Lagebericht Oktober 2007

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Meinungsfreiheit

Seite 14: Meinungsäußerungen, die nur Kritik beinhalten und die nicht beleidigend oder zersetzend gemeint sind, wurden in den letzten Jahren bis auf wenige Einzelfälle nicht mehr bestraft.

Argumente und Gegenargumente im Detail

Seite 13: Durch mehrere Verfassungsänderungen und Änderungen des Strafrechts in den letzten Jahren wurde die formale Meinungsfreiheit gestärkt.

Seite 14: Meinungsäußerungen, die nur Kritik beinhalten und die nicht beleidigend oder zersetzend gemeint sind, wurden in den letzten Jahren bis auf wenige Einzelfälle nicht mehr bestraft. Auch gibt es Fälle, in denen Staatsanwälte von einer Anklageerhebung abgesehen haben, so wurde im Januar 2007 ein Verfahren gegen einen Historiker eingestellt, der die türkischen Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg öffentlich als Völkermord bezeichnet hatte.

Gegenargument 01: Siehe z.B. den Artikel in Quantara zur Verurteilung von Sarkis Seropyan.

Seite 22: Verurteilungen bei Meinungsdelikten haben deutlich abgenommen.

Hier stand im Januar 2007 noch drastisch abgenommen.

Im Bericht vom Januar 2007 wurden auf Seite 16 Zahlen zur Pressefreiheit genannt. Demnach kam es in 9 Monaten (von Januar bis September 2004) zu 672 Anklagen nach dem Pressegesetz. In den gleichen 9 Monaten des Jahres 2005 kam es zu 1250 Anklagen nach dem Pressegesetz. Selbst wenn sich die Verfahren, in denen Haftstrafen ausgesprochen wurden, von 84 (2004) auf 56 (2005) verringerten, so erhöhte sich die Zahl der Verfahren mit Geldstrafe oder anderen Sanktionen von 212 (2004) auf 436 (2005).

Diese Zahlen sprechen gegen eine drastische oder deutliche Abnahme von Verfahren.

Weitere Stellen, an denen nach Argumenten zu diesem Komplex gesucht werden kann, sind u.a.:

Mit Beginn des Jahres 2008 hat das Demokratische Türkeiforum eine Übersicht zu Meinungsdelikten begonnen. Sie werden ab September 2008 in einem Wiki weitergeführt. Vorläufige Adressen sind:

a) Übersicht der wichtigsten Bestimmungen

b) Sammlung der Meldungen für jeweils ein Vierteljahr (Link geht zum 1. Quartal 2008) mit Sortierfunktion

Meldungen aus den Jahren davor finden sich in meinem privaten Wiki. Hier geht es vom Überblick und einzelne Bestimmungen zu den verschiedenen Listen (nach Delikten geordnet).

Die auf Meinungsvergehen spezialisierte Gruppe Antenna hat sowohl in Türkisch als auch Englisch eine Datenbank, die durchsucht werden kann. Hier geht es zur Startseite.

Bei Bianet kann auf der englischen Seite nach Meldungen zu Freedom of Expression gesucht werden.

Folter

Seite 29: Die AKP-Regierung hat alle gesetzgeberischen Mittel eingesetzt, Folter und Misshandlung im Rahmen einer "Null-Toleranz-Politik" zu unterbinden.

Andere Stellungnahmen dazu:

  • Die europäische Kommission

Fortschrittsbericht im November 2007: "Die positiven Auswirkungen der gesetzlichen Schutzmaßnahmen im Rahmen der 'Null-Toleranz-Politik' gegenüber Folter halten an. Die gemeldeten Fälle von Folter und Misshandlung sind weiter rückläufig."[1]

  • Bericht des US State Departments vom 11. März 2008

Gleich am Anfang heißt es dort: "Die Regierung respektierte die Menschenrechte ihrer Bürger, aber ernste Probleme gibt es in verschiedenen Bereichen. Menschenrechtsorganisationen dokumentierten einen Anstieg in Fällen von Folter, Schlägen und Übertretungen der Sicherheitskräfte. Die Sicherheitskräfte begingen außergesetzliche Tötungen. Die Zahl der Festnahmen war im Vergleich zur Zahl der Vorfälle gering und Verurteilungen blieben selten. Haftbedingungen blieben schlecht mit Problemen von Überbelegung und mangelndem Training des Personals. Die Polizei gewährte nicht immer sofortigen Zugang zu einem Anwalt, wie es das Gesetz vorschreibt."[2]

  • Amnesty International schreibt in seinem Länderbericht 2008:

"Auch im Berichtsjahr trafen wieder Meldungen über Folterungen und andere Misshandlungen sowie über exzessive Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte ein. Die strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen war unzureichend und ineffektiv. Nach wie vor bestanden Zweifel an der Fairness vieler Gerichtsverfahren."[3]

  • Human Rights Watch

Der Jahresbericht vom Januar 2008 mit Kapitel über die Türkei liegt in Englisch und Türkisch vor. Hier wird die Entwicklung im Jahre 2007 (nach meiner –verkürzten- Übersetzung) folgendermaßen zusammengefasst: "Jüngste Trends beim Schutz der Menschenrechte in der Türkei zeigten Rückschritte. Im Jahre 2007 kam es zu einer Intensivierung von Strafverfahren und Verurteilungen, die sich auf "Rede"(freiheit) bezogen, Schikanierung von Funktionären und Abgeordneten der DTP und einem Anstieg von Berichten zur Brutalität der Polizei."[4]

  • Die Zweigstelle Diyarbakir im IHD

veröffentlichte im Juli 2008 Zahlen für das einst unter Ausnahmezustand stehende Gebiet für die ersten 6 Monate 2008. An Folterfällen hatte der Verein jeweils auf die ersten 6 Monate bezogen im Jahre 2004 (174), im Jahr 2005 (191), im Jahr 2006 (242) und im Jahr 2007 (183) gezählt. In den ersten 6 Monaten 2008 aber waren es schon 434 Fälle. Diese Zahlen nahm die Abgeordnete der DTP, Ayla Akat Ata zum Anlass, eine Anfrage an das Justizministerium zu stellen. Justizminister Mehmet Ali Sahin gab darauf die Antwort, dass sich 2006 und 2007 4719 Bürger wegen Misshandlung, Folter und exzessiver Folter durch Sicherheitsbeamte beklagt hätten. In 3866 Fällen seien Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, und in diesen Verfahren seien 9716 Polizisten, 616 Gendarmen und 554 andere Beamte beschuldigt worden. Nach Addieren von 796 Verfahren aus dem Jahr 2005 seien 2654 Verfahren mit 6397 angeklagten Beamten eingestellt worden. 614 Ermittlungsverfahren mit 1423 Angeklagten hätten zu Strafverfahren geführt.

Die Zahlen machen auf der einen Seite deutlich, dass es weit mehr Strafanzeigen wegen Folter und Misshandlung gibt, als von den Vereinen und der Presse bemerkt werden und zeigt auf der anderen Seite, dass Straffreiheit ein andauerndes Problem ist (über 10.000 beschuldigte Beamte und weniger als 1.500 davon vor Gericht).[5]

Rechtsstaatlichkeit

Seite 22: Beweisverwertungsverbote des türkischen Strafprozessrechts entsprechen den üblichen Regelungen.

Argumente und Gegenargumente im Detail

Auf der Seite 22 steht: Beweisverwertungsverbote des türkischen Strafprozessrechts entsprechen den üblichen Regelungen. Nach Einschätzung türkischer Rechtsanwälte gibt es in der Türkei keine Verurteilungen mehr, die allein aufgrund eines Geständnisses erfolgen, wenn im Prozess gerügt wird, dass das Geständnis durch Misshandlung/Drohung erlangt wurde und daher nicht verwertbar sei. Sofern keine anderen Beweismittel vorliegen, die für eine Verurteilung sprechen, muss freigesprochen werden. Eindeutige Nachweise für eine abweichende Praxis der Gerichte sind aus neuerer Zeit nicht bekannt geworden.

Auf der Seite 31 wird zitiert: Amnesty International, die Stiftung ProAsyl und die Holtfort-Stiftung stellten am 23.02.2006 ein Gutachten zur "Rechtsstaatlichkeit politischer Verfahren in der Türkei" vor. Schwerpunkt der Studie war die Frage, ob sich türkische Gerichte an das Verbot halten, unter Folter zustande gekommene Geständnisse zu verwerten. Die Analyse von 18 Fällen aus den frühen 90er Jahren bis ins Jahr 2006 kam zu dem Ergebnis, türkische Gerichte verurteilten derzeit in politischen Strafverfahren weiterhin auf der Grundlage erfolterter Geständnisse.

Auf den Fall des aus Deutschland abgeschobenen Metin Kaplan wird nicht mehr eingegangen.

Mit der Aussage auf Seite 22 setzt sich das Gutachten von Helmut Oberdiek an Pro Asyl auseinander[6]

Seite 38 des Gutachtens:

Die o.a. Aussage geht an der Kernfrage vorbei. Die zentrale Frage ist nicht, ob eine erfolterte Aussage das einzige Beweismittel ist, sondern ob es sich um ein bedeutendes, wenn nicht gar das entscheidende Beweismittel handelt. Verfahren, in denen die Aussage eines Betroffenen bei der Polizei das alleinige Beweismittel ist, sind selten. Vor allem in politischen Verfahren sind in der Regel mehr als eine Person angeklagt und es ist ebenso selten, dass von diesen Angeklagten (die fast ausnahmslos gefoltert wurden) nur eine Person ein Geständnis bei der Polizei oder Gendarmerie ablegte. Schon ein zweites Geständnis (bzw. eine zweite erfolterte Aussage) ist für die türkischen Gerichte ein weiteres Beweismittel, d.h. die aufeinander abgestimmten Aussagen werden zu "sich gegenseitig stützenden Beweisen". Sollte in einem Verfahren wirklich nur eine erfolterte Aussage vorliegen, so können z.B. die aufgrund dieser Aussage gefundenen oder als "Besitz" deklarierten Waffen zum "stützenden Beweis" werden. Nur im Fall, dass wirklich kein weiterer Hinweis gefunden wurde, der auf die Richtigkeit der Angaben hindeutet (sozusagen als "stützender Beweis" herangezogen werden kann), galt schon in der Vergangenheit die Regel, dass ein Urteil sich nicht alleine auf eine Aussage bei den uniformierten Kräften (kolluk) als einzigem Beweis berufen kann.

Weitere Argumente lassen sich in Berichten internationaler Gremien finden. Im September brachte amnesty international einen Bericht über Justice Delayed and Denied heraus. Er war erst nur in Englisch vorhanden. Inzwischen gibt es auch eine deutsche Fassung.

Ein ebenfalls in Englisch verfassten Bericht mit Zitaten mehrerer Gremien ist auf dieser Webseite zu finden.

Fußnoten

  1. Die deutsche Übersetzung ist zu finden unter http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2007/nov/turkey_progress_reports_courtesy_transl_de.pdf
  2. Bericht ist unter http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100589.htm zu finden.
  3. Im Internet ist nur die englische Fassung des Berichts zur Türkei unter http://thereport.amnesty.org/eng/regions/europe-and-central-asia/turkey zu finden. Berücksichtigt wird die Entwicklung zwischen Januar und Dezember 2007. Laut Ankündigung der deutschen Sektion kann der Bericht als Buch des Fischer-Verlags für 14,90 Euro erworben werden. Dafür hat die Sektion der Schweiz wenigstens die Einleitung auf der Homepage unter http://www.amnesty.ch/de/laender/tuerkei präsentiert. Dieser Teil wird hier wiedergegeben.
  4. Fundstelle im September 2008: http://hrw.org/englishwr2k8/docs/2008/01/31/turkey17727.htm
  5. Nachricht im September 2008 gefunden unter http://www.haberdiyarbakir.com/news_detail.php?id=11935&uniq_id=1221758379
  6. Es wurde im März 2008 herausgegeben und kann unter http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_redakteure/Newsletter_Anhaenge/137/oberdiek.pdf gefunden werden.