Ort |
Kammer des Landgerichts |
Adana |
6, 7 |
Ankara |
11 |
Diyarbakir |
4, 5 und 6 (7 aufgelöst) |
Erzurum |
2 |
Istanbul |
9-14 |
Izmir |
8 |
Malatya |
3 |
Van |
3, 4 |
Die Reformpakete
Eigene Zusammenfassung:
Paket 1: Gesetz
4744 vom 9. Februar 2002
Paket 2: Gesetz
4748 vom 9. April 2002
Paket 3: Gesetz
4771 vom 9. August 2002
Paket 4: Gesetz
4778 vom 11. Januar 2003
Paket 5: Gesetz
4793 vom 4. Februar 2003
Paket 6: Gesetz
4928 vom 19. Juli 2003
Paket 7: Gesetz
4963 vom 30. Juli 2003
Paket 8: Gesetz
5101 vom 14. Juli 2004
Originaltexte (im Internet)
Birinci
Uyum Paketi - 19 Şubat 2002
İkinci
Uyum Paketi - 9 Nisan 2002
Üçüncü
Uyum Paketi - 9 Ağustos 2002
Dördüncü
Uyum Paketi - 11 Ocak 2003
Beşinci
Uyum Paketi - 4 Şubat 2003
Altıncı
Uyum Paketi - 19 Temmuz 2003
Yedinci
Uyum Paketi - 7 Ağustos 2003
Sekizinci
Uyum Paketi - 14 Temmuz 2004
Anpassungsgesetz
(1) 4744
Enthielt Änderungen der §§ 159 und
312 TSG. Das Gesetz wurde am 18. Februar vom Staatspräsidenten ratifiziert.
Die Artikel 3 und 4 des Gesetzes änderten Artikel 7 und 8 des ATG. Nach
Art. 7 wird die Unterstützung und Propaganda einer terroristischen Organisation
mit 1-5 Jahren Haft bestraft. Die Strafen für separatistische Propaganda
(Art. 8) wurden reduziert. Die Artikel 5-7 betrafen das Gesetz zu SSG und
die StPO. Die maximale Dauer der Polizeihaft wurde bei gemeinschaftlichen
Vergehen auf 4 Tage reduziert. Im Ausnahmezustand kann die Dauer auf 7
Tage angehoben werden. Die Möglichkeit, einen Anwalt beizuziehen, wurde
für Vergehen vor den SSG eingeführt.
Kommentierender Text found at: http://www.byegm.gov.tr/on-sayfa/uyum/uyum-ing.htm
Anpassungsgesetz
(2) 4748
Das Gesetz brachten Änderungen zum
Pressegesetz (Konfiszierung und Verwandeln von Haft- in Geldstrafen). Ein
anderer Artikel bestimmte, dass die Entschädigungen, die der EMRG der Türkei
auferlegt, von den Personen zu zahlen sind, die die Menschenrechtsverletzung
(Folter oder Misshandlung) begangen haben. Das Verbot von politischen Parteien
wurde erschwert.
Das Vereinsgesetz erhielt neue Bestimmungen
zu den Eigenschaften der Gründer (ab 18, aber nicht bei bestimmten Straftaten).
Internationaler Kontakt wurde erleichtert. Demos und Kundgebungen können
von Personen ab 18 Jahren angemeldet werden. Das Gesetz 2845 (SSG) erhielt
eine Änderung im Artikel 16, wo der letzte Absatz gestrichen wurde, demnach
bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung der Richter dem Angeklagten bestimmte
Informationen vorenthalten und die Gespräche mit einem Verteidiger durch
einen Richter überwachen lassen konnte.
Anpassungsgesetz
(3) 4771
Mit dem Artikel 1 wurde die Todesstrafe
in Friedenszeiten abgeschafft. § 159 TSG gilt nicht bei reiner Kritik.
Menschenschmuggel wird härter bestraft. Es gab etliche Änderungen im Demonstrations-,
Vereins- und Stiftungsgesetz. Dazu wurden Bestimmungen eingeführt, wie
im Falle von Entscheidungen des EMRG verfahren wird (Wiederaufnahme des
Verfahrens). Es gab neue Bestimmungen für Radio- und Fernsehsendungen.
Erneut wurde das Pressegesetz geändert. Das Gesetz zu Rechten und Pflichten
der Polizei wurde auch in Bezug auf Demos und Kundgebungen geändert. Das
Gesetz 2923 zum Unterricht von Fremdsprachen wurde geändert.
Anpassungsgesetz
(4) 4778
Mit diesem Gesetz wurde bestimmt,
dass Strafen für Folter nicht in Geldstrafen verwandelt oder zur Bewährung
ausgesetzt werden können. Auf richterliche Anordnung können U-Gefangene
jeweils für die Dauer von 4 Tagen zum Verhör gebracht werden. Sie müssen
vom Richter angehört werden und die Zeiten werden auf die Haftdauer angerechnet.
Das Verbot von Parteien wurde weiter erschwert. Journalisten müssen ihre
Quellen nicht mehr preisgeben. Stiftungen von Minderheiten können Grundbesitz
erwerben. Das Vereinsgesetz wurde erneut geändert. Es gab auch Änderungen
im Gesetz zum Strafregister.
Anpassungsgesetz
(5) 4793
Es ging (wieder?) und vor allem
um die Wiederaufnahme von Verfahren nach einer Entscheidung des EMRG.
Anpassungsgesetz
(6) 4928
Es ging um Stiftungen von Minderheiten,
die Erhöhung der Strafe nach § 453 TSG und die Nutzung von Medien im Wahlkampf.
Des weiteren wurde kleine Änderungen in den Formulierungen bestimmter Gesetze
vorgenommen (z.B. wurde das Wort "Moschee" durch "Gebetstätten" ersetzt).
Artikel 14 eröffnete die Möglichkeit von Radio- und Fernseh-sendungen in
lokalen Mundarten. Bestimmungen zum Gesetz für Radio- und Fernseh-sendungen
(3984) wurden geändert. Vergessene Straftatbestände, die die Todesstrafe
nach sich ziehen, wurden aufgelistet. Artikel 8 des ATG wurde aufgehoben
und eine Bestimmung aus einem Gesetz 3842, das Änderungen an verschiedenen
Gesetzen (u.a. dem ATG) vornahm, wurde aufgehoben, so dass Personen, die
nach dem ATG angeklagt sind, nun auch Rechtsbeistand haben (Art. 19).
Artikel 20 definierte Terrorverbrechen neu (Methoden, die angewendet werden
müssen).
Anpassungsgesetz
(7) 4963
Die Strafen unter § 159 TSG wurden
reduziert. Im § 169 TSG wurde bei Unterstützung der Zusatz "in welcher
Form auch immer" gestrichen. Es gab ein paar Neuerungen im Pressewesen.
Verfahren wegen Folter sollen als "eilig" eingestuft und in den Sommerferien
nicht ausgesetzt werden. Zivilisten sollen nicht vor einem Militärgericht
angeklagt werden. Ein paar Begriffe wurden korrigiert und das Vereinsgesetz
wurde erneut geändert. Im Demogesetz wurden Fristen verändert (Aussetzen
der Erlaubnis). Bestimmungen zum Nationalen Sicherheitsrat wurden geändert.
Das Gesetz zum Unterrichten von Fremdsprachen wurde geändert. Für Stiftungen
gab es ebenfalls neue Bestimmungen. Der Art. 7 des ATG wurde erneut geändert.
Anpassungsgesetz
(8) 5101
Hier ging es um die Anpassung von
Gesetzen zu künstlerischen Werken und deren Aufführung.
Wiedergabe (teils wörtlich) neuerer Gesetze
Artikel 19 der Verfassung
(Persönliche Freiheit und Sicherheit)
Artikel 91 der
neuen StPO (Strafprozessordnung) Dauer der Polizeihaft
Artikel 147 und
148 StPO (verbotene Verhörmethoden)
Die maximale Dauer der Polizeihaft
lag zwischen dem 17.06.1985 und dem 12.03.1997 bei 15 Tagen (doppelt so
lange im Gebiet unter Ausnahmezustand). Am 12.03.1997 wurde sie für gewöhnliche,
aber gemeinsam begangene Vergehen auf vier Tage reduziert. Vergehen nach
dem ATG bzw. Delikte, die vor den SSG verhandelt wurden, zogen eine maximale
Dauer der Polizeihaft von sieben Tagen nach sich. Die maximale Dauer der
Polizeihaft wurde für das Gebiet unter Ausnahmezustand auf zehn Tage festgelegt.
Seit dem 6. Februar 2002 gelten
für Delikte unter der Gerichtsbarkeit der SSG (bzw. nun Sonderkammern der
Landgerichte) 48 Stunden als die normale Dauer der Polizeihaft, die auf
vier Tage ausgedehnt werden kann. Sollte in einigen Gebieten der Türkei
der Ausnahmezustand wieder ausgerufen werden, so dürfte hier legal die
maximale Dauer der Polizeihaft sieben Tage umfassen.
Bis zum 19. Juli 2003 (Gesetz 4928)
hatten die Personen, die unter dem Verdacht eines Verstoßes gegen das ATG
standen, in den ersten zwei Tagen ihrer Polizeihaft kein Recht auf einen
Rechtsbeistand. Inzwischen besteht das Recht auf einen Verteidiger für
alle Delikte vom Augenblick der Festnahme an. Der Artikel 148 neue StPO
schreibt sogar vor, dass bei der Aufnahme der Aussage eines Verdächtigen
bei den uniformierten Kräften ein Anwalt anwesend sein muss, wenn diese
Aussage als Beweismittel verwertet werden soll.
Am 03.10.2001
wurden mit dem Gesetz 4709 etliche Artikel der Verfassung von 1982 geändert.
Dazu gehört auch der Artikel 19, der erste Artikel im Kapitel mit der Überschrift
"III. Persönliche Freiheit und Sicherheit". Die relevanten Passagen lauten
wie folgt (eigene Übersetzung aus der türkischen Sprache, HO):
"Absatz 4: Den festgenommenen oder
verhafteten Personen werden die Gründe für die Festnahme oder Verhaftung
und die Vorwürfe gegen sie in jedem Fall schriftlich, wenn dies nicht gleich
möglich ist, sofort mündlich, bei gemeinsamen Vergehen spätestens bis zur
Vorführung beim Richter mitgeteilt." (Dieser Absatz wurde nicht verändert,
HO)
"Absatz 5: (geändert: 03.10.2001-4709)
Die festgenommene oder verhaftete Person muss abzüglich der Frist des Transportes
vom Haftort zum nächsten Gericht spätestens innerhalb von 48 Stunden, bei
gemeinsam begangenen Vergehen spätestens innerhalb von vier Tagen einem
Richter vorgeführt werden. Niemand darf ohne einen richterlichen Beschluss
seiner Freiheit beraubt werden, wenn diese Fristen verstrichen sind. Diese
Fristen können unter Ausnahmezustand, Kriegsrecht oder im Falle von Kriegen
verlängert werden."
Mit dem Gesetz 4744 (das 1. Paket
zur Anpassung an die EU) wurden diese Änderungen nun auch in das Gesetz
2845 zur "Gründung und Strafprozessordnung von Staatssicherheitsgerichten"
übernommen. Das am 6. Februar 2002 verabschiedete Paket (Gesetz) bestimmte
in Artikel 5 (eigene Übersetzung, HO):
"Der zweite Satz im zweiten Absatz
des Artikels 16 im Gesetz 2845 vom 16.06.1983 zur Gründung und Strafprozessordnung
von Staatssicherheitsgerichten wurde aus dem Text gestrichen und die Absätze
drei und vier wurden folgendermaßen verändert.
Für Personen, die im Gebiet des
nach Artikel 120 der Verfassung ausgerufenen Ausnahmezustands festgenommen
oder verhaftet werden, kann die im Absatz 2 mit vier Tagen bestimmte Frist
auf Antrag eines republikanischen Staatsanwaltes und auf richterlichen
Beschluss auf sieben Tage verlängert werden. Vor der Entscheidung hört
der Richter die festgenommene oder verhaftete Person.
Ein verhafteter Angeklagter kann
jederzeit mit seinem Verteidiger sprechen. Nachdem die republikanische
Staatsanwalschaftt schriftlich die Verlängerung der Dauer der Polizeihaft
angeordnet hat, wird die gleiche Bestimmung auch auf die Person in Polizeihaft
angewandt."
Das Gesetz 4748 (das 2. Paket) vom
9. April 2002 hob den letzten Absatz des Artikels 16 aus dem Gesetz 2845
vom 16.06.1983 zur Gründung und Strafprozessordnung von Staatssicherheitsgerichten
auf. Nach dieser Bestimmung war es dem Richter bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung
möglich, dem Angeklagten und seinem Verteidiger bestimmte Informationen
vorzuenthalten und ihre Gespräche durch einen Richter überwachen zu lassen.
Durch Änderungen am ATG vom 29.06.2006 wieder rückgängig gemacht.
Mit dem Gesetz 4928 vom 19. Juli
2003 wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Personen, die unter Bestimmungen
des ATG festgenommen wurden, Rechtsbeistand in Polizeihaft haben können.
Durch Änderungen am ATG vom 29.06.2006 wieder rückgängig gemacht.
Seit dem 1. Juni 2005 gelten nun
folgende Regeln:
Artikel 91
der neuen Strafprozessordnung (Ceza Muhakemeleri Kanunu = CMK, im Gutachten
als neue StPO benannt), das Gesetz mit der Nummer 5271, lautet (eigene
Übersetzung, HO):
"(1) Für eine Person, die nach dem
vorhergehenden Artikel gefasst wird, kann, falls die republikanische Staatsanwalt
sie nicht entlässt, eine Entscheidung zur Festnahme ergehen, um die Ermittlungen
zu vervollständigen. Die Dauer der Festnahme darf vom Augenblick der Ergreifung
24 Stunden nicht überschreiten.
(2) Die Festnahme hängt davon ab,
ob diese Maßnahme für die Ermittlungen notwendig ist und ob es Hinweise
darauf gibt, dass die Person ein Vergehen begangen hat.
(3) Bei gemeinsam begangenen Vergehen
kann der republikanische Staatsanwalt aufgrund der Schwierigkeit, die Beweise
zusammenzutragen oder wegen der Vielzahl der Verdächtigen schriftlich anordnen,
dass die Polizeihaft jedes Mal nicht länger als einen Tag um eine Frist
von drei Tagen verlängert wird. Die Anordnung der Verlängerung der Polizeihaft
wird der festgenommenen Person sofort zugestellt.
(4) Gegen das Ergreifen, die Festnahme
und gegen die schriftliche Anord-nung des republikanischen Staatsanwalts
auf Verlängerung der Polizeihaft kann die ergriffene Person, ihr Verteidiger
oder gesetzlicher Vertreter, sowie Verwandte und Verschwägerte ersten oder
zweiten Grades den Friedensrich-ter anrufen, um eine sofortige Freilassung
zu erwirken. Der Friedensrichter prüft die Sache nach Aktenlage und kommt
zu einem sofortigen Bescheid zu dem Antrag, noch bevor 24 Stunden vergangen
sind. Wenn er zur Ansicht gelangt, dass die Ergreifung, die Festnahme oder
die Verlängerung der Poli-zeihaft angemessen ist, lehnt er den Antrag ab
oder fasst einen Beschluss, dass die ergriffene Person mit den Ermittlungsunterlagen
sofort der republikanischen Staatsanwaltschaft vorgeführt wird.
(5) Eine aufgrund des Ablaufs der
Frist der Polizeihaft oder auf Beschluss des Friedensrichters entlassene
Person darf aufgrund der Tat, die der Ergreifung zugrunde lag, nicht erneut
ergriffen werden, sofern nicht neue und ausreichende Beweise gefunden wurden
und der republikanische Staatsanwalt einen Beschluss fasst.
(6) Falls die festgenommene Person
nicht freigelassen wird, wird sie am Ende dieser Fristen dem Friedensrichter
vorgeführt und verhört. Bei dem Verhör ist auch ein Verteidiger anwesend."
Artikel 147
und 148 StPO:
Aussage und Form des Verhörs
Artikel 147. - (1) Bei der Aufnahme
einer Aussage oder dem Verhör einer verdächtigen Person oder eines Angeklagten
sind folgende Dinge zu beachten:
a) Die Personalien der verdächtigen
Person oder des Angeklagten werden aufgenommen. Die verdächtige Person
oder der Angeklagte ist verpflichtet, korrekte Angaben zu machen.
b) Ihm/ihr wird der Tatvorwurf erläutert.
c) Ihm/ihr wird mitgeteilt, dass
ein Recht auf Bestimmung eines Verteidigers besteht und dieser bei der
Aussage oder dem Verhör anwesend sein kann. Wenn die Möglichkeit nicht
besteht und Rechtsbeistand gewünscht wird, wird ein Verteidiger der Anwaltskammer
beauftragt.
d) Unter Vorbehalt der Bestimmungen
in Artikel 95 wird ein Verwandter eigener Wahl der festgenommenen Person
von der Festnahme unterrichtet.
e) Es wird gesagt, dass es gesetzliches
Recht ist, sich nicht zu dem Tatvorwurf zu äußern.
f) Es wird daran erinnert, dass
er/sie das Sammeln von konkreten Beweisen beantragen kann, um sich vom
Verdacht zu befreien und es wird ihm/ihr Gelegenheit gegeben, die Verdachtsgründe
gegen ihn/sie zu beseitigen oder die Sachen vorzubringen, die für ihn/sie
sprechen.
g) Es werden Informationen über
die persönliche und wirtschaftliche Lage des Aussagenden oder Verhörten
eingeholt.
h) Bei der Aufzeichnung des Aussage-
und Verhörvorgangs werden technische Möglichkeiten genutzt.
i) Die Aussage oder das Verhör wird
protokolliert. Im Protokoll werden folgende Dinge notiert:
1. Ort und Datum des Aussage- und
Verhörvorgangs.
2. Namen und Position der beim Aussage-
und Verhörvorgang anwesenden Personen, sowie die Personalien des Aussagenden
oder des Verhörten.
3. Inwieweit bei der Aussage oder
dem Verhör die oben genannten Formalitäten eingehalten wurden; falls nicht,
welche Gründe es dafür gab.
4. Die Tatsache, dass der Inhalt
des Protokolls vom Aussagenden oder Verhörten, sowie dem anwesenden Verteidiger
gelesen und unterschrieben wurde.
5. Falls Abstand von einer Unterschrift
genommen wurde, die Gründe.
Verbotene Methoden bei der Aufnahme
von Aussagen und Verhören
Artikel 148. - (1) Die Angaben eines
Verdächtigen oder Angeklagten müssen auf freiem Willen beruhen. Körperliche
oder seelische Maßnahmen, die geeignet sind, das zu verhindern wie Misshandlung,
Folter, erzwungene Zufuhr von Medikamenten, ermüden, betrügen, körperliche
Gewalt, sowie Mittel, die den Willen brechen, dürfen nicht eingesetzt werden.
(2) Es darf kein ungesetzlicher
Vorteil versprochen werden.
(3) Aussagen, die mit den oben beschriebenen
verbotenen Methoden aufgenommen wurden, dürfen selbst bei Einwilligung
nicht als Beweismittel verwertet werden.
(4) Eine Aussage bei den uniformierten
Kräften, die ohne Anwesenheit eines Verteidigers aufgenommen wurde, darf
nicht zur Urteilsfindung herangezogen werden, solange der Verdächtige oder
Angeklagte sie nicht vor einem Richter oder Gericht bestätigt.
(5) Sollte die Notwendigkeit einer
neuen Aussage des Verdächtigen zum gleichen Vorfall entstehen, so kann
dieser Vorgang nur von einem republikanischen Staatsanwalt durchgeführt
werden.
Entscheidungen
des Kassationshofs zum Verwertungsverbot
Der Kassationsgerichtshof (die 9.
Kammer) eine Entscheidung zum Urteil des SSG Izmir vom 06.05.2003 gefällt.
Das Urteil vom 20.10.2003 mit der Grundnummer 2003/1851 war zwar keine
völlig neue Rechtssprechung, aber kann als neue Tendenz gesehen werden.
Der entscheidende Satz lautet: "Gegenüber
der Tatsache, dass ein öffentliches Verfahren gegen die bediensteten Beamten
im Zusammenhang mit dem Vorwurf, die Klägerin gefoltert zu haben, eröffnet
wurde, wurde ein Urteil mit unzureichender Beweisaufnahme gefällt, ohne
auf das Ergebnis dieses Verfahrens zu warten.
"Gegen das Gesetz wurden in diesem
Sinne die Revisionseinsprüche, die der Vertreter der Klägerin in seinem
Antrag auf Revision und mündliche Verhandlung vorbrachte, als berechtigt
angesehen und aus diesem Grunde wurde das Urteil, wie beantragt EINSTIMMIG
am 20.10.2003 aufgehoben."
Parallelfall aus Istanbul
In der Presse habe ich einen Parallelfall
gefunden, der allerdings noch einen Schritt weiter geht, d.h. hier möchte
der Kassationsgerichtshof, dass das Staatssicherheitsgericht auf eine Entscheidung
des EGfMR warten. Die Meldung aus Bianet (Kommunikationsnetzwerk) vom 16.03.2004
lautet zusammenfassend:
Nach Auskunft des Anwaltes Ercan
Kanar hat die 9. Kammer des Kas-sationsgerichtshofes das Urteil gegen die
ehemalige Mitarbeiterin der Zeitschrift "Atilim", Asiye Zeybek Güzel, aus
Formgründen aufgehoben. Die 3. Kammer des SSG Istanbul hatte sie in einem
Verfahren mit 17 Angeklagten am 16.10.2002 wegen Mitgliedschaft in der
MLKP zu einer Strafe von 12,5 Jahren Haft verurteilt. Während des Verfahrens
hatten sie und die Angeklagten Zabit Iltemur und Gönül Karagöz jedoch angeführt,
dass ihre polizeilichen Aussagen im Februar 1997 unter Folter aufgenommen
worden waren. Der Vorwurf der Vergewaltigung, den Asiye Zeybek Güzel erhoben
hatte, war durch ein Gutachten des Psycho-Trauma Zentrums an der Uni-versität
Istanbul bekräftigt worden. Dennoch hatte die Staatsanwaltschaft in Fatih
es abgelehnt, ein Verfahren gegen die Folterer zu eröffnen. Der Wi-derspruch
des Anwalts war durch das Landgericht in Beyoglu zurückgewie-sen worden,
so dass er schließlich vor den Europäischen Menschenrechts-gerichtshof
ging. In dem Urteil des Kassationsgerichtshofs ist nun zu lesen, dass das
SSG Istanbul eine Entscheidung in diesem Verfahren abwarten solle, bevor
es ein Urteil über die Journalistin fällt.
Wenn die Zeitungsmeldung stimmt
(was ich nicht bezweifele), dann hat die 2. Entscheidung, die auch vom
Datum her später liegt, noch einen anderen Unterschied. Im ersten Verfahren
gab es nur eine Angeklagte, die sich in ihren Aussagen bei der Polizei
und dem Staatsanwalt selber belastete. Im zweiten Verfahren gab es 17 Angeklagte,
von denen mindestens zwei weitere Angeklagte offensichtlich eine (sich
und andere) belastende Aussage gemacht hatten.
Im ersten Verfahren wiederum existieren
belastende Aussagen von Personen, die in anderen Verfahren angeklagt sind.
Obwohl die Verteidigung vorgebracht hat, dass auch diese Aussagen erfoltert
wurden, d.h. mit verbotenen Verhörmethoden aufgenommen wurden, ist nicht
davon auszugehen, dass es auch Verfahren gegen die diese Personen verhörenden
Beamten gibt. Nach der bisherigen Rechtssprechung des Kassationsgerichtshofes
könnten ihre Aussagen also als "Beweise" herangezogen werden.
Insofern könnten die zwei Entscheidungen
der 9. Kammer des Kassationsgerichtshofes nur soviel bedeuten: Wenn es
ein Verfahren vor einem (nationalen oder internationalen) Gericht zu dem
Vorwurf der Folter an einer/m Angeklagten gibt, dann hat das Strafgericht
mit dem Urteil solange zu warten, bis das Folterverfahren abgeschlossen
ist, weil es erst danach entscheiden kann, ob die angeblich erfolterte
Aussage als Beweis gültig sein kann oder nicht.
Es gibt ein 4. Urteil aus der Zeit
nach 2003, mit dem das Gericht der ersten Instanz (SSG Istanbul) aufgefordert
wird, das Ergebnis von Ermittlungen zu Foltervorwürfen abzuwarten, bevor
es ein Urteil fällt. Hier geht es um Personen, die im September 2002 in
Istanbul festgenommen worden waren. In der Presse wurde von elf HADEP-Mitgliedern
gesprochen, die der PKK/KADEK angehören sollen. Der Kassenwart Tayfun Turgut
sei beim Verlassen der Parteibüros in Bagcilar festgenommen worden, während
Süleyman Kiliç, Mehmet Kurt, Hamit Bülbül, Yasin Savci, Sacibe Sincar,
Nezir Alpaydin, Abdurrahman Özer, Halef Dayan, Ramazan Atabey und Bilal
Turgut nach Hausdurchsuchungen inhaftiert wurden. Tayfun Turgut wurde kurz
darauf, Hüseyin Atabey, Sacibe Sincar, Nezir Alpaydin, Bilal Turgut und
Hamit Bülbül am 19. September wieder freigelassen. Ramazan Atabey, Yasin
Savci, Abdurrahman Özer, Halef Dayan und Süleyman Kiliç kamen in U-Haft.
Über den anschließenden Prozess habe ich nichts gefunden, aber anscheinend
wurde Ramazan Atabey als Mitglied beschuldigt, während die anderen Angeklagten
Unterstützungshandlungen vorgenommen haben sollen. Des Weiteren entnehme
ich der Entscheidung des Kassationsgerichtshofs vom 27.04.2004, dass nur
der Angeklagte Ramazan (im Entscheid werden stets nur die Vornamen genannt)
verurteilt und die anderen Angeklagten freigesprochen wurden. Der Kassationsgerichtshof
bestätigte die Freisprüche, da die Beweise weder qualitativ noch quantitativ
für eine Verurteilung ausreichten. In Bezug auf den Angeklagten Ramazan
sei keine ausreichende Beweisaufnahme erfolgt, weil das Ergebnis der Ermittlungen
zu den Foltervorwürfen des Angeklagten Ramazan nicht abgewartet wurde.
Hier könnte es sein, dass es nur ein "Geständnis" von einem Angeklagten
gab (neben den als "materiell" geltenden Beweismitteln wie einschlägige
Publikationen z. B.).
Als "bahnbrechend" wurde ein Urteil
des Kassationsgerichtshofs Mitte 2005 in der Presse vorgestellt. Ich kann
das Urteil nur anhand des Artikels in der Tageszeitung Radikal vom 28.
Juni 2005 referieren, da ich den Fall auf den Seiten des Kassationsgerichtshofs
nicht gefunden habe. Hintergrund war der Mord an einer 22-jährigen Frau
in Sinop im Jahre 2001. Anderthalb Jahre später wurde der Finanzbeamte
Hüseyin Göklerinoglu als Tatverdächtiger verhaftet, nachdem die Polizei
herausgefunden hatte, dass die Frau und er miteinander im Internet "gechattet"
hatten. Das Gericht verhängte eine Strafe von 24 Jahren, erkannte aber
auf "Handlung im Affekt" und reduzierte die Strafe auf 15 Jahre Haft. Im
Urteil reagierte das Gericht auf die Foltervorwürfe in der Art: "Selbst
wenn der Angeklagte der geschilderten intensiven Folter ausgesetzt gewesen
sein sollte, so widerspricht es der Lebenserfahrung, dass er deswegen ein
Verbrechen wie Mord gesteht ..." Dabei hatte der Verteidiger durch die
Vorlage von Videoaufnahmen die Behauptung der vernehmenden Polizeibeamten,
dass die Wunden des Angeklagten von dem Versuch der Lynchjustiz bei einem
Ortstermin herrührten, widerlegt.
Im Juni 2005 beschloss die 1. Kammer
des Kassationsgerichtshofs nicht nur, das Urteil aufzuheben und der 1.
Instanz vorzuschreiben, dass er freizusprechen sei, sie ordnete auch Haftentlassung
an. Für das erstinstanzliche Gericht wurde darauf hingewiesen, dass der
Angeklagte zu Beginn der Polizeihaft keine Beschwerden hatte, aber ihm
am Ende der Polizeihaft Läsionen bescheinigt wurden, die zeigten, dass
er Schlägen und Gewalt ausgesetzt war. Daher dürfe das Gericht nicht über
die Foltervorwürfe hinwegsehen. Das auf Video aufgezeichnete Verhör vom
27.06.2002 bestand anscheinend aus zwei Teilen, wobei in einem Teil der
Beschuldigte anwaltlichen Beistand forderte und darauf entgegnet wurde,
dass das eigentliche Verhör später (aber am gleichen Tage) stattfinden
solle. Dem Angeklagten seien seine Rechte nicht erläutert worden, es sei
kein Anwalt bei der Aufnahme der Aussage anwesend gewesen und auch das
Protokoll des Ortstermins (mit einem Staatsanwalt) entspreche nicht den
Vorschriften des Artikels 135 alte StPO. Materielle Beweise für die Schuld
des Angeklagten seien nicht vorhanden, folgerte das Revisionsgericht. Der
einzige Zeuge sei ein Geisteskranker, der in seiner ursprünglichen Vernehmung
von einem 18-20 Jahre alten Mann in Begleitung der Frau gesprochen hatte,
wobei der Angeklagte 1956 geboren sei.
Etwas deutlicher wurde der Kassationsgerichtshof
in einem Urteil, das ich bei der Suche von Entscheidungen, in denen das
Wort "Folter" (bzw. verbotene Verhörmethoden) vorkam, fand. Der Entscheid
vom 16.02.2004 war in der türkischen Öffentlichkeit unbeachtet geblieben,
obwohl er starke Parallelen zu dem Fall in Sinop aufweist. Über das Revisionsverfahren
hatte anscheinend aber nur die Lokalzeitung "Kocaeli" (Izmit) am 30.05.2005
berichtet. Hintergrund war ein Mord im Stadtteil Yenikent (von Izmit) am
21. Februar 2002. Nevzat Demirci war erschlagen worden und als Erste wurde
seine Ehefrau Mualla verdächtigt. Dann aber waren andere "Beweise" aufgetaucht,
so dass die Brüder der Ehefrau mit auf die Anklagebank kamen. Der Bruder
Engin Gönül wurde als Täter zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt,
während der Bruder Cengiz Gönül und Mualla Demirci als Helfer zu 16 Jahren
und acht Monaten Haft verurteilt wurden. Der Zeitungsbericht geht nicht
auf das erste Urteil des Kassationsgerichtshofs ein, aus dem ich jetzt
zitieren möchte. Demnach hatte die 2. Kammer des Landgerichts Kocaeli am
7. März 2003 das angefochtene Urteil gefällt. Nach Lage der Akte war der
Getötete (wie immer) gegen 1 Uhr morgens nach Hause gekommen und war von
der Ehefrau ins Haus gelassen worden. Gegen 10 Uhr teilte die Ehefrau den
Nachbarn mit, dass er tot sei.
Da es nur einen Zeugen (wie alle
anderen Personen im Urteil nur mit Vornamen als "Sezer" genannt) gab, konnte
der Vorfall nicht vollständig aufgeklärt werden. Als Hauptverdächtige galt
Mualla, gegen die am 08.03.2002 eine Anklageschrift erstellt wurde. Dann
aber stellte sich heraus, dass das gemeinsame Kind der Eheleute, Sezer
(geb. 1995), zu Hause gewesen war. Der Onkel (väterlicherseits) Dursun
holte Sezer von seiner Großmutter und ließ ihn das, was er zur Tat wissen
sollte, auf Video schildern. Die Videokassette brachte er zur Staatsanwaltschaft,
der gegen die anderen Angeklagten ermittelte. Auch vor dem Staatsanwalt
soll Sezer am 21.05.2002 ähnliche Angaben gemacht haben, die vorwiegend
die Brüder Cengiz und Engin beschuldigten, wobei die tödliche Handlung
von seinem Onkel (mütterlicherseits) Cengiz ausgeführt worden sein soll.
Die Brüder wurden noch am gleichen Tag festgenommen und bis zum 24.05.2002
festgehalten. An diesem Tage wollten die uniformierten Kräfte ihre Aussage
aufnehmen, aber die Beschuldigten nahmen das Recht auf Aussageverweigerung
in Anspruch und sagten, dass sie vor dem Staatsanwalt aussagen wollten.
Vor der Aussage beim Staatsanwalt soll ein Polizeibeamter heimlich ein
Gespräch mit Cengiz auf Video aufgenommen haben, in dem dieser seine Mittäterschaft
zugab und Engin des Mordes beschuldigte. Später sagte Cengiz, dass er dies
aus Angst vor Folter gesagt habe. In allen anderen Stadien des Verfahrens
hatten beide Angeklagten stets ihre Unschuld beteuert.
Der Kassationsgerichtshof kritisierte
das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts wegen seiner mangelnden Würdigung
des Foltervorwurfs. Dort war festgestellt worden, dass die von der Polizei
aufgenommene Kassette im Beisein eines Gutachters und den Vertretern der
Parteien angeschaut worden sei. Man habe gesehen, dass der Betroffene ohne
Druck begonnen habe zu reden und er nach 5-10 Minuten die Ruhe einer Person
ausgestrahlt habe, die inneren Frieden gefunden habe. Außerdem habe der
Inhalt mit den von Sezer gemachten Angaben im Wesentlichen übereingestimmt.
Daraus folgert der Kassationsgerichtshof,
dass die angebliche Aussage des Angeklagten zum wesentlichen Beweismittel
gemacht wurde und zitiert den zu dem Zeitpunkt gültigen Artikel 135/a alte
StPO (verbotene Verhörmethoden). Um eine Aussage als Beweis verwerten zu
können, müsse sie aus freien Stücken (eigenem Willen) abgegeben worden
sein. Hier aber sei der Angeklagte, der klargestellt hatte, dass er keine
Aussage machen wolle, hintergangen und daran gehindert worden, aus freien
Stücken eine Aussage zu machen. Diese Aussage sei also nicht zu verwerten
und das Urteil habe sich mit den sonstigen Beweisen zu begnügen. So hätte
das Gericht prüfen sollen, ob die Angeklagten, wie vom Zeugen behauptet,
in jener Nacht das Telefon im Hause benutzten. Außerdem hätte den Angeklagten
nach einem veränderten Tatvorwurf eine zusätzliche Frist für die Verteidigung
eingeräumt werden sollen.
Nach der Auflösung des Urteils gab
es nach dem Zeitungsbericht vom 30.05.2005 eine erneute Verhandlung vor
der 2. Kammer des Landgerichts Kocaeli, in der die Angeklagten nun zu je
zehn Jahren Haft verurteilt wurden. Dieses Urteil ging erneut an den Kassationsgerichtshof,
der dieses Mal einen Schritt weiter ging und neben Auflösung des Urteils
auch die Haftentlassung für die Brüder anordnete. In der Verhandlung vom
29.05.2005 folgte das Gericht dann der Vorgabe und sprach die Brüder frei,
während Mualla Demirci eine Strafe von zehn Jahren Haft erhielt.
Diese Entscheidung geht insofern
über den Entscheid zum Urteil in Sinop hinaus, als dass es anscheinend
keine ärztlichen Gutachten über erlittene Folter gab (dieser Punkt wäre
sonst wohl erwähnt worden). Der zentrale Punkt wird hier gewesen sein,
dass eine Videoaufnahme ohne Einwilligung des Verdächtigen gemacht wurde.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof
EGfMR
Der Fall Hulki Günes
In diesem Verfahren spielten "erfolterte
Aussagen" eine Rolle, so dass ich darauf näher eingehen möchte. Von diesem
Fall habe ich erst im Dezember 2005 Kenntnis erlangt. Grund war eine Pressemitteilung
des Europarates zu einer Resolution des Ministerrates vom 30.11.2005. Die
Türkei wurde darin aufgefordert, das Verfahren gegen Hulki Günes wieder
aufzunehmen.
Ein paar Einzelheiten aus diesem
Verfahren und die Entscheidung des EGfMR fasse ich aus dem englischen Entscheid
vom 19.06.2003 zusammen. Der 1964 geborene Hulki Günes war am 19.
Juni 1992 in Varto (Provinz Mus) festgenommen worden. Er wurde beschuldigt,
an einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften fünf
Tage zuvor beteiligt gewesen zu sein, bei der ein Soldat umgekommen und
zwei Soldaten verletzt worden waren. Bei seiner Festnahme war er unbewaffnet.
Er soll zu Beginn der Polizeihaft (bzw. Haft bei der Gendarmerie) laut
einem Arztbericht Abschürfungen im Gesicht, auf der Brust und dem Rücken
gehabt haben. Bis zum 4. Juli war er bei der Gendarmerie in Haft und wurde
dort verhört. Am Vortage wurde er zwei Mal untersucht. Im ersten Attest
wurden ihm verschorfte Abschürfungen am Brustbein und im zweiten Attest
am gleichen Tag wurden ihm verschorfte Abschürfungen am Brustbein, sowie
Abschürfungen am Rückgrat und in der Lendengegend bescheinigt. In zwei
weiteren Attesten wurde das Ergebnis der 2. Untersuchung bestätigt.
Vor dem Haftrichter erhob Hulki Günes
am 4. Juli 1992 Foltervorwürfe. Ermittlungen fanden aber erst statt, nachdem
der EGfMR den Fall der türkischen Regierung vorgelegt hatte. Die Ermittlungen
wurden zwei Mal eingestellt (15.10.1998 und 25.08.1999).
Am 30.10.1992 hatte das Gericht entschieden,
dass die Aussagen von drei Soldaten, die den Angeklagten angeblich identifiziert
hatten, im Rahmen der Amtshilfe eingeholt werden könnten und schickte dazu
Fotos des Angeklagten an ein (anderes) Gericht. In der Verhandlung vom
15.01.1993 sagte der inzwischen im Zusammenhang mit dem gleichen Vorfall
verhaftete Herr Erdal aus, dass er den Angeklagten nicht kenne. Als "Überläufer",
d. h. jemand, der in den Genuss des Reuegesetzes kommen wollte, räumte
er aber ein, an dem Gefecht vom 14.06.1992 beteiligt gewesen zu sein.
Im Plädoyer forderte der Staatsanwalt
am 3. September 1993 Freispruch aus Mangel an Beweisen. Er wies dabei auf
wesentliche Widersprüche in den Aussagen der Belastungszeugen hin. So sollten
die Angreifer (der PKK) einer Aussage zufolge alle vermummt gewesen sein,
in einer anderen Aussage soll nur der Angeklagte nicht vermummt gewesen
sein.
Am 24.12.1993 kamen neue "Beweise"
zur Akte. Geschwister des Angeklagten, die unter dem Verdacht, Angehörige
der Organisation (PKK) zu sein, festgenommen worden waren, hätten ausgesagt,
dass auch Hulki Günes der Organisation angehört habe. Die Verteidigung
erhielt Zeit, um sich auf die veränderte Rechtslage vorzubereiten, der
Staatsanwalt aber fand schon sechs Tage später den Angeklagten "schuldig
im Sinne der Anklage" und forderte eine Bestrafung nach Artikel 125 altes
TStG.
Das Gericht verhängte darauf hin
die Todesstrafe nach einer Sitzung am 11.03.1994. Die Todesstrafe wurde
in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Am 16.11.1994 bestätigte der
Kassationsgerichtshof das Urteil.
Die Beschwerde des Angeklagten wurde
am 29.05.1995 an die (damals noch existierende) Europäische Kommission
für Menschenrechte gerichtet, am 01.11.1998 an das Gericht weitergeleitet
und am 09.10.2001 für zulässig erklärt. Die Beschwerde berief sich auf
eine Verletzung von Artikel 3 der EMRK, wobei der Beschwerdeführer von
Aufhängen am Palästinenser-Haken, Stromstößen und Schlägen auf verschiedene
Körperteile sprach. Die Beschwerde war auch mit einem Verstoß gegen Artikel
6 EMRK begründet worden. Neben der Teilnahme eines Militärrichters an dem
Verfahren wurde kritisiert, dass in der Hauptverhandlung keine Zeugen gehört
wurden, die den Angeklagten belastet hatten.
Angesichts der vorhandenen Arztberichte
folgerte der EGfMR, dass harte Foltermethoden nicht mit Sicherheit angenommen
werden könnten und in diesem Fall von unmenschlicher und erniedrigender
Behandlung gesprochen werden müsse. Das sei ein Verstoß gegen Artikel 3
EMRK.
In Bezug auf Artikel 6 kam das Gericht
aufgrund der Anwesenheit eines Militärrichters zu der Schlussfolgerung,
dass es sich nicht um ein unabhängiges und unparteiliches Gericht gehandelt
habe.
In diesem Fall hat sich das EGfMR
aber nicht mit dieser Feststellung begnügt. So wurde die Bewertung der
Zeugenaussagen kritisiert. Hulki Günes hatte stets bestritten, dass drei
Soldaten ihm nach der Festnahme gegenübergestellt wurden und ihn identifizierten.
Diese "fragwürdigen" Belastungszeugen seien nicht vor Gericht gehört worden
und sollen ihn nur anhand von Fotos identifiziert haben. Der EGfMR bedauerte,
dass das SSG Diyarbakir keinen Kommentar zu der Art der Aufnahme eines
"Geständnisses" des Angeklagten abgegeben hatte: Zum Zeitpunkt dieses "Geständnisses"
sei der Beschwerdeführer nicht durch einen Anwalt vertreten gewesen. Unter
diesen Umständen hätten die Belastungszeugen (unbedingt) in der Hauptverhandlung
angehört werden müssen. Deshalb wurde auf einen Verstoß gegen die Absätze
1 und 2 des Artikel 6 EMRK erkannt. Das EGfMR hat sich also nicht mit der
Frage befasst, ob erfolterte Aussagen als Beweis verwendet wurden.
Bislang hat der Entscheid dem nach
mehr als 13 Jahren immer noch inhaftierten Beschwerdeführer nicht zu seinem
"Recht" verholfen. Immerhin vergingen sechs Jahre, bevor das EGfMR das
Verfahren zuließ.
Dieser Fall ist vom Europarat sozusagen
als "Testfall" auserkoren worden. An ihm wird sich entscheiden, ob die
Türkei auch die Wiederaufnahme von Verfahren zulässt, in denen der EGfMR
nach dem 04.02.2003 auf einen Verstoß gegen Artikel 6 des EMRK entschieden
hat, die Beschwerde jedoch vor dem 04.02.2003 eingereicht wurde. Nach einem
Bericht in der Tageszeitung "Radikal" vom 11. Mai 2005 sollen dies ca.
90 Verfahren sein, von denen 30 schon dem Delegiertenkomitee im Europarat
vorliegen. Im Vordergrund der Debatte steht dabei sicherlich das Verfahren
gegen Abdullah Öcalan bzw. die Frage, ob ihm ein Recht auf die Wiederaufnahme
seines Verfahrens eingeräumt wird oder nicht.
Der Artikel 169 TStG
(315 neues TStG)
Am 21.12.2000 wurde Gesetz 4616 verbschiedet.
Es setzte Verfahren unter Artikel 169 TStG für Vergehen, die vor dem 23.04.1999
begangen worden waren, auf fünf Jahre zur Bewährung aus.
29.07.2003 Das so genannte Re-Integrations-Gesetz
mit der Nummer 4959 bestimmte, dass Personen, die "lediglich Unterschlupf
oder Verpflegung besorgt haben oder ihnen auf sonstige Weise behilflich
waren", nicht mit Strafe verfolgt werden.
07.08.2003 Das 7. Anpassungspaket
(Gesetz 4963) veränderte den Wortlaut des Artikels 169 TStG. Die Straftat
der "Gewährung von Hilfe und Unterschlupf" für Mitglieder einer bewaffneten
Bande wurde insofern eingeschränkt, dass nun nicht mehr "jeder Akt, der
die Bewegungen (der Bandenmitglieder) erleichtert", strafbar war. Rein
logistische Hilfe oder aber nach der gängigen Praxis der vergangenen Jahre
das Rufen von Parolen z. B. war nicht mehr strafbar. Strafbar blieben die
Unterstützung durch Waffen, Geld und Verpflegung.
01.05.2005 Der an die Stelle des
Artikel 169 altes TStG getretene Artikel 315 stellt (nur) noch die Versorgung
einer bewaffneten Organisation (im Sinne des Artikel 314 neues TStG) mit
Waffen unter Strafe, verhängt dafür aber eine Strafe von zehn bis 15 Jahren
Haft. Das ist genauso viel an Strafe, als der Artikel 314 neues TStG für
führende Mitglieder einer bewaffneten Organisation vorsieht, aber mehr
an Strafe, als einfache Mitglieder zu erwarten haben (5-10 Jahre, das waren
im Artikel 168 altes TStG 10-15 Jahre Haft gewesen).
Verfahren nach Artikel 314 laufen
unter der Prämisse, dass es sich bei den Organisationen um politische Gruppierungen
handelt, die den bewaffneten Kampf befürworten (oder gar eine Art von Guerillakrieg
führen). Die "Unterstützer" werden aber unter Rückgriff auf Artikel 220,
Absatz 7 TStG nach einer Bestimmung zu einer anderen Art von Organisation
behandelt. Im Artikel 220 altes TStG geht es um Organisationen, die gegründet
wurden, um Straftaten zu begehen. Einfach ausgedrückt geht es hier wie
im Artikel 313 altes TStG um die Bekämpfung von Mafia-Strukturen.
In der Auslegung des neuen Gesetzes
werden die politischen Gruppen nicht zu Mafia-Banden gemacht (die erhalten
nämlich weniger Strafe), und auch die Unterstützer von bewaffneten Organisationen,
die für eine Veränderung des Systems kämpfen, werden nicht zu Unterstützern
von Gruppen, denen es um eigene Bereicherung geht.
Die unterschiedlichen Strafmaße
sind in der Logik der Richter an den Sondergerichten unerheblich, denn
sie nehmen nur den Absatz 7 des Artikels 220 neues TStG, um eigentlich
nach Artikel 314 neues TStG eine Strafe zu verhängen. Der Absatz 7 im Artikel
220 neues TStG besagt, dass Unterstützer wie Mitglieder zu behandeln sind.
Wichtige Bestimmungen des
Anti-Terror Gesetzes (ATG)
Mit dem Artikel 6 des Gesetzes 5532 vom 29.06.2006 wurde der Artikel 7
ATG folgendermaßen geändert (eigene Übersetzung):
Wer die im Artikel 1 beschriebenen Organisationen... gründet, leitet
oder ihnen angehört, wird nach Artikel 314 TStG bestraft. Wer Aktivitäten
der Organisation organisiert, wird als Leiter der Organisation bestraft.
Wer Propaganda für die Organisation macht, wird mit 1-5 Jahren
Haft bestraft. Falls die Straftat mithilfe der Presse oder Publikationen
begangen wird, wird die Strafe um die Hälfte angehoben... Folgende Vergehen
und Verhalten werden nach diesem Absatz bestraft:
a) teilweise oder vollkommene Vermummung bei Kundgebungen und Demonstrationen,
die zu Propaganda einer terroristischen Organisationen werden;
b) falls Embleme oder Zeichen getragen werden, Parolen gerufen oder
mit Lautsprechern ausgestrahlt wird oder wenn Uniformen mit Emblemen und
Zeichen der Organisation angezogen werden, die deutlich machen, dass jemand
Mitglied oder Unterstützer der Organisation ist.
Wenn die im 2. Absatz beschriebenen Vergehen in Gebäuden, Lokalen,
Büros oder Anbauten von Vereinen, Stiftungen, politischen Parteien,
Arbeiter- oder Berufseinrichtungen oder ihren Unterorganisationen begangen
wird, wird die Strafe verdoppelt.
Nur auf den Artikel 7 angewandt bedeutet dies:
1. Es wird nicht mehr nach bewaffneten und unbewaffneten Organisationen
unterschieden (insofern hätte der Artikel 7 auch gestrichen werden
können).
2. Die Strafe für führende Mitglieder illegaler Organisationen
(wobei mit dem juristischen Konstrukt der "ideellen Gewalt" unbewaffnete
Organisationen, die ohne Drohungen und Einschüchterungen arbeiten,
terroristische Gruppen werden) liegt nach Artikel 314 TStG zwischen 10
und 15 Jahren Haft. Die Strafe für einfache Mitglieder illegaler Organisationen
liegt zwischen 5 und 10 Jahren Haft. Ein einfaches Mitglied einer unbewaffneten Organisation
wird demnach nicht mehr mit 2,5 Jahren Haft, sondern mit 6 Jahren, 3 Monaten Haft bestraft
(wenn die Untergrenze angewandt wird).
3. Die unter Artikel 314 TStG verhängten Strafen müssen nach
Artikel 5 ATG um die Hälfte angehoben werden, bevor sie wegen "guter
Führung" um ein Sechstel reduziert werden können.
4. Die Propaganda für eine solche Organisation wurde um bestimmte
Formen der Beteiligung an Demonstrationen und Kundgebungen erweitert. Das
Strafmaß ist gleich geblieben.
Das
Gesetz 5532 vom 29.06.2006 hat Artikel 5 nicht verändert,
sondern nur einen Zusatz hinzugefügt, dass bei einer Regelung, die sowieso
schon eine Anhebung der Strafe vorsieht, wenn eine Tat mit organisatorischem
Hintergrund ausgeführt wird, die Anhebung um 50% nicht gilt, allerdings
darf die Erhöhung der Strafe dann nicht unter 2/3 liegen.
Wichtig ist die Änderung des Artikels
10 durch Artikel 9 des Gesetzes 5532. Die Bestimmungen der StPO werden
hier für Angeklagte nach dem ATG dahin gehend abgeändert, dass nur ein
Verwandter benachrichtigt werden darf und nur eine Person Rechtsbeistand
leisten darf. Außerdem kann auf richterliche Anordnung (Antrag durch den
Staatsanwalt) ein Rechtsbeistand für die ersten 24 Stunden verweigert werden.
Des Weiteren bestimmt der neue Artikel 10, dass anstelle der vollen Personalien
nur die Dienstnummern unter Protokolle gesetzt werden. Als weiteres Element
von Artikel 10 kann die Akteneinsicht auf Antrag eines Staatsanwaltes durch
richterlichen Beschluss eingeschränkt werden. So könnte es einem Verteidiger
im Ermittlungsstadium verwehrt werden, bestimmte Dokumente einzusehen oder
Kopien davon zu machen.
Im Absatz e) bestimmt die neue Form
des Artikels 10, dass bei dem "begründeten" Verdacht, dass ein Anwaltsgespräch
zur Kommunikation zwischen dem Angeklagten und der Organisation dient,
Anwaltsgespräche durch einen Beamten im Gefängnis mit gehört werden dürfen.
Ein Richter darf übergebene Dokumente einsehen und gegebenenfalls beschlagnahmen.
Der Artikel 16 des ATG (Gesetz 3713) wurde gestrichen. Die Unterbringung
von Personen,
die nach dem ATG angeklagt oder verurteilt werden in Hochsicherheitstrakte
ist in den Artikeln 9 und 25 des Gesetzes 5275 (Strafvollzug) geregelt.
Eine andere Erweiterung zur alten
Fassung des ATG ist in Artikel 17 (verändert durch Artikel 12 des Gesetzes
5532) zu sehen. Bis zum 01.06.2005 galt für Personen, die nach dem ATG
verurteilt wurden, dass sie 3/4 ihrer Strafe zu verbüßen haben, bevor sie
(bei guter Führung) konditionell aus der Haft entlassen werden können.
Bis zu diesem Datum galt für gewöhnliche Kriminelle, dass sie nach Verbüßung
von 2/5 der Strafe in den Genuss einer konditionellen Entlassung kommen
können (in Prozenten ausgedrückt: gewöhnliche Kriminelle konnten nach 40%
ihrer Strafe entlassen werden, politische Gefangene erst nach 75% ihrer
Strafe).
Dies wurde in den Artikeln 107 und
108 des Gesetzes 5275 zum Strafvollzug, das ebenfalls am 01.06.2005 in
Kraft trat, insofern korrigiert, dass für gewöhnliche Kriminelle nun mindestens
2/3 der Strafe verbüßt sein müssen, bevor eine konditionelle Haftentlassung
erfolgen kann. Die Ungleichheit wurde somit "entschärft". Die Änderungen
durch den Artikel 12 des Gesetzes 5532 besagen nun, dass Personen, die
nach dem ATG verurteilt wurden, dann nicht vorzeitig auf Entlassung hoffen
können, wenn sie einen Fluchtversuch unternommen haben, an einem Aufstand
teilnahmen oder mindestens drei Mal mit Disziplinarstrafen in Form von
Einzelhaft belegt wurden.
Des Weiteren bekräftigt der Absatz
4 des Artikels 12 im Gesetz 5532 eine im Artikel 107(16) des Gesetzes zum
Strafvollzug sowieso schon vorhandene Bestimmung. Wer unter Bestimmungen
des ATG zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt wird (dazu zählen die
Artikel 146 altes TStG und 309 neues TStG), kommt nicht in den Genuss einer
vorzeitigen Haftentlassung, d.h. sie bleiben bis zum physischen Tod im
Gefängnis.
Nicht nur aus dem ATG sondern auch
aus weiteren Gesetzen geht hervor, dass politische Gefangene 48 und nicht
nur 24 Stunden in Polizeihaft gehalten werden können. Den politischen Gefangenen
wurde das Recht genommen, vom Moment der Festnahme an Rechtsbeistand zu
haben. Wiederum aus anderen Gesetzen abgeleitet, ist die maximal zulässige
Dauer der Untersuchungshaft. Sie ist bei politischen Gefangenen doppelt
so hoch, wie bei gewöhnlich kriminellen Tätern (d.h. politische Verfahren
laufen grundsätzlich die Gefahr, nicht in einer angemessenen Frist (Artikel
6(1) EMRK) beendet zu werden. Schließlich kommt noch hinzu, dass die Verteidigungsrechte
von politischen Gefangenen im Ermittlungsstadium nun (wieder) gesetzlich
eingeschränkt werden dürfen.
|
- Sitemap - Impressum |