras keinen Eintrag über Psychiatrie oder Angaben zu einem Psychiater als Mitglied der Ärztekammer gefunden. Fn 1

Dafür habe ich einige Angaben zu Elbistan gefunden, die vielleicht von Interesse sein dürften. Sie sind in einem Antrag des Abgeordneten Avni Dogan (aus der Provinz Kahramanmaras) und 41 weiterer Abgeordneten vom Januar 2000 zu finden, in dem es um die Anerkennung von Elbistan als eigenständige Provinz geht.

Nach der Volkszählung von 1997 lebten in der Stadt 87.274 Personen und in den umliegenden (ebenfalls zum Kreis gehörigen Dörfern) 57.167 (zusammen also 144.441) Personen. Im Kreis gibt es 113 Grundschulen und 13 Gymnasien. Das Staatskrankenhaus hat 100 Betten und das Privatkrankenhaus der Stiftung ASEV hat 130 Betten. Fn 2

Ein wesentlicher Grund, warum Elbistan zu einer Provinzhauptstadt gemacht werden soll, wird mit der Entfernung zur Provinzhauptstadt Maras angegeben. Sie liegt 169 Kilometer entfernt und kann im Winter nur mit großen Mühen bewältigt werden, weil es über die Toros-Berge geht. Selbst in Sommerzeiten kann die Strecke nur in 2,5-3 Stunden zurückgelegt werden.

Wie ich schon oben sagte, würde ich auch in der Provinzhauptstadt keine psychiatrische Einrichtung vermuten, so dass (falls die Klägerin in die Türkei und dort an ihren Heimatort zurückkehrt) nur die Möglichkeit bestünde, sich in der Nachbarprovinz Malatya nach Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten umzuschauen. Die Entfernung (über befahrbare Straßen) von Elbistan zu Malatya liegt unter der Entfernung von Elbistan zu Maras und die Strecke dürfte sogar besser befahrbar sein, d.h. von Elbistan könnte Malatya mit einem PKW oder Bus wohl in 2 Stunden erreicht werden können.

An der Ismet-Inönü Universität in Malatya hat die Medizinische Fakultät immerhin auch einen Lehrstuhl für Psychiatrie und in der Universitätsklinik dürften auch Psychiater tätig sein. Ob sie die Klägerin als Patientin aufnehmen würden und wenn ja, neben der Untersuchung und Verschreibung von Medikamenten auch für eine umfassendere Behandlung akzeptieren würden, ist eher fraglich. Nach der derzeitigen Rechtslage können nur Beamte sicher sein, in Universitätskrankenhäusern behandelt zu werden. Mit entsprechenden Geldmitteln und/oder Beziehungen könnte die Klägerin vielleicht auch als Patientin akzeptiert werden, das kann aber nicht als gesichert vorausgesetzt werden.

Auf der Seite des Gouverneurs von Malatya (malatya.gov.tr) finden sich Angaben über weitere Krankenhäuser in Malatya. Das Staatskrankenhaus soll 455 Betten haben und das Krankenhaus der SSK (Sozialversicherung) habe 466 Betten. Dazu kommen 2 kleine Privatkliniken mit 43 Betten. Es sind aber keine Angaben vorhanden, ob es in diesen Krankenhäusern auch eine psychiatrische Abteilung gibt. Die Stadtverwaltung von Malatya hat die Informationen des Gouverneurs quasi "abgeschrieben". Beide beziehen sich auf den Direktor für das Gesundheitswesen in Malatya. Ich kann daher leider nicht sagen, ob es außerhalb der Universität noch eine Möglichkeit in Malatya gibt, fachkundige Untersuchung und Behandlung von Psychologen oder Psychiatern zu erhalten. Fn 3

Der Besitz einer grünen Karte für kostenlose Untersuchung dürfte nach der derzeit gültigen Rechtslage nicht ausreichen, um Zugang zu einem Universitätskrankenhaus zu erhalten. Sie würde allerdings nützlich sein, wenn finanzielle Mittel für eine Behandlung fehlen und diese in einem staatlichen Krankenhaus oder einer Einrichtung des SSK zu erhalten wäre.

Wie in dem o.a. Urteil des VG Aachen vom 16.03.2005 auf Seite 32 korrekt bemerkt wird, wurde das Gesetz zur Ausstellung von grünen Karten mit dem Gesetz Nr. 5222 vom 14. Juli 2004 geändert und damit in 3 zu Pilotprovinzen ernannten Städten und den dazu gehörigen Kreisen und Dörfern die Übernahme der Kosten für Arzneimittel eingeführt. Seit der Erstellung der Auskunft der Deutschen Botschaft Ankara vom 17. Januar 2005 hat es keine mir bekannten weiteren Erkenntnisse zu diesem Punkt gegeben.

Die Ärzte der TIHV konnten mir dazu auch keine konkreten Informationen liefern. Auf ihre sonstigen Kommentare komme ich weiter unten wieder zurück. Ich möchte zuerst Meldungen wiedergeben, die auf Probleme bei der Ausstellung von grünen Karten hindeuten. Ich habe sie den Wochenberichten des Demokratischen Türkeiforums (DTF) entnommen:

Özgür Gündem vom 03.04.2003

Prügel für Antrag auf "grüne" Karte

Nazif Korparal, ein Funktionär der DEHAP im Kreis Samsat (Adiyaman), erhob Vorwürfe von Folter. Er sagte, dass er aufgrund eines Antrages auf eine "grüne Karte" (kostenloser Gesundheitsdienst für Bedürftige) am 28. März auf die Gendarmeriestation in Samsat bestellt worden sei. Nachdem er eine Stunde gewartet habe, sei er zum Kompaniechef mit dem Namen Adnan Girgin gerufen worden. Dieser habe gleich auf ihn losgeschimpft, warum er als Mitglied der HADEP staatliche Hilfe beantrage. Er solle lieber erzählen, wo sich sein Bruder befinde. Dabei habe er ihn so heftig geschlagen, dass er auf den Boden fiel. Danach habe er ihm eine Frist von 48 Stunden eingeräumt. Falls er in dieser Zeit seinen Bruder nicht brächte, würde er (der Kommandant) dafür sorgen, dass er aus der Stadt vertrieben würde.

Özgür Gündem vom 08.04.2003

Probleme mit "grüner Karte"

Hasan Karahan aus dem Dorf Sulucem im Kreis Dogubeyazit (Agri) sagte, dass er von dem Kommandanten der Gendarmeriestation in dem Dorf, Oguz Poyrazoglu, bedroht worden sei, als er dort wegen der Erneuerung der "grünen Karte" vorgesprochen habe. Er habe ihn beschuldigt, für die DEHAP aktiv gewesen zu sein und solange er dort nicht austrete, werde er noch häufig zur Wache kommen müssen, bevor er eine "grüne Karte" erhalte. Mitglieder DEHAP bräuchten erst gar keinen Antrag zu stellen.

Evrensel vom 16.04.2003

Folter in Silopi

Isa Tokay gab bekannt, dass sein Sohn Haci Tokay aufgrund von Folter psychisch krank sei. Im Alter von 17 Jahren sei er am 5. Juni 1999 von Dorfschützern aus dem Dorf Görümlü festgenommen und zur Gendarmerie in der Kreisstadt Silopi (Sirnak) gebracht worden. Er sei sowohl in Silopi als auch in Sirnak verhört worden und er selber (der Vater) habe gesehen, wie sein Sohn gefoltert wurde. Er sei mit Stromstössen behandelt worden, man habe geschmolzenes Nylon auf ihn getroffen und ihm seine Fußnägel gezogen. Nach 21 Tagen sei er ins Gefängnis in Midyat gekommen, aber nach 2,5 Monaten aus der U-Haft entlassen worden, weil er minderjährig war. Das Verfahren habe in Freispruch geendet, aber sein Sohn sei nach der Entlassung zwei Wochen lang nicht zu sich gekommen. Ein Arzt in Mardin habe ihm gesagt, dass er vor einer Schizophrenie stehe. Er habe seinen Sohn aber nicht behandeln lassen können und ein Antrag auf eine grüne Karte sei mit den Worten abgelehnt worden, dass es sich um einen Terroristen handele. Vorsprachen beim Landrat und beim Gouverneur seien ebenfalls erfolglos geblieben.

Özgür Politika vom 21.10.2003

Probleme mit der Grünen Karte

Das DEHAP Mitglied Ihsan Cansiz hat Probleme, eine grüne Karte für kostenlose Gesundheitsversorgung zu erhalten, obwohl er nicht vorbestraft ist. Er gab an, dass er im September einen Antrag im Kreis Hozat (Tunceli) gestellt habe, die Gendarmerie aber auf dem Formblatt vermerkte, dass er wegen Unterstützung der KADEK bekannt sei. Er sei im Jahre 1996 an die 4 bis 5 Mal festgenommen worden, sei aber jedes Mal ohne Strafe wieder freigelassen worden. Nun bemühe er sich seit 2 Jahren um eine grüne Karte, die er vermutlich aber nicht erhalte, weil er bei der DEHAP aktiv ist.

Özgür Politika vom 12.12.2003

Grüne Karte verweigert

Aus dem Dorf Andac im Kreis Uludere (Sirnak) wurde berichtet, dass die Familie von Hazal Ölmez keine grüne Karte für kostenlose Gesundheitsversorgung erhält, weil ein Sohn in den Reihen der PKK kämpfen soll. Hazal Ölmez wollte eine grüne Karte haben, um ihren 14-jährigen Sohn Hidir Ölmez wegen Leistenbruchs behandeln lassen zu können. Sie hatte sich die nötigen Papiere vom Dorfvorsteher besorgt und war von der Gendarmeriestation im Dorf zur Kommandantur geschickt worden. Dort habe man ihr gesagt, dass sie keine grüne Karte erhalten könne, weil ein Sohn bei der PKK sei. Daraufhin habe sie sich an den Landrat gewandt, der sie aber wieder zur Gendarmerie geschickt habe. Die Familie ist mittellos, nachdem der Vater verstorben war. Der Sohn Kerem Ölmez sei zudem nicht bei der PKK, sondern halte sich in Europa auf.

Özgür Politika vom 21.12.2003

Grüne Karte verweigert

Selim Üldes aus dem Kreis Hamur (Agri) hat sich beschwert, dass ihm keine grüne Karte für kostenlose Gesundheitsversorgung ausgestellt wurde. Er sei am 10. Dezember auf die Kommandantur der Gendarmerie in Hamur gegangen und eine Karte beantragt. Der Obergefreite Kazim Uzun habe ihn nach seinem Bruder M. Kerim Üldes gefragt, der vor etlichen Jahren in den Reihen der PKK bei einer bewaffneten Auseinandersetzung gefallen sei. Der Obergefreite habe sich wegen des Ausdruckes “gefallen” aufgeregt, da für PKK'ler das nicht gelte. Deshalb habe er auch die Ausstellung einer grünen Karte verweigert. Den nächsten Antrag stellte Herr Üldes am 17. Dezember. Wieder wurde er durch den Obergefreiten Kazim Uzun empfangen. Dieses Mal habe er auf Fragen nach dem Bruder verzichtet, ihn aber aufgefordert, über einen H.I., der aus demselben Dorf stammt, Informationen zu bringen. Er habe die grüne Karte zwar ausgestellt, ihm aber gedroht, dass sie nicht verlängert würde, wenn er die Informationen nicht beibringen würde.

Özgür Politika vom 18.01.2004

Grüne Karte nur für Dorfschützer?

Fikri Korkmaz ist 55 Jahre alt. Er lebt in Cakirkas im Kreis Kovancilar (Provinz Elazig) und hat 8 Kinder. Ein Sohn ist Beamter, so dass er und seine Frau über ihn sozialversichert sind. Da seine anderen Kinder aber keinen Schutz besitzen, hat er sich mehrfach an den Landrat gewandt, damit ihm eine grüne Karte für kostenlose Behandlung und Medikamente ausgestellt wird. Dies wurde beim ersten Mal mit Hinweis auf den verbeamteten Sohn abgewiesen. Herr Korkmaz hatte sich bei den entsprechenden Stellen (Banken, Versicherungen etc.) die notwendigen Dokumente besorgt, aber auch sein Widerspruch wurde abgelehnt. Als Letztes entschloss er sich, den Landrat persönlich aufzusuchen. Er wurde dazu von der Reporterin Fatma Bilgin begleitet. Da der Landrat Resul Kir nicht mit der Presse reden wollte, musste sie wieder den Raum verlassen, während Herr Korkmaz unter etlichen Besuchern warten sollte.

Was danach passierte, schilderte Fikri Korkmaz folgendermaßen: „Als er zurückkam, kam er mit den Worten 'Hast du die Reporterin mitgebracht?’ auf mich zu und würgte mich am Hals. Der Kommandant der Gendarmerie und die Beschäftigen schauten dabei zu. Der Landrat warf mir vor, dass ich ein Haus und 24 Kühe besitze, einer meiner Söhne als Fahnenflüchtiger im Ausland sei und er mir keine grüne Karte geben werde. Als ich mich vom Würgegriff befreit hatte, entgegnete ich ihm, dass einer meiner Söhne gerade seinen Wehrdienst ableiste, der andere Sohn nicht im Ausland sondern in Istanbul sei und ich ihm die Adresse geben könne, damit sie ihn zum Wehrdienst einziehen. Ich sagte ihm auch, dass mein Haus bei dem Erdbeben in Bingöl beschädigt wurde ich nicht 24 sondern nur 2 Kühe besitze. Der Landrat wollte wissen, wo ein anderer Sohn von mir als Lehrer beschäftigt sei. Er drohte mir, dass er für seine Strafversetzung sorgen werde.“ Herr Korkmaz will die Sache weiter verfolgen und hat sich an den IHD gewandt. Im Kreis Kovancilar waren schon vorher Vorwürfe laut geworden, dass der Landrat Resul Kir nur Dorfschützern eine grüne Karte ausstelle, sie aber den Bedürftigen verweigere.

Özgür Politika vom 16.04.2004

Politische Kriterien für Grüne Karte

Bewohner des Dorfes Bay in der Provinz Hakkari beschwerten sich darüber, dass die zentrale Gendarmeriestation ihnen die Bewilligung ihrer Anträge aus politischen Motiven heraus verweigere. Nadir Ciftci sagte, dass er nach seiner Haftentlassung im Dezember 2003 einen Antrag gestellt habe und ihm gesagt wurde, dass er keine Hilfe vom Staate erwarten könne, weil er jahrelang als Mitglied einer illegalen Organisation im Gefängnis gewesen sei. Mehmet Beyter sagte, dass er aufgefordert wurde, seinen Sohn “aus den Bergen zu holen” (sich als bewaffneter Kämpfer stellt), bevor er eine Grüne Karte erhalten könne. Ismet Beyter wurde gesagt, dass er eine Satellitenschüssel auf dem Dach und Kühe besitze und daher nicht hilfsbedürftig sei. Dabei habe er lediglich ein Kabel vom Nachbarn gezogen und sei auch nicht im Besitz von Tieren.

Özgür Politika vom 30.07.2004

Grüne Karte verweigert

Büsra Aksoy wurde mit Problemen am Bein und an der Hüfte geboren. Sie ist jetzt 2,5 Jahre alt. Nachdem der Vater Alper Aksoy eine grüne Karte für kostenlose Gesundheitsversorgung erhielt, ging er nach Istanbul, wo er seinen Lebensunterhalt mit dem Sammeln von Papier und Plastik sicherte. Seine Tochter hat mittlerweile 3 Operationen hinter sich. Eine vierte Operation soll ihre Probleme mit der Niere beseitigen. Sie würde aber 20 Milliarden TL (ca. 10.000 Euro) kosten. Also ging der Vater wieder in seine Heimatstadt Karliova (Bingöl), um die grüne Karte zu verlängern. Da er die Formalitäten nicht sofort abschließen konnte, beauftragte er seinen Vater Abdurrahim Aksoy damit, die Papiere abzuholen. Am 16. Juli ging der Großvater von Büsra Aksoy zum Landrat Ali Fuat Atik. Der aber zerriss die Papiere und sagte: "Soll die PKK euch doch die Papiere ausstellen." Der Landrat soll zudem die grünen Karten der Großeltern und der Tante (Bruder des Vaters) ungültig gemacht haben, vermutlich, weil ein Onkel sich der Kongra-Gel angeschlossen hat.

Özgür Politika vom 05.08.2004

Unterschriftsaktion gefährdet Grüne Karte

Das Gouverneursamt in Batman ist aktiv geworden, nachdem in der letzten Woche innerhalb der Kampagne "Freiheit für Öcalan", die landesweit von der Bewegung Freier Bürger durchgeführt wird, 8.000 Unterschriften in Batman übergeben wurden. Im Stadtteil Yavuz Selim, in dem 4.000 Unterschriften gesammelt wurden, waren Beamte unterwegs, um Personalien der Unterschreibenden aufzunehmen. Nafiye Cicek sagte, dass er gefragt wurde, ob er die Petition unterschrieben habe. Ihm sei angedroht worden, dass er nicht mehr in den Genuss der Grünen Karte komme, wenn er eine Unterschrift geleistet habe.

Radikal vom 01.02.2005

Probleme mit der grünen Karte

Timur Soykan berichtet: Überall in der Türkei bilden sich vor den Büros zur Ausstellung der grünen Karte (für kostenlosen Gesundheitsdienst) lange Schlangen. Seit 2002 haben 19 Millionen Menschen einen Antrag auf eine grüne Karte gestellt. Im letzten Jahr waren es 1,3 Millionen, von denen allerdings nur 294.000 Menschen eine grüne Karte erhielten. Eines der Büros für eine grüne Karte befindet sich auf dem Platz Tarlabasi im Kreis Gaziosmanpasa (Istanbul). Dort haben sich seit morgens um 5 Uhr die Antragsteller angestellt. Der Erste von ihnen notiert sich die Namen im gelben Licht der Straßenlaterne und setzt seinen Namen gleich oben an, denn er hat am längsten mit seinen kaputten Schuhen, die mit Wasser voll gelaufen sind, gewartet. Die Liste geht nur bis 70, denn mehr Anträge werden an einem Tag nicht bearbeitet. Um 6 Uhr stehen schon 63 Namen auf der Liste. Der letzte Name ist Salih Korkmaz (26), der einen Eilantrag in Händen hält, da sein neugeborener Sohn unbedingt behandelt werden muss. Die Papiere vom Ortsvorsteher, Grundbuch, Polizeipräsidium usw. hat er beisammen. Alle bestätigen, dass er arm ist. Salih Korkmaz wundert sich, dass Leute mit guten Beziehungen auch eine grüne Karte erhalten, obwohl sie nicht bedürftig sind. Letztes Jahr hatte er keine grüne Karte erhalten, weil sein Vorname im Ausweis fälschlich als "Sali" eingetragen worden war. Dieses Mal war es ihm beim 3. Versuch gelungen, einen Antrag zu stellen und ihm wurde gesagt, dass ein Entscheid in 20 Tagen vorläge. Als er auf die Dringlichkeit aufmerksam machte, wurde ihm gesagt, dass er jeden Tag nachfragen solle.

An Position 60 steht Nurten Isik (35). Sie hat wie Salih Korkmaz verschiedene Tätigkeiten ausgeübt, aber nie einen Job mit Versicherung gehabt. Zuletzt hatte sie mit ihrem Mann illegal in einer Schneiderei gearbeitet. Dort war zuerst ihr Mann entlassen worden. Als ihr 5-jähriger Sohn erkrankte, hatte sie den Chef um eine Versicherung gebeten, aber der war nicht darauf eingegangen. Weil sie dann 2 Tage nicht zur Arbeit kam, um die Formalitäten für die grüne Karte zu erledigen, wurde sie entlassen. Weil sie die Miete nicht mehr zahlen konnten, nahm ihr Mann die Kinder mit zu seinen Eltern und Nurten Isik kehrte in ihr Elternhaus zurück.

Die Türen zum Büro gehen um 8.30 Uhr auf. Sema Turan (41) will sich vordrängen und sagt, dass sie nur fragen will, ob ihre Karte verlängert wurde. Sofort greifen andere ein und sagen, dass es ihnen genau so gehe. Sema Turan hat vor 5 Jahren ihren Mann mit 4 Kindern verlassen. Sie versucht sich durch den Verkauf von gebrauchten Sachen über Wasser zu halten. Als allein stehende Frau hat sie sich nicht ganz früh aus dem Haus getraut und ist nicht unter die ersten 70 gekommen.

Nur Ercan Demirci ist glücklich. Er war die letzten zwei Tage jeweils um 05.30 Uhr gekommen und kommt heute mit 5 grünen Karten für seinen älteren Bruder zurück. Der konnte selber nicht zum Büro gehen, weil er auf seine kranke Tochter aufpassen muss.

Özgür Politika vom 09.03.2005

Grüne Karten aberkannt

Aus dem Kreis Derik (Mardin) verlautete, dass 6.000 Grüne Karten (für kostenlose Gesundheitsversorgung) aberkannt worden sind. Betroffene sagten, dass Wohlhabende Karten erhalten hätten und sie von anderen als "wohlhabend" gemeldet wurden. Im gesamten Kreis soll es 23.000 Besitzer einer grünen Karte geben.

Eine der 6.000 Besitzer der grünen Karte, die nicht verlängert wurde, ist Melihe Gürhan, deren Ehemann vor 5 Jahren in Istanbul ermordet wurde und die mit Hilfe ihrer Nachbarn nun für 6 Kinder aufkommen muss. Sie sagte, dass sie nun ihren 6-jährigen Sohn, der an Leber- und Nierenproblemen leidet, nicht mehr behandeln lassen kann. Sakir Ecer hat zwei Mal Einspruch gegen die Aberkennung der grünen Karte eingelegt, aber keinen Erfolg gehabt. Er sagte, dass seine 12-jährige Tochter Efsane psychologische Probleme habe. Sie stehe mitten in der Nacht auf und schreie. Deshalb schicke er sie nicht einmal zur Schule. Da er selber nur als Saisonarbeiter tätig sei, habe er keine Mittel und werden vielleicht auch noch zwei weitere Kinder von der Schule nehmen müssen.

Özgür Politika vom 11.03.2005

Vorbestrafte erhalten keine Grüne Karte

Der in Siirt lebende Hizir Ekinci hat den Bediensteten der Gendarmeriestation Aydinlar vorgeworfen, ihm eine Grüne Karte mit der Begründung, dass sein Sohn eine Vorstrafe wegen Unterstützung (einer illegalen Organisation) habe, verweigert zu haben. In einem Schreiben, das der Hauptgefreite Kemal Koc ihm mit Datum vom 7. März geschickt habe, habe gestanden, dass gegen ihn (Jahrgang 1935) nichts vorliege, aber sein Sohn Ilyas (Jahrgang 1984) habe eine Eintragung ("fis"), der PKK Unterschlupf und Hilfe gewährt zu haben. Der IHD Vorsitzende für Siirt, Vetha Aydin, sagte, dass die Ablehnung der Anträge von DEHAP Mitgliedern oder Personen, denen Unterstützung vorgeworfen werde, bislang mündlich erfolgte und dies das erste Mal sei, dass eine schriftliche Ablehnung erfolgt sei.

Özgür Politika vom 31.08.2005

Keine grüne Karte für Mitglieder der DEHAP

Über den AKP Bürgermeister der Stadt Yesilalan (Barman) im Kreis Savur (Mardin), Serhan Yildirim, gab es Beschwerden, dass er mittellosen Mitgliedern der DEHAP die Ausstellung von Grünen Karten verweigert. Dazu soll er die Gendarmeriestation Pinardere beeinflusst haben. Davut Karatas, Vater von 12 Kindern, sagte dazu, dass 4 Anträge innerhalb der letzten 6 Monate abgelehnt wurden. Er sei in den letzten 10 Jahren mehrfach festgenommen und seine Gesundheit habe darunter gelitten. Er könne sich aber nicht behandeln lassen, weil er keine Grüne Karte habe. Als er sich nach dem Grund erkundigen wollte, sei er nicht einmal in die Gendarmeriestation gekommen. Man habe ihm aber gesagt, dass "Terroristen keine Grüne Karte bekommen". Zilfinur Aydin ist allein erziehende Mutter von 12 Kindern. Sie beschwerte sich darüber, dass ihre Akte auf der Gendarmeriestation verschwand und ein neuer Antrag von ihr nach 4 Monaten immer noch nicht bearbeitet sei. Der Vorsitzende der DEHAP für die Provinz Mardin, Cemal Veske sagte, dass die Praxis gegen seine Partei und seine Mitglieder gerichtet sei und der Bürgermeister Serhan Yildirim hinter diesen Machenschaften stehe.

Soweit die Meldungen vom DTF zu Schwierigkeiten bei der Erlangung einer grünen Karte. Neben Meldungen, die sehr anschaulich die Probleme deutlich machen, gibt es auch etliche, die darauf hindeuten, dass lokale Verhältnisse (Einstellung von bestimmten Landräten) eine entscheidende Rolle spielen könnten.

Ich habe zwar keine vom DTF dokumentierten Beispiele aus dem Jahre 2006 finden können, aber ich weiß aus eigener Anschauung, dass diese Probleme auch 2006 angedauert haben. Der Fernsehjournalist Michael Enger war im April/Mai 2006 in den kurdischen Gebieten und bei Interviews mit Anwälten in Lice (Diyarbakir) haben diese ihm als eines der schwereren Probleme den Erhalt von grünen Karten geschildert. Dies gilt sowohl anhand der Meldungen als auch in den Augen der interviewten Anwälte vor allem für Personen, denen in der Vergangenheit eine Nähe zur PKK nachgesagt wird.

Auf der anderen Seite sollte nicht verkannt werden, dass viele Personen das Recht auf kostenlose Untersuchung und Behandlung mit Hilfe einer grünen Karte erworben haben. Dafür sprechen folgende Berichte auf den Seiten des DTF:

Radikal vom 20.09.2004

Viele Anträge auf Grüne Karte

Seit der Einführung der "grünen Karte" (für kostenlose Gesundheitsversorgung) im Jahre 1992 haben 18 Millionen Menschen einen Antrag auf eine solche Karte (für mittellose Bürger) gestellt. Bis Mitte dieses Jahres hatten 13,4 Millionen Bürger eine solche Karte erhalten, d.h. bei einer Einwohnerzahl von 71 Millionen Menschen in der Türkei besitzen 18,7% eine grüne Karte. In den letzten 5 Jahren wurde für die grünen Karten ein Betrag von 1,2 Milliarden Dollar ausgegeben. Die Zahl der Bewerber hat in den letzten Jahren abgenommen. Waren es noch 1,3 Millionen Anträge im letzten Jahr, von denen lediglich 294.000 bewilligt wurden, so waren es in den ersten 6 Monaten dieses Jahres 176.000 Anträge, von denen 122.000 bewilligt wurden.

Radikal vom 19.10.2006

Eine Million Grüne Karten in drei Provinzen

In der Provinz Van mit knapp 890.000 Einwohnern haben fast 560.000 Personen eine Grüne Karte für kostenlose Gesundheitsversorgung. In der Provinz Hakkari haben von 236.581 Einwohnern 165.000 eine Grüne Karte und in der Provinz Agri haben von 528.744 Einwohnern 323.148 eine Grüne Karte.

Nach Angaben auf einer für mich zunächst nicht klar zu identifizierenden Internetseite mit lauter Zahlen () sollen (immer mit angeblich aktuellem Datum, von mir am 8. Januar 2007 besucht) im Kreis Elbistan 32.873 Personen im Besitz einer grünen Karte sein (die Liste wird nach der Adresse mit den Zahlen unter der Erweiterung ykbs/ykbs_ilceaktif.jsp aufgeführt). Wird hinter die Adresse mit den Zahlen ykbs/ykbs_ilceiptal.jsp als Erweiterung gesetzt, so befindet sich dort die Information, dass im Kreis Elbistan 718 Personen die grüne Karte wieder aberkannt wurde. Fn 4

Ausgehend davon, dass mittlerweile mindestens 140.000 Menschen im Kreis Elbistan leben (Volkszählung von 2000 führte eine Zahl von 128.000 Einwohnern auf), so dürfte der Anteil der Inhaber von einer grünen Karte leicht über dem Landesdurchschnitt liegen, aber nicht so hoch sein, wie in den weiter östlich gelegenen Provinzen Van, Hakkari oder Agri (vgl. die Meldung in Radikal vom 19.10.2006).

Damit ist natürlich noch nicht die Frage beantwortet, ob es der Klägerin gelingt (falls sie nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt), in den Besitz einer grünen Karte zu gelangen. Immer unter der Voraussetzung, dass sie nach einer (zwangsweisen) Rückkehr in die Türkei auch an ihren Heimatort Elbistan zurückkehrt, könnte sie wohl beim Landrat einen solchen Antrag stellen. Ich kann jedoch nicht voraussagen, ob dieser evtl. wegen des Verdachts, dass die Familie in der Vergangenheit die PKK unterstützt hat, die Ausstellung einer grünen Karte verweigern würde. Von einer solchen Praxis im Kreis Elbistan ist mir zumindest nichts bekannt.

Selbst wenn die Klägerin in den Besitz einer grünen Karte gelangen könnte, ist damit aber nicht geklärt, ob auch die Kosten für Medikamente übernommen werden (vgl. dazu auch Frage 3). Momentan herrscht an diesem Punkt Rechtsunsicherheit. Ich möchte das an zwei Meldungen deutlich machen.

Die erste Nachricht bezieht sich auf eine Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei vom 09.11.2006. In einer Entscheidung der 5. und 10. Kammer (gemeinsamer Rat) zu einem Antrag der Ärztekammer der Türkei wurden verschiedene Bestimmungen der Erlässe des Finanzministeriums vom 29.04. und 31.05.2006 zur Durchführung der Hilfe bei medizinischen Behandlungen aufgehoben. Es handelte sich dabei um folgende Bestimmungen (ohne Angaben der Artikel):

  • Medikamente dürfen nur für die maximale Dauer einer 7-tägigen Behandlung verschrieben werden;

  • Antibiotika dürfen für die Dauer von 5-7 Tagen verschrieben werden;

  • Das Gesundheitsministerium hat der Indikation und Dosierung von Medikamenten zuzustimmen.

  • Der Bereich der Experten, die Antidepressiva verschreiben können, wurde unzureichend formuliert (das Gleiche gilt für Arzneien im Fall von Epilepsie und antimikrobische Medikamente).

Die zweite Meldung erschien in Radikal vom 11.12.2006. Demnach ist es geplant, dass alle Menschen in der Türkei (mit Ausnahme von Soldaten und Gefangenen) ab dem 1. Januar 2007 einem allgemeinen System von Krankenversicherung zugehören sollen. Eine Zusammenfassung der Meldung (eigene Übersetzung) ist wie folgt:

Durch das in diesem Jahr verabschiedete und am 1. Januar 2007 in Kraft tretende Gesetz 5510 zu Sozialversicherungen und einer allgemeinen Krankenversicherung soll der Unterschied zwischen Beamten, Arbeitern, Selbständigen und Inhabern von grünen Karten aufgehoben werden. Danach soll es auch für Arbeiter, Selbständige, Rentner und Inhaber von grünen Karten leichter werden, direkten Zugang zu Universitäts- oder Forschungskrankenhäusern zu haben. Das war bisher Beamten vorbehalten. Bei Landwirten sollen die Beiträge aus dem Verkauf ihrer Güter eingezogen werden. Jugendliche unter 18 Jahren sollen kostenlos behandelt werden und Patienten, die zur Notaufnahme kommen, sollen kein Geld bezahlen müssen.

Die unterschiedlichen Versicherungen (SSK, Bag-Kur, Emekli Sandigi) sollen zu einer Versicherung SGK zusammengelegt werden. Bei dem Besuch einer Gesundheitseinrichtung (z.B. den lokalen Gesundheitsämtern) soll die Vorlage des Ausweises reichen. Ein Krankenschein (saglik karnesi) wird nicht benötigt. Durch die Eingabe der Ausweisnummer werden alle Informationen über den Patienten sichtbar.

Die Prämien wurden auf 12% des Bruttoeinkommens festgelegt. Die Prämien für Inhaber einer grünen Karte werden vom Staat bezahlt. Dafür wurden im Haushalt 2007 insgesamt 2,6 Milliarden neue türkische Pfund (YTL) bereitgestellt. Bei der Frage, ob der Staat die Prämien bezahlt, wird davon ausgegangen, dass das Einkommen jedes einzelnen Mitglieds der Familie unter einem Drittel des Mindestlohnes liegt. Fn 5

Vor dem Besuch eines Universitäts- oder Forschungskrankenhauses, wo ambulante (keine stationäre) Behandlung gewährt wird, müssen alle Personen (außer Beamte) zuerst zu einem Gesundheitsamt und dann zu einem Staatskrankenhaus gehen, um sich überweisen zu lassen. Wer sich direkt in einem Universitätskrankenhaus meldet, muss 10 YTL als Anteil bezahlen. Die Kosten für Medikamente müssen übernommen werden. In Privatkliniken werden 70% der Behandlungskosten übernommen. Bei Prothesen oder anderen Hilfsmitteln muss der Patient 10-20% der Kosten übernehmen. Zahnersatz wird zum Teil von der SGK übernommen.

Die Meldung listet weitere Einzelheiten aus dem neuen Gesetz auf, die ich aber mangels Relevanz hier nicht aufführen möchte.

Nun hat aber das Verfassungsgericht am 15.12.2006 etliche Bestimmungen des Gesetzes 5510 vom 31.05.2006 auf Einspruch des Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer sowie 118 Abgeordneten aufgehoben (das begründete Urteil umfasst 171 Seiten; allein die Aufzählung der beanstandeten Artikel nimmt drei Seiten in Anspruch). Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber gefordert ist, das Gesetz vollständig zu überarbeiten, bevor es in Kraft treten kann.

Der Arzt Levent Kutlu sagte dazu, dass das Verfassungsgericht auch sehr positive Bestimmungen des Gesetzes aufgehoben hat. Er teilte des Weiteren mit, dass die nach Verabschiedung eines neuen Gesetzes notwendigen Verfügungen und Erlasse ebenfalls nicht vorhanden sind. Ferner müsse damit gerechnet werden, dass mit Beginn des neuen Jahres die Diskussionen um vorgezogene Wahlen eine ordentliche Arbeit des Parlaments behindern werde. Es stünde zu befürchten, dass die momentane Möglichkeit der Übernahme der Kosten für Medikamente wieder rückgängig gemacht werde.

Frage 3: Sind die Medikamente Seroquel 300-0-0-450mg, Trevilor ret 75-0-0-0 mg und Promethazin 5-10 mg, bzw. äquivalente Medikamente in der Türkei erhältlich und für die Klägerin faktisch erreichbar?

Als Laie war die Beantwortung dieser Frage für mich recht schwierig. Am Anfang dachte ich, dass ein bekannter Anwalt in der Türkei, dessen Geschwister Apotheker sind, eine Antwort finden könnte, aber beide Geschwister waren unerreichbar und ein benachbarter Apotheker konnte (oder wollte) ihm lediglich sagen, dass das Medikament Seroquel in der Türkei vorhanden sei, aber in einer geringeren Dosierung vertrieben werde.

Im Internet habe ich sodann mit dem Begriff für Medikament und dem Namen des zweiten Arzneimittels gesucht. Dabei habe ich gerade mal einen Treffer erzielt. Dieser Treffer führte mich in das Forum einer Seite mit dem Namen "Panik-Atak" (panische Attacke). Eine seit 28 Jahren in Deutschland weilende Frau hatte im Forum um Rat gebeten. Sie sei seit 20 Jahren in Behandlung. Seit 7 Jahren nehme sie die Medikamente Seroquel 100mg, Trevilor 150 mg, Marpotolien 50mg und Schlaftabletten ein. Auch ihr 21-jähriger Sohn (unter 4 Kindern) sei krank und werde nicht wieder gesund.

Dr. Nihat Kaya hat auf diese Anfrage im Forum geantwortet. Nach aufmunternden Worten teilte er der Frau mit, dass 80% der Depressionen "heilbar" seien. Er vermutete, dass es sich entweder um eine resistente Depression handeln könne und dann dementsprechend verfahren werden müsse, oder dass falsche Medikamente angewendet würden. Er empfahl der Frau, intravenöse Medikamente zu verlangen. Aufschlussreich für mich war die Bemerkung, dass nicht nur die Dosierung gut eingestellt werden muss, sondern auch nach 6 Monaten ein Wechsel der Medikamente empfohlen sei.

Ich habe Dr. Nihat Kaya, der die Privatklinik DEPAM in Istanbul leitet, per E-Mail angeschrieben, aber keine Antwort erhalten. Fn 6

Aus diesem Grunde bin ich in Hamburg in eine internationale Apotheke gegangen und habe um die gewünschten Auskünfte gebeten. Allerdings wurde mir gesagt, dass das in ihrer Apotheke vorhandene Programm lediglich in eine Richtung suchen könne, d.h. wenn jemand ein Rezept aus der Türkei vorlege, könnten sie feststellen, unter welchem Namen das Präparat in Deutschland verkauft werde, aber nicht anders herum.

Die Dame in der Apotheke war aber so freundlich, mir für jedes Präparat den Wirkstoff herauszusuchen. Damit, so die Apothekerin, sei es allen Kollegen und Kolleginnen in der Türkei möglich, das dort zur Verfügung stehende Medikament herauszufinden.

Also habe ich erneut Freunde in der Türkei angeschrieben und um einen Gang zu einer Apotheke gebeten. Allerdings bin ich noch vor einer Antwort aus der Türkei auf die Informationen gestoßen, die ein Apotheker in der Türkei im besten Falle gegeben hätte. Die von mir besuchten Seiten im Internet haben auf mich den Eindruck gemacht, dass sie Datenbanken für Apotheker sind, aber der Zugang schien keinen Beschränkungen zu unterliegen.

Folgendes kann ich demnach sagen:

Das Medikament Seroquel wird unter dem gleichen Namen in der Türkei von der Firma Astra Zeneca vertrieben. Auf den Internetseiten von "ilacrehber.com" werden zur Indikation und zur Dosierung folgende (verkürzte) Informationen gegeben:

Seroquel ist im Falle von Schizophrenie indiziert. Bei Erwachsenen soll die Dosierung in den ersten vier Tagen bis auf maximal 300mg gesteigert werden. Danach kann zwischen 300 und 450mg täglich verordnet werden. In Kliniken kann es bis zu 750mg gesteigert werden. Da der Wirkstoff Ketiapin Fn 7 in der Leber metabolisiert wird, sollten Personen mit Leberstörungen mit dem Medikament vorsichtig sein. Bei einer Überdosis sei die Zufuhr von Sauerstoff wichtig.

Das Präparat wird in der Türkei in verschiedenen Packungen vertrieben. Neben einer Starterpackung werden Packungen mit Tabletten von 100, 200 und 300mg vertrieben. Die in der Frage hinter dem Namen des Arzneimittels aufgeführten Zahlen deuteten für mich darauf hin, dass der Patientin Tabletten von 300mg verschrieben wurden und sie anderthalb Tabletten am Tag (450mg) einnehmen solle. Eine Packung mit 60 Tabletten von 300mg (das müsste bei einer Dosierung von 450mg am Tag 40 Tage lang reichen) kostet den Apotheker 274,37 YTL (das sind etwas mehr als 150 Euro). Fn 8

Das Medikament Trevilor ret hat den Wirkstoff Venlafaxin HCL. Dieser Wirkstoff ist in dem in der Türkei von der Firma Wyeth vertriebenen Medikament Efexor enthalten. Dazu wird auf den Seiten von ilacrehberi.com gesagt, dass dieses Arzneimittel bei Angstzuständen und Depressionen verschrieben wird und sowohl ambulant als auch stationär zur Anwendung kommt. Die normale Dosierung beträgt 75mg, kann unter Bedingungen einer Klinik aber auf 150mg angehoben werden. Das Maximum liege bei 375mg täglich, sollte aber bei positiver Reaktion langsam wieder zurück genommen werden. Die Dosierung sollte bei Leberkranken um 50% reduziert werden.

Bei einer Behandlung mit Venlafaksin sollte der Arzt periodisch die Wirkung überprüfen. Bei Patienten, die Venlafaksin über 6 Wochen oder länger einnehmen, sollte immer wieder die Dosierung für 1-2 Wochen verringert werden.

Auf den Seiten von Wikipedia zum Wirkstoff Venlafaxin konnte ich keine Warnungen über zu lange Einnahme des Medikamentes, dafür jedoch eine Auflistung möglicher Nebenwirkungen finden. Hier stand auch als üblicher Name für ein entsprechendes Arzneimittel der in Türkei verwendete Name Efexor. Des Weiteren wird das Medikament in Deutschland vor allem in Form von Retardkapseln von 75 oder 150mg vertrieben. Da in der Frage hinter dem Namen des Medikaments die Zahl 75 vermerkt war, gehe ich davon aus, dass der Klägerin die Kapseln von 75mg verschrieben wurden.

Sie sind in der Türkei in der Verpackung mit 28 Kapseln für den Apotheker für 46,10 YTL (ca. 25 Euro) erhältlich (Auskunft ebenfalls von ilacabak.com).

Das Arzneimittel Promethazin soll keinen anderen Namen für den Wirkstoff haben. Ich habe aber mit diesem Suchbegriff auch in der Schreibweise von "Prometazin" keinen Treffer erzielen können. Ich fand den Ausdruck nur in der von hedefim.com angebotenen Liste zusammen als Zusammensetzung von Tiyokol + Prometazin + Sodyum Benzoat + Efedrin. Das Kombipräparat soll den Preis von 3,68 YTL für den Apotheker haben. Ob es allerdings in der Wirkung dem Mittel Promethazin entspricht, kann ich nicht sagen.

Über die Beschreibung des Präparats bei Wikipedia bin ich dann noch einmal auf die Suche nach Arzneistoffen aus der Gruppe der Phenothiazine gegangen und habe ein von der Firma Ezcacibasi vertriebenes Medikament Largactil gefunden. Es soll in der Neuropsychiatrie bei akuten Psychosen, delirischen Zuständen usw. eingesetzt werden.

Das stimmt aber wohl kaum mit der Beschreibung bei Wikipedia überein, demnach das Medikament gegen Allergien und als Beruhigungsmittel verwendet wird. Largactil hat danach eine weitaus stärkere Wirkung als Promethazin. Da ich weder Arzt noch Apotheker bin, kann ich leider nicht sagen, was bei einer gleichen Diagnose wie in Deutschland ein Arzt in der Türkei zur Erzielung des von Promethazin erzeugten Effektes einsetzen würde.

Insgesamt betrachtet dürfte jedoch Seroquel wohl das entscheidende Mittel sein, während die anderen Präparate eher zum "Gegensteuern" sowie zur Einwirkung auf "nebensächliche" Symptome gedacht zu sein scheinen. Ich würde sagen, dass im Falle einer (zwangsweisen) Rückkehr der Klägerin in der Türkei in jedem Fall erst einmal ein Facharzt (eine Fachklinik) gefunden werden muss und die Mediziner vor Ort selber eine Diagnose stellen müssen, nach der sie dann entsprechende Medikamente verschreiben könnten.

Sollten die Mediziner in der Türkei zum gleichen Schluss kommen, wie die Kollegen in Deutschland, dann stünden die ersten beiden Präparate (evtl. in unterschiedlicher Dosierung) bereit, während ein angemessenes Beruhigungsmittel erst noch gefunden werden müsste.



Hamburg, den 10.01.2007 Helmut Oberdiek

1Die Kammer hat diese Adresse.

2 Von einer psychiatrischen Abteilung ist hier nicht die Rede.

3 Herr Kutlu hat als Kommentar auf die vermeintlich große Zahl von Krankenhäusern mit qualifiziertem Personal in der Psychiatrie angemerkt, dass in den meisten Fällen dort lediglich Rezepte ausgestellt würde. Eine psychiatrische Betreuung finde in diesen Krankenhäusern in der Regel nicht statt.

4 Nachdem ich die Internetseite des Gesundheitsministeriums aufgerufen und dort nach Informationen über die grüne Karte suchte, konnte ich feststellen, dass hier auf einen neuen Server unter der o.a. Adresse weitergeleitet wird. Allerdings gelangt man von der Seite des Ministeriums dort nur hin, wenn Benutzername und Passwort eingegeben werden.

5 Der Mindestlohn lag zum Zeitpunkt dieser Nachricht bei 381 YTL (ca. 200 Euro).

6 Das wundert mich nicht besonders, denn von einem Deutschen in der türkischen Sprache um einen kostenlosen Rat gebeten zu werden, ist so ungewöhnlich, dass der Arzt es wohl für einen Scherz gehalten hat.

7 Die Apothekerin hatte mir den Wirkstoff als Que tiapin hemifumarat aufgeschrieben.

8 Die Auskunft war auf den Seiten von ilacabak.com verzeichnet und entspricht der am 31.12.2006 gültigen Liste, wie sie auf der Internetseite hedefim.com zum Herunterladen angeboten wurde.

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