Auswahl von Beispielen zu Streits mit kurdenfeindlichem Hintergrund
Recherche für die Schweizerische Flüchtlingshilfe
Teil 3:
Schutz vor Übergriffen
Am 19.07.93 verprügelten im Dorf Pug in der Nähe der Stadt Karacailyas in der Provinz Mersin ca. 20 Türken zwei kurdische Brüder. Vier Tage darauf wurde ihr Cousin, Murat Polat, von den gleichen Leuten überfallen. Obwohl die Geschädigten ärztliche Atteste erhielten und die Angreifer identifizieren konnten, war die Beschwerde bei der Gendarmerie erfolglos.
Die Familien Secen und Turan waren 1992 aus dem Dorf Toprakseven, Kreis Caldiran, Provinz Van in das Dorf Bozan, Kreis Kuyuluk, Provinz Mersin gekommen. Sie hatten dort ein Grundstück erworben und wollten ein Haus bauen. Allerdings wurde ihnen das Baumaterial (Steine und Zementsäcke) zerstört. Eingaben an die Gendarmerie und Staatsanwaltschaft waren erfolglos. In einem Gespräch mit dem Dorfvorsteher Mehmet Kiratli, in dem die Familien auf einen Verkauf des Grundstücks drängten, versicherte dieser, daß in Zukunft nichts passieren werde.
Trotzdem wurden die Familien am 19.12.93 von 50 Bewohnern des Dorfes mit Waffen und Stöcken überfallen. Bei diesem Überfall wurden Perihan und Ahmet Turan, Seyfettin und Medine Secen verletzt und mußten im Krankenhaus behandelt werden. Nach Aussagen der Verletzten hätten die Angreifer auf Erwachsene und Kinder gleichermaßen eingeschlagen und geschrien: "Ihr seid Kurden. Alle Kurden gehören der PKK an. Wir werden euch mit Stumpf und Stiel ausrotten."
Am 30.09.93 kam es im Stadtteil Sarigazi (Istanbul) in dem Café "Huzur" zu einem Zwischenfall, bei dem 2 Kurden verletzt wurden. Celal Avci (18) und Ahmet Solak (18), die in dem Café arbeiteten, hatten auf Wunsch von Gästen eine kurdische Kassette aufgelegt. Einige Jugendliche, die von Anwohnern als "Graue Wölfe" bezeichnet wurden, wandten sich dagegen. Sie verließen nach einer kurzen Diskussion jedoch das Café, nur um 10 Minuten später mit noch mehr Leuten zurückzukommen. Diese zogen Waffen und bedrohten die Beschäftigten mit dem Tod. Dann schlugen sie auf sie mit Fäusten und Pistolenkolben ein. Celal Avci wurde an der Augenbraue und Ahmet Solak an vier Stellen am Kopf verletzt.
Ein ausführlicher Bericht über Zusammenstöße in der Kreisstadt Urla (Provinz Izmir) findet sich in der Wochenzeitschrift "Gercek" (Tatsache) vom 09.08.92. Am 3. August war es hier zu einer Prügelei zwischen türkischen und kurdischen Fahrern, die auf einer Kleinbusroute nach Izmir arbeiteten, gekommen. Welche Seite die Streitigkeiten begann, ist umstritten.
Nach Darstellung der Zeitschrift "Gercek" gehör(t)en ca. 70 der 100 Kleinbusse in Urla dem Unternehmen "Urla Birligi", das unter kurdischer Leitung steht. In dem Bericht heißt es weiter, daß der für diese Gesellschaft arbeitende "Marktschreier" Mirzat Öztepe von den Fahrern und "Marktschreiern" der von Türken betriebenen Konkurrenzfirma "Öz Urla" angegriffen und verprügelt worden sei. Bei den Streitereien wurden 6 Kurden verletzt. Sie und weitere 10 Kurden wurden anschließend verhaftet, aber einen Tag darauf wieder freigelassen.
Einer der verhafteten Kurden, der nicht mit Namen genannt werden wollte, erzählte der Zeitschrift, daß er bei den ersten Angriffen versucht habe, auf der Polizeiwache Schutz zu finden. Er sei aber von den Polizisten in die Menge zurückgestoßen worden.
Besonders in Städten der Mittelmeer- und Ägäisküste kam es im 2. Halbjahr 1992 zu wiederholten Ausschreitungen von aufgestachelten Türken gegen die dort ansässige kurdische Bevölkerung. In fast all diesen Fällen wurde den Sicherheitskräften Passivität beim Schutz der Minderheit bis hin zu provokativem Schüren des Völkerhasses vorgeworfen.
Ende Oktober 1992 kam es in der Kreisstadt Alanya in der Provinz Antalya zu Ausschreitungen. Dort wurden bei der Beerdigung des Soldaten Ahmet Gündogmus, der bei den Kämpfen im Nordirak gefallen war, zwei Kurden, Ali Nergiz und Ali Isik, die zufällig dort vorbeigingen, angegriffen und der Versuch gemacht, sie zu lynchen. Die Vorfälle hielten 3 Tage an. Insgesamt wurden 12 Geschäfte und 10 Häuser von Kurden durch Teilnehmer der Beerdigung mit Steinen oder Waffen angegriffen und beschädigt. Im Dorf Karakoca in der Nähe von Alanya wurden Explosiva in das Haus von Abdullah Acat, der aus Midyat stammt, geworfen. Von den in in diesem Zusammenhang verhafteten 10 Personen wurden Ahmet Erdemir und Mehmet Hakan Kurt in Untersuchungshaft genommen.
Die Kreisstadt Fethiye (Provinz Mugla) erlebte Ende September, Anfang Oktober 1992 Ausschreitungen grös-seren Ausmasses. Die Überfälle auf Kurden wurden im Anschluß an die Beerdigung eines Soldaten durch eine Gruppe von 200 Leuten entfacht. Zwei Kurden wurden dabei verletzt. Die Demonstranten organisierten zudem Straßensperren, an denen sie Ausweiskontrollen durchführten und alle Personen, die in den östlichen Provinzen geboren worden waren, zur sofortigen Ausreise aufforderten. Nach Aussagen der Zeitung "Özgür Gündem" sollen 40 kurdische Familien nach den Vorfällen die Stadt verlassen haben.
Anfang März 1993 sollen auf Anordnung der Stadtverwaltung Geschäfte von Kurden in Fethiye durch Gendarmeriesoldaten zerstört worden sein. Darunter waren die Geschäfte des HEP- Vorsitzenden Hüseyin Atay und seines Bruders Ali.
Am 13.07.93 kam es zu Ausschreitungen in der Kleinstadt Ezine (Provinz Canakkale). Weil der Gast eines Nachtclubs die Rechnung nicht bezahlten wollte und von kurdischen Leibwächtern rausgeschmissen wurde, organisierte er einen Aufstand, in dem unter anderem Parolen wie "Tod den Kurden" gerufen und Brandsätze gegen den Nachtclub geworfen wurden. Nur mit Mühe konnte Polizei und Armee die Ausschreitungen unter Kontrolle bekommen.
Anfang August 1993 veranstalteten ca. 300 Menschen eine Demonstration in der Stadt Gümüscay, Kreis Biga, Provinz Canakkale, nachdem der Versuch des Kurden Hasan Cetin, an einer Hochzeitsfeier teilzunehmen, zu einer Auseinandersetzung zwischen Türken und Kurden geführt hatte. Hasan Cetin soll dabei eine Person mit dem Messer verletzt haben. Deshalb wurde er in Untersuchungshaft genommen.
Mitte Mai 1993 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Türken und Kurden in der Stadt Hacihaliller, in der Provinz Manisa. Ungefähr ein Drittel der 3000 Einwohner dieser Stadt sind Kurden. Ein Streit um Rückzahlung von Schulden zwischen einem Türken und einem Kurden führte zu Prügeleien zwischen Türken und Kurden, in deren Verlauf ca. 10 Personen verletzt wurden. 6 von ihnen mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Gouverneur von Manisa soll nach dem Vorfall gesagt haben: "Scheucht die Kurden hier weg. Gebt ihnen keine Arbeit. Schickt jene weg, die keine Arbeit haben." Aus der Stadt Urganlý, Kreis Turgutlu, Provinz Manisa, wurde berichtet, daß die Stadtverwaltung 500 Kurden "aus der Stadt verwiesen" hat.
Die Stimmung in der Bevölkerung fand ihren Niederschlag bei den Kommunalwahlen in Salihli und Turgutlu (Provinz Manisa) vom 27. März 1994. Hier trugen die Kandidaten der MHP den Sieg davon und stellen nun die Bürgermeister. In Turgutlu steigerte die MHP ihren Stimmenanteil von 276 Stimmen bei der letzten Kommunalwahl im Jahre 1989 auf über 12.000 Stimmen und in Salihli wurden aus 289 Stimmen insgesamt 11.803. Ein Vertreter der Mutterlandspartei ANAP aus Salihli, Ersin Aybar, machte darauf aufmerksam, daß in den letzten Monaten in der Stadt 11 Soldaten, die bei Auseinandersetzungen in der Region (unter Ausnahme-zustand) gefallen waren, beerdigt wurden und schlußfolgerte: "Jeder gefallene Soldat hat der MHP 1.000 Stimmen eingebracht."
Ende Juni 1993 kam es nach einem Streit um eine Telefonmünze zu Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken in der Kreisstadt Domanic, Provinz Kütahya. Einer der kurdischen Bauarbeiter hatte versucht, die von ihm nicht benutzte Telefonmünze in dem Laden, wo er sie gekauft hatte, zurückzugeben. Aus der Diskussion wurde rasch eine größere Demonstration, insbesondere von jungen Türken, die teilweise ihren Militärdienst im Südosten der Türkei abgeleistet hatten. Mit Parolen "die PKK-Fahne weht, PKK'ler sind hier" wurden weitere Menschen aufgestachelt, die sodann Geschäfte beschädigten, in denen Kurden beschäftigt waren. Im Anschluß an die Vorfälle wurden drei Kurden verhaftet.
In der Stadt Marmaris überfiel eine Gruppe von "Grauen Wölfe" in der Nacht vom 11.09.93 gegen 2 Uhr das Lokal "Saz Oriental Gazino", in dem in der Regel Kurden verkehren. Der 24-jährige Mustafa Gülle aus Mardin und der 32-jährige Galip Pedük aus Sirnak waren erbost, weil die Gruppe auf Kurden schimpfte. Bei dem vor dem Lokal andauernden Streit wurde Mustafa Gülle durch Messerstiche und Galip Pedük durch Pistolenschüsse getötet. Die Täter konnten unerkannt entkommen.
7 kurdische Familien mit 45 Personen, die aus dem Kreis Malazgirt, Provinz Mus nach Tavas (Provinz Denizli) gekommen waren, mußten Ende Oktober die Kreisstadt verlassen und sich im Dorf Kayhan auf einem freien Platz niederlassen. Am 29.10.93 war es in der Kreisstadt zu Demonstrationen gekommen, bei denen Parolen wie "In Tavas gibt es keinen Platz für Kurden. Nieder mit der PKK" gerufen wurden. Als die Demonstrationen am folgenden Tage weitergingen, gab der Landrat für Tavas den Familien Geld und mietete LKWs, damit sie die Stadt verlassen konnten. Der Presse sagte der Landrat Ahmet Arabaci: "Als die Landsleute aus dem Osten hier ankamen, hat ihnen niemand eine Wohnung gegeben. Hier kennt jeder jeden. Drei Tage zuvor waren zwei Lehrer, die in Bismil getötet worden waren () in Tavas beerdigt worden. Da war die Lage sehr angespannt."
In der Stadt Sakarlar bei Mersin beschwerten sich Mitte April 1994 kurdische Familien über die Behandlung durch die Türken. Sie sagten, daß sie sich schon seit 7 Jahren in dem Ort aufhielten. Die Schikanen hätten angefangen, nachdem sie sich Häuser gebaut hätten. Auf der einen Seite sei ihnen das Wasser abgedreht worden und ihre Kinder würden auf der Schule als "dreckige Kurden" beschimpft. Erst kürzlich sei einer von ihnen, der bei der Stadtverwaltung in Mersin arbeite, an einer Bushaltestelle verprügelt worden. Von den hinzueilenden Landsleuten seien weitere drei verletzt worden. Es wurde vermutet, daß man die Kurden zum Verlassen des Ortes drängen möchte.
Im Stadtteil Karabekir (Gaziosmanpasa) in Istanbul kam es Mitte Mai 1994 zwischen dem Funktionär eines Sportklubs mit Namen Oktay und dem Bruder eines DEP-Funktionärs, Ishak Senses. Oktay kam mit 10 Personen zurück, unter ihnen auch der als Rechtsradikaler bekannte Ali Pala. Sie griffen Ishak Senses an, der durch Messerstiche an 8 Stellen verletzt wurde. Er erlag seinen Verletzungen im Krankenhaus. 2 der Angreifer und vier Personen, die den Streit schlichten wollten, wurden verhaftet.
In der Stadt Davuttepe bei Mersin kam es am 1. September 1994 zu einem Überfall des Nachtwächters Halil Gök in Zusammenarbeit mit 10 Anhängern der MHP auf die Wohnung des Kurden Nuri Adem. Dieser war vor zwei Jahren aus dem Kreis Idil (Provinz Sirnak) gekommen. Nach Auskunft von Herrn Adem war dies schon der zweite Angriff. Nach dem letzten Angriff vor einem Jahr hatte sich Herr Adem bei der Polizei beschwert, weil er und seine Frau bei dem Überfall verletzt worden waren, aber nichts war geschehen.