Homosexualität in der Türkei
Homosexualität ist zwar kein absolutes Tabu mehr, es gibt aber auch keine ernsthafte Debatte in Richtung auf Emanzipation von Schwulen und Lesben in der Türkei (1). Der innerhalb der Bereinigung der türkischen Sprache (von Fremdwörtern) vor gut 10 Jahren gefundene Ausdruck "eşcinsel" (gleichgeschlechtlich, sowohl Adjektiv als auch Nomen) würde eine wertneutrale Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglichen, aber die meisten Meldungen mit einem homosexuellen Hintergrund finden sich in den Zeitungen nach wie vor auf Seite 3 mit Sensationsmeldungen, wo z.B. über den Mord an einem homosexuellen Ingenieur durch seinen "Lover" berichtet wird.
Homosexuelle Frauen werden weniger als "eşcinsel", denn als "lezbiyen" oder "sevici" (Liebende) bezeichnet. Diese Ausdrücke sind wertneutraul bis wohlwollend, denn bei lesbischen Frauen geht die Öffentlichkeit in der Türkei (und anderswo) davon aus, daß sie nur den richtigen Mann noch nicht gefunden haben.
Homosexualität unter Männern
Bei den Männern richtet sich die Bezeichnung nach dem Sexualverhalten (aktiv oder passiv). Entsprechend unterschiedlich ist die damit verbundene Einschätzung. Der "oğlancı" war/ist jemand, der Jungen mag, bzw. mit ihnen Geschlechtsverkehr hat und daher den aktiven Part(ner) darstellt. Dieses Image ist heutzutage nicht besonders positiv, aber auch kein Grund für Ächtung, denn es wird in erster Linie als Ausdruck der Potenz eines Mannes gewertet, wenn er verschiedene Sexualpartner hat (haben kann). Analverkehr unter Erwachsenen kennt im Türkischen keinen Begriff, wie das verächtliche deutsche Wort "Arschficker". (2)
Dafür werden die passiven Homosexuellen, diejenigen, die sich "hingeben" als "götveren" (Arschgeber), bzw. mit dem gleich bedeutenden und weithin auf alle Schwulen angewandten Wort "ibne" bezeichnet, ein Ausdruck, der weit böser klingt, als ursprünglich einmal im Deutschen das Wort "schwul". Obwohl passive Schwule auch in kleineren Gemeinden heimlichen Sexualkontakt haben können, würden die "laço"s, die sich mit ihnen in der Dunkelheit vergnügen, am Tage einen Kontakt zu ihnen meiden.
Ein Grund, warum Homosexualität in der türkischen Gesellschaft nicht (oder wenig) diskutiert wird, mag darin liegen, daß im Orient nicht so stark kategorisiert wird/wurde und die Grenzen zwischen hetero-, bi- und homosexuell fließend sind. Zudem ist die Sprache geschlechtsneutral. Es gibt kein "er" und "sie" und "arkadaş" kann sowohl der Freund als auch die Freundin sein. Unabhängig von der jeweiligen sexuellen Ausrichtung sind Freundschaften unter Frauen wie unter Männern sehr intensiv und können durchaus Umgangsformen beinhalten, die in unseren Breitengraden als sexuelle Spielerei bewertet werden (Wangenkuß und Händehalten beim Spazierengehen sind Ausdruck davon).
Bis zur Heirat (die früher mit der Pubertät vollzogen wurde) sind Kontakte zum anderen Geschlecht für große Teile der Gesellschaft praktisch unmöglich. Das führt u.a. dazu, daß vor allem in ländlichen Gebieten der Geschlechtstrieb an Tieren befriedigt wird. Die im Abendland für die Zeit der Pubertät bekannten "Doktorspiele" werden aufgrund des unerreichbaren anderen Geschlechts nicht selten zu feurigen "Liebschaften", die womöglich erst in der "Selbstfindung" der Heirat nach absolviertem Militärdienst ein Ende finden. Aber auch die homosexuelle Frau und der homosexuelle Mann sind verheiratet. Womit keine gleichgeschlechtliche Partnerschaft gemeint ist, denn die ist in der türkischen Gesellschaft unvorstellbar.
Toleranz in der Geschichte
Die in der griechischen Gesellschaft geschichtlich verwurzelte Toleranz gegenüber Homosexualität hat sich in der türkischen Gesellschaft nicht erhalten. Dies liegt zum einen in dem Bruch, der beim Übergang vom osmanischen Reich zur türkischen Republik vollzogen wurde, auf der anderen Seite in der durch die westliche Orientierung der Türkei verstärkten Kategorisierung und der damit verbundenen Abwertung des Andersartigen. Bei den Osmanen gab es noch eine weit verbreitete Kultur der "Knabenliebe". Sultane schrieben ganze Gedichtbände über die von ihnen geliebten Jünglinge.
Eine Art von "Knabenliebe" läßt sich heutzutage in zwei Bereichen beobachten. Auf der einen Seite sind Kinder im Gefängnis ein begehrtes Sexualobjekt für Wärter und erwachsene Gefangene. Im Militär haben es jene jungen Burschen besonders leicht, die aufgrund ihres hübschen Aussehens und ihrer sexuellen Willigkeit den Schutz eines Offiziers erlangen können.
Homosexuelle Künstler
Der traditionelle Bereich ist die Kunst. Früher war es verboten, daß in Versammlungen der Männer Künstlerinnen auftraten. Also verkleideten sich Jünglinge als Tänzerinnen. Je nach Begabung können diese "rakkase" (weibliche Tänzerinnen) oder "köçek" (verkleidete Jünglinge) auch als Sängerin auftreten. Nur wenige erreichen jedoch den Glamour von Zeki Müren, dem erfolgreichsten Sänger der Türkei, bei dem nicht nur die glockenklare Stimme, sondern die ständig wechselnde Gala-Kleidung bewundert wird, denn Zeki Müren tritt "im Fummel als Transvestit" auf. Die Transsexuelle Bülent Ersoy hat zwar nicht den gleichen Ruhm erlangt wie Zeki Müren (der erst vor Kurzem homosexuelle Kontakte eingestand), aber ist allen negativen Schlagzeilen zum Trotz (sie vollzog ihren Geschlechtswandel zur Zeit der Militärdiktatur Anfang der 80er Jahre) ein absolutes Starlett geblieben.
Prostitution
Die meisten Travestis sind als Prostituierte aktiv (allein in Istanbul wird ihre Zahl auf 3.000 geschätzt - 3). In Istanbul kommen noch 200-300 "Stricher" (nicht verkleidete Männer) hinzu. Die meisten von ihnen haben eine lange Leidensgeschichte (als verachtete "Arschgeber") hinter sich und nur wenige, die den Sprung in die Großstadt geschafft haben, schaffen ihr eigentliches Ziel der Umwandlung ihres Geschlechts. Die Travestis sollen nicht unter Mangel an Kundschaft leiden. Unter ihnen gibt es "Edelnutten", die mit teuren Autos auf den Hauptstraßen von Istanbul "cruisen" und sich eine Visite mit einem halben Lehrergehalt bezahlen lassen. Die Zahl der "Kunden", die sich in Bars oder Klubs mit den Travestis treffen, bzw. einschlägige Etablissements (Cafés) besuchen, soll in Istanbul 5.000 betragen. Für Ankara und Izmir werden die Zahlen mit mehreren Hundert angegeben.
Die meisten Homosexuellen leben in der Türkei "versteckt". Da intensive und intime Männer- und Frauenfreundschaften in der Gesellschaft nichts Außergewöhnliches sind, pflegen sie neben der formalen Ehe Freundschaften, in denen auch ihr Bedürfnis nach Sex zur Geltung kommt. Ibrahim Eren schätzt die Zahl der homosexuell geprägten Menschen in der Türkei auf 15 Prozent. Über 50% der Gesellschaft soll mit einer gewissen Bereitschaft zu homosexuellen Kontakten ausgestattet (bisexuell) sein. (4)
Aids in der Türkei
Das Phänomen Aids hat in der Türkei nicht zu einer umfassenderen Diskussion der Homosexualität geführt, obwohl diese Risikogruppe auch in den türkischen Medien immer zuerst genannt wird. Die offizielle Politik versucht das Problem zu umgehen und nur am Welt-Aids Tag fühlen sich die Staatsvertreter gemüßigt, etwas zu dieser "Plage" zu sagen. (5) Der Gesundheitsminister Doğan Baran präsentierte am 01.12.95 die neuesten Zahlen von 434 HIV Infizierungen (bei 152 Personen ausgebrochen) im ganzen Land. "Verschwindend gering", mag mensch denken, "wenn es weltweit 16 Millionen Aids-Kranke gibt". Das letzte Wort hatte dieses Jahr der Präsident des staatlichen Religionsamtes, Mehmet Nuri Yılmaz. Als besten Schutz empfahl er, unmoralischen (homosexuellen) und außerehelichen Verhältnissen aus dem Wege zu gehen. (6)
In den großen Städten gibt es Vereine "zur Bekämpfung von Aids", in denen hauptsächlich ehrenamtliche MedizinerInnen aktiv sind. Sie kritisieren die schweigende Hinnahme der Gefahr durch die Politiker, von denen sie für ihre Arbeit kein Geld bekommen (genauso wenig, wie langfristige Betreuung von Aids-Patienten finanziert wird) und vertreten die These, daß die Aids-Gefahr in der Türkei hauptsächlich von den Prostituierten aus slawischen Ländern (ehemalige Sowjetunion) und dem langsam anrollenden Sex-Tourismus (momentan hauptsächlich in und um Antalya) ausgeht. (7) Es gibt noch 2 weitere Vereine, die sich Aufklärung über Aids zum Ziel gesetzt haben. Die Vereine sind aufgrund mangelnder Finanzierung jedoch wenig wirksam.
Internationale Kontakte bestehen kaum. Als Ende Juli 1992 eine Gruppe von 32 Homosexuellen (hauptsächlich aus der BRD) nach Istanbul reisen wollte, um eine Reihe von Veranstaltungen durchzuführen, die zuvor vom Gesundheitsministerium und dem Gouverneur genehmigt worden war, wurde ihnen erst mitgeteilt, daß man ihre Sicherheit nicht gewähren könne, weil Bombendrohungen gegen ihre Unterkünfte eingegangen seien und dann hieß es, daß sie die allgemeine Moral untergrüben und deswegen das Land zu verlassen hätten.
Die Mehrzahl der Schwulen in der Türkei dürfte von dieser Aktion nichts gehört haben. Da sie sowohl im Privatbereich als auch in der Arbeitswelt versteckt bleiben wollen, werden sie auch nicht die schwule Subkultur aufsuchen. Es gibt in den Großstädten (vor allem Istanbul) eine schwach ausgeprägte schwule Subkultur. Sie ist für den Durchschnittsbürger praktisch unerschwinglich und auch nicht ungefährlich. Es mag erstaunen, daß es unter allen restriktiven Gesetzen der Türkei kein Gesetz gibt, das Homosexualität verbietet. Das Schutzalter liegt für Mädchen und Jungen bei 15 Jahren. Dennoch müssen bekennende Schwule mit Verfolgung rechnen, wie das Beispiel von Ibrahim Eren weiter unten belegt. Wenn gar keine andere gesetzliche Handhabe möglich ist, wird einfach die allgemeine Moral als zu schützendes Gut herangezogen.
Transvestiten und die Polizei
Die sich prostituierenden Travestis hingegen haben handfeste Schwierigkeiten mit der Polizei (obwohl männliche Prostitution nicht verboten ist). Nach dem Militärputsch vom September 1980 wurden vielen Travestis die Haupthaare abrasiert und sie nach Eskisehir deportiert, um allerdings kurz darauf wieder in Istanbul zu sein. In der Folgezeit kam es immer wieder zu Festnahmen und gewaltsamen Gesundheitskontrollen. Den Kontrollen und Mißhandlungen können sich die Travestis nur entziehen, wenn sie entsprechende Schmiergelder zahlen und/oder zum kostenlosen Sex mit dem Beamten bereit sind. Neben dem permanenten Abkassieren der Polizei (im Istanbuler Vergnügungsviertel sollen dazu alleine 20 Polizeiautos unterwegs sein) kommt es praktisch alle 6 Monate zu gezielten Angriffen, in Istanbul erst jüngst wieder Ende November.
Nachdem der neue Polizeichef von Istanbul verkündete, daß er mit der Unmoral aufräumen werde, wurde in der Nacht zum 29. November die Ülken Sokak im Stadtteil Cihangir von der Polizei umstellt und 12 Travestis teils aus ihren Wohnungen, teils aus Taxen festgenommen. Die Polizei soll dabei nicht nur Wohnungstüren eingetreten und Einrichtungsgegenstände, wie z.B. Fernsehgeräte zerstört haben, sondern den Betroffenen auch noch 50 Millionen TL (ca. 1.500.- DM) abgenommen haben.
Faruk Kırıkçı, Ali Bozkuş, Selim Hisar, Yaşar Pınarbaş, Muharrem Kalaycı, Yasemin Pasic, Murat Pulaş, İlhami Kaya, Seyfettin Turan, Fehmi Boran, Mehmet Doğan und ein namentlich nicht bekannter Travesti wurden auf der Polizeistation in Beyoğlu mehr als 48 Stunden festgehalten. Nach ihrer Freilassung berichteten sie, daß sie geprügelt und an den Haaren gezogen wurden, sich splitternackt ausziehen mußten und mit eiskaltem Wasser unter Hochdruck abgespritzt wurden. Einem von ihnen wurden die Hoden gequetscht. Die von der Anwaltskammer Istanbul bestellten AnwältInnen erhielten erst nach heftigen verbalen Auseinandersetzungen Zugang zu den Inhaftierten, die sich nach ihrer Entlassung an die Menschenrechtsstiftung der Türkei zur Behandlung der Folter wandten.
Verfahren gegen Ibrahim Eren
Im Dezember 1989 wurde Ibrahim Eren verhaftet, weil er Travestis erlaubt hatte, eine Pressekonferenz in dem von ihm betriebenen Kulturzentrum "Neue Byzans" abzuhalten, nachdem sich einer von ihnen das Leben genommen hatte. Ibrahim Eren saß mehrere Monate wegen Verstoß gegen das Demonstrationsgesetz und Verteilen von Flugblättern in öffentlichen Plätzen im Knast, wo ihn Claudia Roth besuchte. amnesty international führte eine "urgent action" für ihn als gewaltfreiem politischen Gefangenen durch. Er wurde in der Haft so schwer mißhandelt, daß er gebrochene Rippen und eine geplatzte Hörmembrane hatte.
Ibrahim Eren, der als führende Person der "radikalen Grünen" und Fürsprecher der Homosexuellen in der Türkei bekannt war, wurde später mit weiteren Anklagen konfrontiert. Obwohl Schwulsein nicht verboten ist, meinten die Juristen, daß Atatürk beleidigt sein würde, wenn man ihn (wie es Ibrahim tat) einen Schwulen nannte. Eine Sauna, die Ibrahim seit 15 Jahren betreibt, wurde für 6 Monate geschlossen, weil er Travestis reingelassen hatte (herbe materielle Einbuße auch für die Bewegung der "radikalen Grünen"). Im Endeffekt wurden insgesamt 16 Verfahren gegen ihn, meistens im Zusammenhang mit Artikeln in der Zeitschrift "Grüner Frieden" (Yeşil Barış - 8) geführt. 5 Verfahren bezogen sich auf verbotene Demonstrationen, 3 auf die Forderung nach gleichen Rechten für KurdInnen und 3 auf pornographisch eingestufte Fotos in der Zeitschrift).
Organisierung von Lesben und Schwulen
Neben diesen ersten Versuchen der Organisierung in der 80er Jahren gibt es momentan in der Türkei vier Gruppen von Homosexuellen (teilweise Schwule und Lesben zusammen). Die zwei Gruppen in Istanbul ("Çağrı" = Aufruf mit 30 Mitgliedern und "Lambda" mit 20 Mitgliedern) haben vor kurzem beschlossen, gemeinsam vorzugehen. Derzeit wird eine Satzung für einen Verein vorbereitet. (9) Neben einer schwulen Gruppe in Eskişehir gibt es noch eine anarchis¬tische Gruppe in Ankara, die eine Zeit¬schrift "Kaos GL" als Raubdruck mit fast ausschließlich schwulem Inhalt herausgibt. (10)
Die Homosexuellen in Istanbul und Ankara haben eine Zeitlang in den dortigen Menschenrechtsvereinen mitgearbeitet. In Istanbul gab es zwar keine direkte Behinderung, aber in der zuständigen Minderheiten-Kommission sind Personen wie Demet Demir, Sprecherin der Travestis inzwischen wirkungslos. In Ankara hat erst in diesem Jahr der Vorstand den Beschluß gefaßt, daß es keine eigene Untergruppe "Homosexualität" in dem Verein geben soll. Als Begründung soll vom kurdisch dominierten Vorstand gesagt worden sein, daß "Revolutionäre sich nicht mit Fotzen und Ärschen abgeben". Aus Kreisen von progressiven Randparteien (Fortsetzung der türkischen Linken aus den 70er Jahren) verlautete, daß einige neben einer Frauenkommission zum Zeichen ihrer Fortschrittlichkeit auch gerne Schwulengruppen in ihren Reihen hätten. Allerdings scheint das politische (dogmatische) Engagement und bekennendes Schwulsein nicht miteinander vereinbar zu sein.
Momentan versucht eine Gruppe um Ibrahim Eren eine Zeitschrift aufzubauen, die alle Homosexuellen in der Türkei ohne ideologische Beschränkung ansprechen und ein Kommunikationsmittel unter ihnen sein soll. Neben Schwulen und Lesben sollen hier alle unterdrückten und diskriminierten sexuellen-religiösen-ethnischen Minderheiten zu Worte kommen. Die Redaktion hat sich die Verteidigung von allgemeinen demokratischen Grundsätzen und die Menschenrechte zum Ziel gesetzt. Neben einigen Türken sind in der Redaktion drei Kurden, zwei Armenier und 3 Lesben (von denen eine Kurdin und eine Engländerin ist).
Hamburg, den 10.12.1995 Helmut Oberdiek
Fußnoten
(1) Dieses Papier setzt sich fast ausschließlich mit der Situation von männlichen Homosexuellen auseinander. An dem Projekt einer Zeitschrift, das am Ende dieser Thesen vorgestellt wird, sind auch Lesben beteiligt. Von ihnen lagen bei Erstellung des Papiers jedoch weder mündliche noch schriftliche Stellungnahmen vor. Der Großteil der Angaben beruht auf einer 6-seitigen handschriftlichen Beantwortung von Fragen, die der Verfasser an Ibrahim Eren, der sich selber als "bisexuell" bezeichnet, gestellt hat.
(2) Neuerdings haben sich die Begriffe "laço" (der homosexuelle Macho) und sein Counter-Part "lubunya" (Strichjungen) eingebürgert.
(3) In weiten Teilen der Gesellschaft werden die Travestis als die Homosexuellen angesehen, obwohl die Alltäglichkeit der gleichgeschlechtlichen Liebe in vielen Sprichwörtern zum Ausdruck kommt (so z.B. "Antep'li yorgansiz yatar, oglansiz yatmaz" -Bewohner von Antep (aber auch anderen Städten) schlafen ohne Decke, aber nicht ohne Knaben).
(4) Wie groß die Schwierigkeiten für einen bewußten Schwulen in der Türkei sind, zeigt ein Artikel in der unten aufgeführten Zeitschrift "Kaos GL". Der 24-jährige Esat schrieb hier, daß er nach vielen Versuchen immer noch nicht weiß, ob er sich "schwul, homosexuell, Stricher oder Schwuchtel" nennen soll und sich daher für das Englische "gay" entschieden hat, weil seiner Meinung nach damit auch Gefühle verbunden sind.
(5) An der diesjährigen Rede von Staatspräsidenten Süleyman Demirel an der medizinischen Fakultät der Universität Ankara fand die Presse besonders bemerkenswert, daß er dieses Jahr keinen Präservativ geschenkt bekam, den er sich letztes Jahr noch in die Tasche gesteckt hatte.
(6) Einer Meldung in Evrensel vom 30.11.95 zufolge wurden in einer 1-seitigen Aufklärungsbroschüre des Gesundheitsministeriums als Schutzmethoden genannt: a) Führung der Einehe, b) Vermeidung von homosexuellen Kontakten.
(7) Zum Welt-Aids Tag hatte der Verein zur Bekämpfung von Aids in Istanbul einen Stand im Einkaufszentrum und Vergnügungsviertel "?stiklal Caddesi" aufgebaut und kostenlose Kondome verteilt. Einige Passanten warfen sie angeekelt zu Boden, als sie merkten, was sie angenommen hatten, andere holten sich gleich "Nachschub".
(8) Die erste Nummer erschien 1987. Insgesamt erschienen 6 Ausgaben. Bei einer Auflage von 10.000, wurden 6.000 verkauft. Obwohl unter den HerausgeberInnen Feministinnen, ÖkologInnen, Kriegsdienstverweigerer und Anarchisten waren, traten in der Öffentlichkeit (bürgerlichen Presse) die Schwulen in den Vordergrund. Das erschwerte eine Parteigründung.
(9) Die Erfolgsaussichten als Verein anerkannt zu werden, sind jedoch unter dem bestehenden Vereinsgesetz in der Türkei gering.
(10) Das Blatt ist sehr politisch mit Leitartikeln wie "Die Befreiung der Homosexuellen wird auch die Heterosexuellen frei machen. -Gaysein ohne Herr-"
Weiterführende Verweise
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Ein guter Artikel zum Thema "Homosexualität und Islam" ist in Kurzform im Internet zu finden. Andreas Ismail Mohr hat die Kurzfassung seines 2002 gehaltenen Referats beim LSVD veröffentlicht. Die Argumentation soll belegen, dass auch ein gläubiger Moslem bekennender Schwuler sein kann, ohne dadurch in Konflikt mit seiner Religion zu geraten. Vielleicht ist der Versuch nicht ganz gelungen, aber immerhin findet er gute Argumente.
Um gute Artikel zum Thema "Schwulen und Lesben in der Türkei" zu finden, muss mensch entweder gleich in die türkische Sprache wechseln, oder es mit englischen Artikeln versuchen. Einen Überblick bietet Lambda, Istanbul auf der Seite "Homosexuality in Turkey". Viel wird dann in den einzelnen Artikeln aber nicht geboten.
Etwas besser ist das, was bislang bei Wikipedia zusammenkam unter dem Titel "Gay rights in Turkey". Hier findet sich auch ein Verweis auf die Seite von Kaos GL zu "Turkey LGBT History". Hier sind chronologisch die "Meilensteine der Bewegung" (allem voran die Dinge um Kaos GL herum) aufgezeichnet.
Die Humboldt-Universität in Berlin scheint eine Ezyklopädie zum Theme "Sex-weltweit" erstellt zu haben. Die Artikel sind alle in Englisch und recht knapp verfasst. Hier geht es zum Eintrag "Turkey and Sexuality". Aks akademische Studie ist eine Betrachtung von Yigithan Yenicioglu von der Universität Istanbul (ohne Datum) über "Gay identities, communities and places in the 1990s in Istanbul" ausgegeben. Sie enthält ein paar interessante Beobachtungen.
Wem das nicht ausreicht, der/die kann sich noch ansehen, was ich 10 Jahre später über meinen Vortrag denke.