Devrimci Yol (Revolutionärer Weg)
DEV-VOL (Devrimci Vol - Revolutionärer Weg) steht in der Rubrik
- NACH 1974 EXISTIERENDE/GEGRUENDETE PARTEIEN UND GRUPPIERUNGEN UND IHRE HEUTIGE SITUATION
Gründung: Die Devrimci Yol ging im Mai 1977 aus der Dev-Genç hervor. Ihre Gründung fällt mit dem Erscheinen der gleichnamigen, anfänglich legalen Zeitschrift zusammen. Diese wurde von einem Kollektiv herausgegeben, dessen Mitglieder offiziell nicht bekannt waren.
Leitung: Die Organisation wurde von einem Kollektiv geleitet. In den Anklageschriften gegen die Dev-Yol werden aber als leitende Personen folgende genannt: Oğuzhan Müftüoğlu, Nasuh Mitap, Ali Başpınar, Mehmet Ali Yılmaz, Akın Dirik, Melih Pekdemir, Ali Alfatlı, Taner Akçam. Diese Personen werden als Mitglieder des Zentralkomitees der Dev-Yol betrachtet.
Publikationen: Devrimci Yol
Ideologie und Ziele
- - Unabhängiger Sozialismus marxistisch-leninistischer Ausrichtung.
- - Hauptziel ist, sich im geeigneten Zeitpunkt als Partei zu organisieren, um die Revolution
zu verwirklichen.
- - Kampf gegen Imperialismus und Faschismus, politische Schulung und allgemeine Bildung der Bevölkerung.
- - Aufbau von Direniş Komiteleri (Widerstandskomitees, siehe unten).
Organisationsstrukturen
Im Gegensatz zu den meisten anderen Organisationen spielte die sogenannte "Parteifrage" für die Dev-Yol keine primäre Rolle. Sie hielt die Mobilisierung und die Selbstorganisation grösserer Massen für wesentlicher im Hinblick auf eine demokratische Revolution. Die Organisationsstruktur der Dev-Yol ist zentralistisch, wobei die jeweilige örtliche Gruppierung eine relative Autonomie im Rahmen der vom Leitungskollektiv bestimmten Richtlinien hatte. Gemäß der Hauptanklageschrift in den Prozessen gegen Dev-Yol-Mitglieder soll die Türkei in verschiedene Regionen aufgeteilt und für jede Region ein Verantwortlicher bestimmt worden sein. Dieser soll für die ortsgebundenen Aktionen und die Zusammenarbeit mit der Zentrale in Ankara verantwortlich gewesen sein.
Organisationsentwicklung
Die Devrimci Yol entwickelte sich schnell zu einer Massenbewegung und zählte bereits nach kurzer Zeit Zehntausende von Anhängerinnen, von denen sich viele stark exponierten. Ihre Zeitung erreichte vor dem Putsch die stolze Auflage von monatlich 115.000 Exemplaren. Die Dev-Yol scheute sich auch nicht, mit anderen Organisationen zusammenzuarbeiten. So boykottierte sie zwar die Wahlen von 1977, unterstützte jedoch bei den Kommunalwahlen lokale CHP-Politikerlnnen. Später arbeitete sie auf breiter Ebene mit Volkshäusern, Gewerkschaften und Berufsverbänden zusammen. Innerhalb der DISK (Gewerkschaftsföderation) besaß sie einen bedeutenden Einfluss (die Gewerkschaft Yeraltı Maden-İş z.B. wurde von der Dev-Yol kontrolliert: Yeni Çeltek). Sie kontrollierte ebenso Teile der LehrerInnengewerkschaft Töb-Der und der Polizeigewerkschaft Pol-Der. Überdies unterhielt die Dev-Yol gute Beziehungen zu Vertreterinnen von Armee und Polizei und der allgemeinen Verwaltung. Diese verhalfen ihr zu ausgezeichneten Informationen.
Die Entwicklung der Bewegung war seit der Gründung stark von den damals herrschenden Verhältnissen in der Türkei geprägt. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre nahmen die Übergriffe der Rechtsextremisten auf linksgerichtete und fortschrittliche Intellektuelle zu, was die Devrimci Yol veranlasste, eine Gegenstrategie zu entwickeln. Dieser Abwehrkampf absorbierte viele Kräfte der Bewegung.
Wie die übrigen Organisationen wurde auch die Dev-Yol nach dem Putsch von 1980 gewaltsam zerschlagen. Alle nicht sogleich festgenommenen Militanten sahen sich gezwungen, unterzutauchen oder zumindest ihre Tätigkeiten auf Sparflamme weiterzuführen. Dennoch haben sich die Übriggebliebenen relativ schnell organisiert, um den Informationsfluss aufrechtzuerhalten. Aktionen hingegen wurden kaum mehr durchgeführt. Einige Gruppen haben sich in die Berge zurückgezogen und den Widerstand von dort aus weitergeführt, doch wurden auch sie im Laufe des Jahres 1984 zur Kapitulation gezwungen. Danach sind viele von ihnen ins Ausland geflüchtet.
In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre muss die Devrimci Yol als nicht mehr existent angesehen werden, obwohl sich zahlreiche ehemalige Anhängerinnen auf verschiedenen politischen Ebenen neu organisiert haben. So gibt es noch heute Studentinnenvereine, die ganz klar vom Gedankengut der Devrimci Yol getragen werden. Inzwischen wieder aus dem Gefängnis entlassene und ehemalige Aktivistinnen und Sympathisantinnen versuchten ihre Tätigkeiten ab der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zu legalisieren, welche sich damals auf die Präsenz in Studentinnenvereinen, wiedereröffneten Volkshäusern, Gewerkschaften und innerhalb der SHP beschränkten. Viele engagieren sich im Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte.
Die Widerstandskomitees
Bereits 1977 wurden die ersten Widerstandskomitees (Direniş Komiteleri) gegründet. Die Dev-Yol analysierte die Lage in der Türkei dahingehend, dass ein Bürgerkrieg im Gange sei.
Deshalb galt es, das Volk zu organisieren und es zur Selbsthilfe zu erziehen. Die Bewaffnung sollte nicht als offensives Mittel und willkürlich, sondern lediglich für die Defensive und ganz gezielt eingesetzt werden. Der Angriffskampf wurde als eine dem Marxismus zuwiderlaufende Strategie betrachtet (im Gegensatz zur Dev-Sol). Erst nach der Konstituierung zu einer Partei sollte der bewaffnete Kampf beginnen. Widerstandskomitees wurden in erster Linie in Quartieren, aber auch in Fabriken gebildet. Die Anzahl der Mitglieder unterschied sich von Komitee zu Komitee. Verschiedene Quartiere wurden organisatorisch zu Stadtgebieten zusammengefasst, diese Stadtgebietkomitees ihrerseits waren im zentralen Komitee einer bestimmten Stadt vertreten. Das Ziel, die Stadtkomitees in einem zentralen Landeskomitee zusammenzufassen, konnte nicht erreicht werden.
Die Widerstandskomitees borgten sich ihren Namen von ihrer jeweiligen Aufgabe: Fabrikkomitee, Schulkomitee, Quartierkomitee usw. Ein vordringliches Ziel dieser Komitees bestand im Aufbau von Produktionskooperativen. In Fatsa zum Beispiel, einer Stadt am Schwarzen Meer, wurden Haselnusskooperativen gegründet. Ebenfalls auf der Ebene der Stadtverwaltung wurde ungeheuer viel unternommen, um die Situation der Bevölkerung zu verbessern.
Zeitungen
Im Mai 1977 wurde erstmals eine Zeitschrift unter dem Namen Devrimci Yol herausgegeben und damit dieser Name erstmals an die Öffentlichkeit getragen. Die Zeitung erschien bis zum Putsch 1980 regelmäßig. Danach wurde am 21.9.80 noch ein Extrablatt veröffentlicht, welches in Ankara verteilt werden konnte. Die letzte Ausgabe der Zeitschrift Devrimci Yol erschien Mitte Oktober 1980, danach musste ihr Erscheinen eingestellt werden. Bereits ab Dezember 1978 ist die Zeitung in den dem Kriegsrecht unterstellten Provinzen nach und nach verboten worden. Im Jahre 1980 brachte Dev-Yol die Tageszeitung Demokrat heraus, welche vor allem die Intellektuellen ansprechen sollte.
Hochburgen
Industrieregionen, die gesamte Küstenregion an der Ägäis und am Schwarzen Meer, Mittelanatolien sowie Großstädte Kurdistans.
Aktuelle Situation
Eine Gruppe von Personen, welche sich "Yıldızlı Yumrukçular" (die berstenden Fäuste: Anspielung auf das Emblem der Devrimci Yol) nennt, und sich aus Sympathisantinnen der Devrimci Yol zusammensetzt, hat sich zur Aufgabe gemacht, die Devrimci Yol zu reorganisieren, sie besteht jedoch nicht mehr als unabhängige Organisation.
Diese äußerst orthodoxe Gruppe vertritt eine radikale Linie der Devrimci Yol. Ihre Aktivitäten beschränken sich zurzeit jedoch auf das Aufhängen von Plakaten, welche zum Teil mit Bombenattrappen versehen sind, und die Organisation von illegalen ad-hoc-Demonstrationen.
Die den Gewerkschaften nahe stehenden Kreise der Devrimci Yol organisieren sich um die Zeitung "Yön", welche in Istanbul von der Gruppe um Çetin Uygur legal publiziert wird, um die Arbeiterinnenschaft zu organisieren.
Was die ehemaligen Anführerinnen der Devrimci Yol betrifft, haben sich diese vorwiegend innerhalb der ÖDP organisiert. Oğuzhan Müftuoğlu, welcher sozusagen die "Mutterorganisation" vertritt, setzt seine politischen Tätigkeiten innerhalb der ÖDP fort. Es kann die Feststellung gemacht werden, dass sich die Devrimci Yol heute weitgehend legalisiert hat und ihre Tätigkeiten vor allem auf der legalen Plattform der ÖDP fortsetzt. Die um Oğuzhan Müftuoğlu herum organisierten Kreise publizieren eine Monatszeitschrift mit dem Namen "Yeniden" (Von Neuem), welche in Istanbul unter der Verantwortung des Chefredakteurs Remzi Keskin herausgegeben wird. Die gleiche Gruppe betreibt zudem ein Recherchier-Zentrum in Istanbul, welches sich "Toplumsal Arastırmalar Vakfı*" (Gesellschaftliche Recherchier-Stiftung) nennt.
Verfolgungssituation
Die Devrimci Vol ist wohl diejenige Organisation, die über das ganze Land verstreut nach dem Putsch von 1980 am meisten Angeklagte zu beklagen hatte, die meistens bereits 1980/81 inhaftiert und in der Folge auch schwerstens gefoltert worden sind. Nicht wenige allerdings haben untertauchen und sich dem Zugriff der Militärs entziehen können. Zum Teil haben sie auch eine begrenzte Tätigkeit für die Dev-Vol weitergeführt. Einige von ihnen wurden erst im Laufe der darauffolgenden Jahre inhaftiert. Ihre Prozesse, mit Ausnahme der letzten, samt und sonders vor Militärgerichten entschieden, endeten für Hunderte von Devrimci Yol-Anhängerlnnen mit zum Teil hohen Zuchthausstrafen und für viele von ihnen sogar mit Todesstrafen. Unter all diesen Opfern befinden sich nicht nur militante Dev-Vol¬Anhängerinnen, sondern oft auch einfache Sympathisantinnen.
Zwischen 1982 und 1987 wurde vor dem Militärgericht Ankara ein Monsterprozess gegen 723 Angeklagte geführt. Es handelte sich um den Hauptprozess gegen die Devrimci Yol, welcher wie viele andere in Missachtung der grundlegendsten Menschen- und Verfahrensrechte zu Ende geführt wurde. Mit diesem Prozess hat der türkische Staat sozusagen mit der Devrimci Yol abgerechnet, eher weniger ging es um die Tätigkeiten der einzelnen Personen.
Die im Gefolge des Putsches inhaftierten Aktivistinnen der Devrimci Vol sind spätestens nach der Verabschiedung des Anti-Terror-Gesetzes freigelassen worden. Ausnahme bilden diejenigen Personen, die erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre inhaftiert worden sind. Mehrere von ihnen befinden sich nach wie vor in Haft.
Obwohl es zahlreichen ehemaligen sich in Europa aufhaltenden Militanten und Sympathisantinnen der Devrimci Yol gelungen ist, sich zu legalisieren, gibt es nach wie vor Personen, welche nicht an eine solche Möglichkeit denken können.
Was die Situation von wegen Devrimci Vol-Aktivitäten registrierten Personen betrifft, kann nicht allgemein von der Annahme der Nichtgefährdung ausgegangen werden. Obwohl sich ein großer Teil der Anhängerinnen dieser Organisation heute auf der legalen Plattform betätigt und bei diesen Tätigkeiten keinen besonderen Problemen begegnet, müssen diejenigen Personen, die sich im radikalen Flügel betätigen, sich für die Kurdinnensache einsetzen oder radikale gewerkschaftliche Tätigkeiten ausüben, nach wie vor mit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen rechnen.
Weiterführende Links
In diesem Wiki gibt es:
- Einen Bericht von Amnesty International aus dem Jahre 1988 unter dem Titel Devrimci Yol (in Englisch)
- Einen Artikel in Deutsch unter Dev-Yol. Er wurde für die deutsche Wikipedia als Information über die Organisation geschrieben.
- Für das englische Wikipedia habe ich einen Entwurf unter Revolutionary Path geschrieben. Der Artikel selber ist hier zu finden.
Urheberrechtlicher Hinweis: Alle Angaben sind dem Werk "Türkei-Turquie" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), Bern, April 1997 entnommen. Die Loseblattsammlung ist vergriffen. Deshalb waren die Autorin Denise Graf und der Autor Bülent Kaya ausdrücklich damit einverstanden, dass der Inhalt per Internet einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird. Im Text wurde weitestgehend die neue deutsche Orthographie benutzt. Es wurden keine inhaltlichen Veränderungen vorgenommen.